Redebeitrag für die Eröffnung der Hiroshimaausstellung am 8. August 2020 in Essen

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Hiroshima, 06.August, 1945,  8:15 Uhr: Paul Tibbets, der amerikanische Pilot befindet sich mit seinem Team rund 9000 m über der Stadt Hiroshima. Er öffnet die Luke für  die  erste  Atombombe, mit der eine ganze Stadt ausgelöscht werden soll.  „Little Boy“  wurde sie von den Wissenschaftlern  des geheimen Manhattan Projekt genannt. Noch während die Atombombe auf die Stadt zurast,  reißt Tibbets  sein Flugzeug, die Enoly Gay, herum   und beschleunigt. Es ist das Manöver, das er und die Mannschaft so oft geübt hatten, welches das Flugzeug jetzt aus der Todeszone katapultieren soll. Mittlerweile trägt jeder an Bord eine Schutzbrille, um vom Licht der Atombombe nicht zu erblinden.

In einer Höhe von 580 Metern detoniert die Atombombe "Little Boy".

In einem Augenblick sterben Zehntausende Menschen den atomaren Tod. Unter den Besatzungsmitgliedern der "Enola Gay" herrscht Stille im Angesicht des von ihnen entfachten Infernos. Derweil schiebt sich der Atompilz weiter und weiter in den Himmel. Wenig später verkündet Tibbets Stimme stolz per Bordfunk: "Jungs, ihr habt gerade die erste Atombombe der Geschichte abgeworfen!"

Derartige Befriedigung empfindet nicht jedes Mitglied der Besatzung. "Da war nichts als Tod in dieser Wolke", sagt Mechaniker Robert H. Shumard später. "O mein Gott, was haben wir getan?" schreibt Co-Pilot Robert A. Lewis in sein Logbuch.

Der Fotograf Yoshito Matsuhige befindet sich unten, am Boden,  im sterbenden Hiroshima. Er ist  kaum in der Lage, Fotos des Schreckens zu machen: "Meine Tränen“, so sagt er,  „lassen den Blick durch den Sucher ganz verschwimmen."

Innerhalb weniger Stunden starben 70.000 Menschen  durch den Atombombenabwurf über Hiroshima, durch den Feuerball, die Druckwelle, die hohe Strahlung, und  die Feuersbrünste, die durch Hiroshima jagten. 22.000 Menschen starben drei Tage später, am 9. August 1945, in Nagasaki den gleichen Atombombentod.

Noch über 100.000 Menschen starben wenige Wochen nach dem Atombombenabwurf, weil es keine medizinische Infrastruktur gab,  um ihre Verletzungen, Verbrennungen, die schweren Strahlenschäden zu behandeln.

- Gedenkminute -

Heute, 75 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki,  gedenken wir der Toten und wir  fragen:  Welche Bedeutung haben Atomwaffen heute?  Sind wir überhaupt noch von Atomwaffen, von einem Atomkrieg bedroht? Die Corona Krise bewegt uns jetzt! Leben wir denn nicht in Zeiten  der Weltunordnung,  in Zeiten von vielfachen ungelösten Krisen:  die Klimakrise, letztes Jahr gingen weltweit 1,4 Millionen Menschen auf die Straße für radikale Lösungen der Klimakrise. Die Wirtschaftskrise, droht sie nicht jetzt  nach dem Shutdown im Frühjahr dieses Jahres infolge von Corona? Die  Flüchtlingskrise, die elenden Zustände in den Flüchtlingslagern in Griechenland haben wir längst aus unserem Gewissen verdrängt,  gestrichen. Warum erinnert  ihr uns jetzt an die Atomwaffe, sprecht davon, dass die Gefahr für einen Atomkrieg größer ist denn je?

Alle Krisen, die ich eben erwähnt habe, haben eines gemeinsam: Sie sind von uns Menschen verursacht und sie können auch nur von uns Menschen gelöst werden. Es liegt an uns Menschen, dass wir etwas tun, dass wir handeln.

