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Ziviler Ersatzdienst auf europäischer Ebene?
vonIn der Evangelischen Akademie Loccum trafen sich Ende September Kirchenvertreter aus zehn europäischen Ländern - von der Sowjetunion über Finnland bis nach Frankreich und Italien -, um über Probleme der Ersatzdienste für Militärdienstverweigerer zu beraten.
Die Bestandsaufnahme zur "Internationalen Beschlußlage" erweckt den Eindruck, daß es um die Realisierung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung nicht schlecht bestellt ist. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?
Nach wie vor ist die Militärdienstverweigerung nahezu in ganz Europa an Bedingungen und Auflagen (etwa Gewissensprüfungen) geknüpft, werden zivile Ersatzdienste in der Regel als "lästige Alternative" ausgestaltet und totale Kriegsdienstverweigerer mit teilweise drastischen Strafen ins Gefängnis geschickt. Interessant war in dieser Hinsicht im übrigen der Trend, daß sich in vielen osteuropäischen Staaten (Ungarn, Polen, Sowjetunion, Jugoslawien) die Einrichtung ziviler Ersatzdienste abzeichnet, die in vieler Hinsicht dem bundesdeutschen Modell entlehnt sind: Ankopplung der Ersatzdienste an die Regelungen des Wehrpflichtrechtes, Einsatz der Dienstleistenden in gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten mit erschwerten, d. h. schlechten Arbeitsbedingungen, "Verlängerungsautomatik" des Ersatzdienstes gegenüber dem Wehrdienst. Bei den in Loccum gegebenen Länderberichten war im übrigen der Akzent der drei anwesenden DDR-Vertreter interessant, wonach die Entwicklungen in anderen WVO-Mitgliedsstaaten bei ihnen der realistischen Erwartung Nahrung geben, daß auch in der DDR - schon als Mittel gegen den immer drängender werdenden Arbeitskräftemangel im sozialen Bereich - bald ein ziviler Ersatzdienst im Sozial- und Gesundheitsbereich möglich wird. Bislang war dies immer mit Hinweis auf noch restriktivere Regelungen in den anderen WVO-Staaten abgelehnt worden. Unter den eingeschworenen DDR-Pazifisten, auch dies wurde in Loccum deutlich, hinterläßt eine solche Perspektive durchaus zwiespältige Gefühle und Eindrücke.
Ein Schwerpunkt der Loccumer Konferenz war die Frage, ob denn die Schaffung eines zivilen Alternativdienstes zum Militärdienst auf europäischer Ebene - und auf welcher - ein erstrebenswertes Ziel sei. Während die einen argumentierten, daß damit ein nationales Übel lediglich europäisiert würde, versprachen sich andere Diskutanten von einer solchen Lösung eine Attraktivierung und auch Auflokkerungsmöglichkeit für zivile Ersatzdienste. Abgesehen von den organisatorischen Schwierigkeiten (der größte Ansturm von potentiellen Dienstleistenden dürfte aus der Bundesrepublik kommen!) darf man/frau gespannt sein, welche europäischen Gremien denn wie die Kriterien für die Einsatzplätze und Dienststellen eines solchen Alternativdienstes festlegen. Bei der Tagung einigten sich die anwesenden Vertreter aus West- und Osteuropa auf die Formulierung, daß es notwendig ist, einen grenzüberschreitenden Alternativdienst zu organisieren, der ein Beitrag zu Völkerverständigung und Friedensförderung durch Friedenserziehung ist. In einem ersten Schritt solle ein solcher auf der Ebene der europäischen Gemeinschaft (also in Westeuropa) eingerichtet werden, um anschließend durch Verhandlungen auf gesamteuropäischer Ebene (vielleicht dann im Europarat?) Möglichkeiten zu einem Alternativdienst in allen Ländern Europas zu schaffen.
Europäische Informationsstelle
Gefordert wurde ferner die Einrichtung einer "zentralen europäischen Informationsstelle" zu Fragen der Militärdienstverweigerung und des zivilen Alternativdienst. Diese solle europaweit Informationen (für Fachorganisationen, aber auch direkt Betroffene und Interessierte) regelmäßig sammeln, auswerten und weiter vermitteln, um so zur Stärkung des Rechts der Militärdienstverweigerung auf europäischer Ebene und zur Schaffung nicht diskiminierender Alternativdienste beizutragen. Gegenwärtig wird in Brüssel der Versuch gestartet, mit dem "Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung" eine solche Institution zu schaffen; die Loccumer Konferenz tat sich etwas schwer, zu einem solchen basisorientierten Versuch eindeutig Stellung zu beziehen. Abgelehnt wurde eine neue staatliche Behörde (also etwa in der Nähe der EG-Kommission) und auch der Vorschlag, die Informationsstelle in der Nähe der bestehenden Strukturen gesamteuropäischer Jugendzusammenarbeit anzusiedeln, fand keine Gegenliebe. In der nahezu einmütig verabschiedeten Resolution bleibt nunmehr der Träger einer solchen Informationsstelle offen, der Appell zu ihrer Einrichtung wird eindeutig an die Konferenz europäischer Kirche und ihr katholisches Gegenstück ECCE gerichtet. Allerdings dämpfte der anwesende Vertreter der KEK vor vornherein die Erwartungen.
In Loccum wurde sichtbar, so läßt sich resümieren, daß Fragen der Militärdienstverweigerung und zivile Alternativdienste nunmehr auch verstärkt auf europäischer Ebenen diskutiert werden. Im Konferenzverlauf wurde allerdings auch deutlich, daß nicht nur nationale Unterschiede und Besonderheiten, sondern auch unterschiedliche ethische und politische Grundpositionen den Weg zu einer Verstärkung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung und der Schaffung sinnvoller Alternativdienste auf europäischer Ebene noch sehr steinig gestalten.