Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2021 in Frankfurt und in Offenbach

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das „Bulletin of the atomic scientists“ hat die “Doomsday Clock”, die Weltuntergangs -Uhr , in diesem Jahr auf 100 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt - aktuell nicht nur wegen der neuen Welle nuklearer Aufrüstung durch die Atomwaffenmächte, sondern auch wegen der fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, wie sie sich im Klimawandel, aber auch in der globalen Pandemie zeigen. Nicht nur durch den weiter drohenden Atomkrieg, sondern auch durch die ganz zivile Umweltvernichtung wird der doomsday vorbereitet.

Erftstadt bei Köln, der Ort, in dem ich Jahre meiner Kindheit und Jugend verbracht habe, wurde Mitte Juli in Teilen durch die Fluten zerstört, vor Ort auch durch die Überflutung und das Einstürzen einer Kiesgrube- ein konkretes Beispiel für die Folgen des Extraktivismus, der rücksichtslosen Entnahme von Rohstoffen. Im Rheinland wurden mindestens 180 Menschen durch die Katastrophe getötet, die Rettungskräfte waren häufig hoffnungslos überfordert. Für die Menschen in der betroffenen Region eine apokalyptische Erfahrung, ein wirklicher Doomsday, ein Weltuntergangstag. Das muß ein Menetekel für uns alle sein, eine ernste Mahnung und eine Drohung, dass es kein „Weiter so“ geben darf.

Zwar hat die Bundeskanzlerin eingeräumt, dass zu wenig für den Klimaschutz geschehen ist – bisher haben sich aber wenig Zeichen einer grundsätzlichen Wende wahrnehmen lassen. Immer noch werden Kraftwerke mit Kohle-Beheizung zu CO2-Schleudern, immer noch werden spritfressende SUV- Automobile gerade auch aus deutscher Produktion massenhaft vertrieben. Und vor allem: immer noch läuft eine starke Welle der westlichen Aufrüstung- und sogar der nuklearen Aufrüstung – nicht zuletzt mit einer neuen Variante von B 61-Atombomben, die von deutschen Bomberpiloten im Kriegsfall an ihre potenziellen Ziele gebracht werden sollen – voraussichtlich an Ziele in Russland. Dass gerade Russland nun wieder zum Ziel von Kriegsübungen unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr geworden ist, stellt eine makabre Reminiszenz dar, 80 Jahre nach dem Überfall und dem Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion.
Die Gefahr des Nuklearkriegs in Mitteleuropa ist in den letzten Jahren nicht kleiner geworden, sondern gewachsen. Noch unter dem Terrorkrieger George W. Bush jr. wurde der ABM-Vertrag gekündigt, der den Aufbau von Raketenabwehr-Systemen stark einschränkte. Unter US-Präsident Trump dann kündigte die US-Regierung den Mittelstreckenverbotsvertrag für Europa (INF) und schließlich auch noch das „Open Skies“-Abkommen, welches die wechselseitige Überwachung der Waffenarsenale legitimierte – lauter wichtige Verträge zur Limitierung der gefährlichsten Atom-Aufrüstungen. Als einziges Rüstungskontrollabkommen ist das „New START“ für fünf weitere Jahre verlängert worden, welches die nuklearen Interkontinental-Geschosse begrenzt.
Die westeuropäischen Mächte wollen bei der Aneignung von High-Tech-Mordmaschinen nicht zurückstehen: Frankreich, Deutschland und Spanien haben sich auf Entwicklungsschritte für ein neues Luftkampfsystems geeinigt, dem sogenannten „Future Combat Air System“, einer Kombination von Kampfflugzeugen mit nuklearer Bewaffnung und als Startbasis für bewaffnete Drohnen mit sogenannten „autonomen“ Angriffstechniken. Dieses FCAS verspricht fette Aufträge v.a. für Dassault in Frankreich und die deutsche Airbus-Dependance. Geschätztes Finanzvolumen für die nächsten beiden Jahrzehnte bis 2040: etwa 500 Mrd €, d.h. etwa das Volumen des gesamten deutschen Bundeshaushalts für ein Jahr!

Für den Schutz der natürlichen Umwelt und eine entschiedene Energiewende weg von CO2 und AKWs wird dann nicht mehr viel an Investitionsmitteln zu Verfügung stehen, soviel läßt sich hochrechnen. (Aktuelle verfügt das Bundesumweltministerium über einen Etat von etwa 6% des sogenannten „Verteidigungshaushalts“).

Woher diese offensichtliche Unvernunft? Von Seiten des Außenministers und großer Teile der deutschen Medien wird ziemlich systematisch am Feindbild Russlands und seines Präsidenten gemalt – in auffälligem Kontrast zu dem Verhältnis etwa zu der türkischen oder der saudischen Regierung, die sich vielfältiger Unterstützung erfreuen. Fragwürdige Selbstidealisierung wie etwa die Inanspruchnahme einer „werteorientierten Politik“ werden für NATO und EU in Anspruch genommen, trotz völkerrechtswidriger Kriege mit inzwischen Millionen zivilen Opfern von Afghanistan über Irak bis Libyen, und trotz tödlicher Blockade im Mittelmeer gegen flüchtende Menschen gerade auch aus den Kriegsgebieten, etwa Syriens. Nicht Demokratie und Menschenrechte sind die treibenden Kräfte dieser Gewaltpolitik, sondern geopolitische Strategien und das Geschäft mit Rüstung und Krieg.

Am heutigen Hiroshimatag erklären wir: Die Androhung von atomaren Kriegen ist die radikalste Negation von Menschenfreundlichkeit und Zivilisation.

Erforderlich ist ein Paradigmenwechsel, eine völlig andere Definition von menschlicher Sicherheit und den Gefahren, die sie bedrohen. Es ist nicht Russland oder China, gegen die wir uns rüsten müssen, sondern es sind die gewaltigen Gefahren, Nöte und aktuellen Katastrophen, die aus der Zerstörung unserer natürlichen Umwelt, der Ungerechtigkeit der globalen Ökonomie, der egomanen Gier nach immer mehr Reichtum auf Kosten der Ausgebeuteten entspringt. Das Elend der Geflüchteten ist nur eins der Symptome der globalen Krise, weitere Aufrüstung verschlimmert all diese Gefahren nur ins Unermeßliche.

Das Bulletin der Atomwissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler nutzt die „Doomsday Clock“, die Weltuntergangsuhr als eine Metapher für die Bedrohung der Menschheit, aktuell wesentlich durch die nukleare Gefahr und den Klimawandel. 86 Prozent der jungen US-Amerikanerinnen sind sich der unzureichenden Antworten der Regierungen auf die Erderwärmung bewußt.

Wir sehen es als unsere Aufgabe, hartnäckig auch gegen die wieder gewachsene Gefahr eines Atomkriegs zu mobilisieren - gegen die Lebensfeindlichkeit der Geschäfte mit Umweltzerstörung und Krieg.

Vielen Dank.

 

Matthias Jochheim ist aktiv bei der IPPNW-Regionalgruppe Frankfurt.