Sie hier in Essen haben den  wichtigsten, den  ersten Schritt gemacht mit dieser Ausstellung: aufklären, den Zusammenhang aufzeigen zwischen dem Atomwaffenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki damals,  als das Leben von Zigtausenden von Menschen  plötzlich von der Bombe ausgelöscht wurde,  und er   Atomkriegsgefahr heute.

Denn leider, und das ist die bittere Botschaft heute, ist die Gefahr eines Atomkriegs aktueller denn je. 

Noch immer gibt es 13.400 Atomwaffen auf der Welt, 90% davon in den Händen der USA und von Russland. Der deutliche Rückgang in den letzten Jahren ist auf den New Start Vertrag zurückzuführen, der vor 10 Jahren von Präsident Obama und Ministerpräsident Putin unterzeichnet wurde. Aber:  die USA und Russland können  mit ihren  ca. 12.000 Atomwaffen auch heute noch – mehrfach –die gesamte Menschheit und unseren Planeten  auszulöschen. In Zeiten des Kalten Krieges nannte man das Fähigkeit zum Overkill.

Der Besitz oder der  Nichtbesitz von Atomwaffen spielen nach wie vor eine große Rolle dabei, denn Atomwaffen bedeuten in der Hierarchie der Staaten im Besitz uneingeschränkte  Macht zu sein. Das zeigt sich an dem aktuellen Unwillen aller Atomwaffenstaaten, atomar abzurüsten. Im Gegenteil: Es existiert ein Wettlauf um die sogenannte Modernisierung von Atomwaffen, die in Wirklichkeit eine Aufrüstung mit neuen Atomwaffen bedeutet.

In den Diskussionen der Militärstrategen und vieler Politiker in der Diskussion um Atomwaffen, um die Tatsache, dass in Büchel ca. 20 US-amerikanische Atomwaffen stationiert sind, von der Notwendigkeit nuklearer Abschreckung gesprochen. Die Tod von Menschen, die  Zerstörung der Natur, das humanitäre Leid kommt in ihrem Denken nicht vor. Wie auch schon bei den Physikern und den Militärs des Manhattan-Projekts, das Projekt zum Bau der  ersten Atombombe.

Was aber wären die humanitären und die gesundheitlichen Folgen eines auch nur begrenzten Atomkriegs?  Klimastudien zeigen genau auf: Ein „begrenzter“ Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan, in dem „nur“ 100 Atomwaffen der Hiroshima Größe  eingesetzt würden, hätte zur Folge,  dass es zusätzlich zu Millionen Toten zu einem Temperatursturz käme. Die durchschnittliche Temperatur auf der Erde würde für mindestens 10  Jahre um 1,25 Grad absinken und damit große Hungersnöte auf der gesamt Nord- und Südhalbkugel auslösen.

Zwei Milliarden Menschen auf der gesamten Welt würden durch die Klimafolgen eines Atomkriegs, durch einen  nuklearen Winter, für die Dauer von mindestens 10 Jahren  von Hungersnöten  bedroht.

Weil alle Atomwaffenstaaten zurzeit in die Modernisierung ihrer Arsenale investieren und weil der letzte  Rüstungskontrollvertrag, der New Start Vertrag, 2021 endet,  ist die Atomkriegsgefahr größer denn je. Dann wäre die mühsam aufgebaute Rüstungskontrolle zwischen den Atomwaffenstaaten gänzlich zerbrochen.

Die Zeit drängt also, dass wir alle aufstehen gegen das neue atomare  Wettrüsten. Wir können bei den Menschen anknüpfen an ein Bewusstsein, das Atomwaffen verboten werden müssen, aber das reicht noch nicht aus. Dieses Bewusstsein muss sich in politische Handlungen unserer Politiker umsetzen. 

Das Pentagon unter Präsident Donald Trump hat 2018  seine nukleare - Einsatzdoktrin verändert. Trump  setzt auf einen "flexiblen" Einsatz von sogenannten  Mini Atomwaffen. Er will einen Atomkrieg führbar machen. Dazu ließ er ein U-Boot mit den ersten neuen Mini-Atombomben, sie heißen  W76-, ausrüsten und  erste Übungen durchführen.

