Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2020 in Berlin

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Hiroshima: Erinnern. Mahnen. Handeln.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

heute, 75 Jahre nachdem die USA die japanische Stadt Hiroshima mit einer Atombombe namens „Little Boy“ dem Erdboden gleich machte, gedenken wir der  Opfer dieser Bombe und auch der Opfer der Nagasaki-Bombe drei Tage später.

Wir gedenken heute aber auch der Opfer des atomaren Zeitalters, diejenigen, die an den Atomtests gestorben sind oder gesundheitlich geschädigt wurden. Oder an die Gesundheitsfolgen des Uranabbaus, auch hier in Deutschland durch die Wismut, wo Uran für die sowjetische Atombombe abgebaut wurde, wie es noch heute in vielen Teilen der Welt geschieht.

„Als ich zu mir kam, war es still und dunkel. Ich steckte zwischen eingestürzten Gebäudeteilen fest und konnte mich nicht bewegen – ich wusste, dass ich dem Tod ins Auge sah. Ich hörte das Jammern meiner Mitschüler*innen: „Mutter, hilf mir!“ – „Gott, hilf mir!“. Da spürte ich Hände an meiner linken Schulter. Eine Männerstimme sagte: „Gib nicht auf – beweg Dich weiter! Ich versuch Dich hier raus zu kriegen. Krieche auf das Licht aus der Öffnung da oben zu – schnell!“ Als ich es geschafft hatte, standen die Trümmer schon in Flammen. Die meisten meiner MitschülerInnen sind bei leben-digem  Leibe  verbrannt.“

Dias ist ein Zitat aus der Geschichte von Setsuko Thurlow, damals 13 Jahre alt und heute 88 Jahre. Setsuko ist eine der sogenannten Hibakusha, wie sie die Atombombenüberlebenden genannt werden. Sie lebte 1945 in Hiroshima, wohnt  jetzt in Kanada und arbeitet mit ICAN zusammen, der Internationalen Kampagne für die Abschaffung der Atomwaffen.

Ich habe Setsuko 2014 in Mexiko kennengelernt. Dort haben wir gemeinsam an der 2. Staatskonferenz zu den humanitären Folgen von Atomwaffen teilgenommen. 2015 kam Setsuko auf Einladung der deutschen Sektion von ICAN nach Berlin und erzählte ihre Geschichte jungen Menschen. Die Geschichte haben wir übersetzt und ich habe sie heute vorne ausgelegt.

Das Ziel aller Hibakusha beinhaltet der Spruch „Nie wieder Hiroshima! Nie wieder Nagasaki!“. Ihr Appell bestand darin, Atomwaffen zu ächten. Der einzige Weg zu verhindern, dass Atomwaffen je wieder eingesetzt werden, sei ihre komplette Abschaffung.

Deswegen haben Setsuko und viele andere Hibakusha, darunter auch  Atomtestopfer, gemeinsam mit ICAN eine weltweite Kampagne für ein Atomwaffenverbot ins Leben gerufen. Wir haben 122 Staaten bewegt, 2017 einen Vertrag in den Vereinten Nationen für das Verbot von Atomwaffen zu verhandeln und zu ratfizieren.

Als wir in den Vereinten Nationen in New York den Abschluss des Vertrages zum Verbot von Atomwaffen erlebten, waren alle Augen auf die Menschen gerichtet, die das Unheil dieser Massenvernichtungswaffen erlebt haben. Wir sahen in ihren Gesichtern unbeschreibliche Freude. Die Vorsitzende der Verhandlungskonferenz Elaine Whyte schloss  Setsuko Thurlow in die  Arme und sagte, die Hibakusha wären  die Inspiration für diesen Vertrag gewesen.

Heute in New York haben noch 3 Staaten diesen Vertrag mit ihrem Beitritt ratifiziert. Wenn 50 Staaten den Verbotsvertrag beigetreten sind, kann er 90 Tage später in Kraft treten.

Im Dezember 2017 fuhr Setsuko Thurlow nach Oslo. Denn die Kampagne ICAN hatte für ihre Kampagne für die Abschaffung für Atomwaffen und ihren Beitrag zum neuen Verbotsvertrag den Friedensnobelpreis gewonnen. Die Kampagne bat Setsuko den Friedensnobelpreis entgegen zu nehmen. Sie sagte in ihrer Rede, sie spreche als Mitglied der Familie der Hibakusha:

„Wir fügen uns nicht in die Opferrolle. Wir weigern uns, auf ein plötzliches flammendes Ende oder die langsame Vergiftung der Welt zu warten. Wir weigern uns, untätig und in Schrecken zu verharren, wenn uns die so genannten Großmächte in atomaren Neben hüllen und uns rücksichtslos nahe an die nukleare Mitternacht bringen. Wir haben uns erhoben. Wir teilen unsere Geschichten vom Überleben. Und wir sagen: Menschlichkeit und Atomwaffen können nicht nebeneinander existieren.“

Daher müssen wir jetzt erneut – 75 Jahre nachdem Hiroshima und Nagasaki zerstört wurden – daran erinnern, welches Unheil Atomwaffen tatsächlich anrichten können. Was für eine Katastrophe, welches humanitäre Leid entstehen würde, wenn diese Waffen wieder zum Einsatz kämen.

Wir müssen vor der nuklearen Aufrüstung, die aus Angst entsteht, mahnen.

Wir müssen zum Handeln ermutigen und sowohl die jetzige als auch die künftige Bundesregierung auffordern, dem Verbotsvertrag beizutreten.

Denn wenn Atomwaffen wieder eingesetzt werden, wird  ein solcher Einsatz nur durch die Komplizenschaft aller Untätigen möglich gemacht.

Daher dürfen wir nicht beim  Gedenken stehen bleiben. Die Opfer appellieren an uns zu Handeln. Das können wir alle, in dem wir z.B. unsere Unterschrift an Stelle der Bundesregierung unter den Verbotsvertrag setzen. Dafür liegen  auf dem Infotisch? Listen aus.

Setsuko sagt über die Menschen, die in Hiroshima und Nagasaki umgekommen sind:

„Jede Person hatte einen Namen. Jede Person wurde von jemandem geliebt. Sorgen wir dafür, dass ihr Tod nicht vergeblich war.“

Vielen Dank.

 

Xanthe Hall ist Atomwaffenexpertin der IPPNW Deutschland und im Vorstand von ICAN Deutschland.