Was macht unsere deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp – Karrenbauer in dieser Situation?  Inmitten der Corona-Krise, April 2020,  kündigt sie an,  dass die Bundesregierung für ca. 8 Milliarden Euro insgesamt 45 neue atomare Kampfbomber vom Typ F 18  von den USA kaufen will. Während weltweit Krankenschwestern und Ärzte versuchten, Menschenleben zu retten.  Während es um Solidarität geht,  spricht die Verteidigungsministerin  über den Kauf von Atombombern, weil  neue, „moderne“  Atomsprengköpfe, Massenvernichtungswaffen, in Büchel, in der Eifel stationiert werden sollen. Das ist ein Skandal,  und das dürfen wir nicht zulassen!

Es gibt eine sehr wichtige und gute Aktionsmöglichkeit: Die Kampagne Atombomber, nein danke. Auf der Webseite von IPPNW Deutschland und  ICAN Deutschland finden Sie Unterschriftenlisten. Außerdem wäre es sehr wichtig, dass sie Ihre Bundestagsabgeordneten hier in Essen auffordern, sich gegen den Kauf der Atombomber zu einzusetzen. Machen sie Termine bei Ihren Bundestagabgeordneten. Der Dialog ist nötig. 

Meine Hoffnung setze ich ebenso auf den Atomwaffen-Verbotsvertrag, den wir von ICAN, der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen mit der IPPNW als Gründungsmitglied und schon über 80 Länder unterzeichnet haben und 42 Länder ratifiziert haben. Zuletzt, am Hiroshimatag haben die Länder Nigeria und Irland, das zweite europäische Land, ratifiziert. Der Vertrag tritt in Kraft, nachdem er von 50 Staaten ratifiziert worden ist. Das wird sehr wahrscheinlich nächstes Jahr, also 2021  so weit sein.

Die Bundesregierung hat sich bisher geweigert zu unterschreiben.  Sie will warten, bis die NATO und die Atomwaffenstaaten atomar abrüsten. Dabei waren wir 2010 schon einmal weiter. Damals forderte die überwältigende Mehrheit der Bundestagsabgeordneten die Bundesregierung auf, die 20 US Atomwaffen in die USA zurückzuschicken. Die CDU verhinderte das 2010. 

Es ist also auch hier in Essen nötig, das Für und wider der nuklearen Teilhabe, der US Atomwaffen in Büchel zum Thema zu machen. Wie steht der Bürgermeister von Essen dazu? Ihre Stadt mit dem Essener Bürgermeister Thomas Kufen hat den ICAN Appell im Rat verabschiedet, ebenso wie viele andere Städte in NRW und in der gesamten Bundesrepublik.

Der SPD Abgeordnete Rolf Mützenich hat das als Antwort auf die  Verlautbarung der Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer ja eingefordert. Bevor eine so weitreichende Geldausgabe getätigt wird, muss öffentlich und in der Breite diskutiert werden.

Immerhin haben sich in der letzten Greenpeace Umfrage zu Atomwaffen über 90 % gegen die Atomwaffen in Büchel ausgesprochen.

Und noch eine Möglichkeit zu handeln: Das Geld. Ihr Geld. Banken investieren in Atomwaffen. Deutsche Bank, Commerzbank, die DZ-Bank, das ist ein Gemeinschaftsunternehmen  der  Volksbanken und der DEKA Investmentfonds der Sparkassen, investieren in Atomwaffen!

Ein Riesen-Skandal Aber Banken lassen sich durch uns, Ihre Kunden beeinflussen!  Auf der Webseite von ICAN und IPPNW bekommen Sie genauere Informationen und gelangen zur Studie „Don‘t Bank The Bomb“. Sprechen Sie  persönlich mit Ihrer Bank!

 

Angelika Claussen ist Vorsitzende der IPPNW-Europe.