Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2023 in Offenbach

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
die Atombombenabwürfe der US-Streitkräfte auf Hiroshima und drei Tage später auf Nagasaki werden uns immer eine Mahnung sein, welche katastrophalen Folgen Atomwaffen haben. Bis heute wirkt die zerstörerische Kraft der Atombomben nach, bis
heute haben Einwohner und Natur mit den Folgen der Strahlung zu kämpfen.

Trotzdem befinden sich heute über 12.000 Atomwaffen im Besitz der Atommächte. Die Anzahl der einsetzbaren Atomsprengköpfe beträgt fast 4000. Ein nuklearer Krieg würde die Zerstörung der Erde, wie wir sie kennen, bedeuten. Deshalb ist es Wahnsinn, dass der Einsatz von Atomwaffen seit dem vergangenen Jahr in erschreckende Nähe gerückt ist. Das schwedische Forschungsinstitut SIPRI spricht von der gefährlichsten Periode der Geschichte. Im Krieg in der Ukraine stehen sich mit den USA und Russland die zwei größten Atommächte der Erde gegenüber – Russland als direkte Kriegspartei und die USA durch die weitreichende politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Ukraine. Jeder weitere Tag des Krieges birgt die Gefahr, dass es, ob vorsätzlich oder durch Fehler oder Missverständnisse, zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen der NATO unter US-Führung und Russland kommt.

Schon zu Zeiten des Kalten Krieges befand sich die Welt mehrfach am Rand der Katastrophe. Bei der Kuba-Krise 1962 aus politischen Gründen, aber eben auch aufgrund technischer Störungen und Fehlalarme. Heute sind die politischen Rahmenbedingungen durch die Folgen einer jahrzehntelangen Konfrontationspolitik erheblich gefährlicher geworden. Die Ausdehnung des NATO-Bündnisses seit 1999 an die russischen Grenzen hat für Russland eine Verkürzung der Vorwarnzeiten bei einem nuklearen Angriff zu Folge. Vor dem Hintergrund der Aufkündigung internationaler Rüstungskontrollverträge, wie etwa des INF-Vertrages zum Verbot landgestützter nuklearer Mittelstreckenraketen, 2019 durch USA aufgekündigt, wird sich die Vorwarnzeit für Russland auf 5 Minuten verkürzen, wenn die Ukraine NATO-Mitglied wird. Das, liebe Mitstreiter, sind keine Voraussetzungen für besonnenes Handeln. Eine solche Politik macht die Welt nicht sicherer, sondern Säbelrasseln, Aufrüstung und Konfrontation sind der Nährboden für jetzige und kommende Kriege.

Die Herstellung einer Friedensordnung kann nur funktionieren, wenn sich die Großmächte als gleichberechtigte Partner in einer multipolaren Weltordnung betrachten.

Wir müssen leider das Gegenteil feststellen: Der G7-Gipfel im Mai, der in Hiroshima stattfand, wurde zurecht mit Demonstrationen der japanischen Friedensbewegung für nukleare Abrüstung begleitet. Schließlich sitzen die USA die Übernahme der
Verantwortung für die Atombombenabwürfe weiterhin aus. Seit 1945 warten die Opfer von Hiroshima und Nagasaki, aufgrund der langen Nachwirkungen der Strahlung mittlerweile in nachfolgenden Generationen, vergeblich auf eine Entschuldigung für
diese Verbrechen. Die G7-Staaten nutzten diesen symbolträchtigen Ort auch als Kulisse für die weitere Verschärfung der internationalen Beziehungen. Statt Maßnahmen für faire Wirtschaftsbeziehungen zu einzuleiten, kommen zu den unzähligen Sanktionen der G7 weitere Zwangsmaßnahmen gegen geopolitische Rivalen der USA hinzu.

Auch die Verhandlungsbemühungen von Staaten wie China, Brasilien und Südafrika im Ukraine-Krieg wurden torpediert, indem unrealistische Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert wurden. In der Schlusserklärung bekennen sich die G7 zwar zu atomarer Abrüstung, zum Kampf gegen den Hunger und zur weiteren Reduktion der CO2-Emissionen. Wenn jedoch gleichzeitig weiter an der Modernisierung von Atomwaffen und an gigantischen Aufrüstungsprojekten wie dem
100 Milliarden Euro umfassenden „Sondervermögen“ der Ampelregierung und dem NATO 2%-Ziel festgehalten wird, werden solche Ankündigungen nur leere Phrasen bleiben. Die Politik der G7 verhindert internationale Kooperation, die allerdings erforderlich ist, um den globalen Hunger zu beenden und die Umweltkatastrophe zu bearbeiten. Im Ergebnis haben die G7 in Hiroshima weder ernstzunehmend an der Vertiefung internationaler Kooperation gearbeitet, noch wurde die Atomkriegsgefahr im Stellvertreterkrieg zwischen den USA und deren Verbündeten und Russland gebannt.

Dazu bräuchte es neben einer Verhandlungslösung auch ein Durchbrechen der Aufrüstungsspirale: Was in der Bundesrepublik mit 5000 Helmen anfing, hat sich dank der Militarisierung der öffentlichen Debatte entwickelt zu einem regelrechten Überbietungswettbewerb der schrillsten Waffenforderungen für die Ukraine. Mit dem NATO-Gipfel in Vilnius im Juli wurde eine neue Eskalationsstufe betreten: Die USA liefern nun Streubomben an die Ukraine. Nicht ohne Grund ist Streumunition
international geächtet. Sie tötet vor allem Zivilisten und ihre Blindgänger verstümmeln und töten auch Jahrzehnte später noch Bürger in den von den Bomben verseuchten Gebieten. Auch die Bundesrepublik ächtet den Einsatz von Streumunition. Und doch zeigt die Ampelregierung Verständnis für die Entscheidung Washingtons, der Ukraine diese Munition bereitzustellen. Die berechtige Sorge, die sich aus dieser Bagatellisierung von geächteten Waffen ergibt, ist, dass am Ende der Aufrüstungsspirale die Hemmschwelle zum Einsatz von Atomwaffen sinkt. Dazu passt die Entwicklung von sogenannten „Mini-Nukes“, die einen begrenzten Atomkrieg führbar machen sollen. Allein diese Planspiele grenzen an Wahnsinn. Durch unser
Gedenken an die verheerenden Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki treten wir der Verharmlosung von Atomwaffen entgegen und damit sich solches Leid niemals wiederholt fordern wir Diplomatie statt Kriegsrhetorik, Abrüstung
statt weiteres Versinken in Aufrüstungsspiralen. Wir fordern die gegenseitige Anerkennung von Sicherheitsinteressen statt Säbelrasseln und Konfronationspolitik.

Von der Bundesregierung fordern wir, dass die Bundesrepublik dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitritt und die US-Regierung auffordert, die in Büchel gelagerten Atomwaffen abzuziehen. Wir wollen nicht, dass deutsche Soldaten im Ernstfall die Atomwaffen der USA abwerfen. Deswegen fordern wir ein Ende der nukleare Teilhabe. Angesichts der Häufigkeit, mit der Außenministerin Baerbock das Völkerrecht in den Mund nimmt, sollte sie einleiten, dass die Bundesrepublik sich dem Atomwaffenverbotsvertrag anschließt. Damit würde sie ihren Beitrag leisten, dass eine atomwaffenfreie Welt völkerrechtlich bindend wird. Die Mehrheit der Staaten hat den Vertrag bereits unterzeichnet und es wird höchste Zeit, dass die Bundesrepublik sich dem anschließt.

 

Naisan Raji ist Vorstand der Marx-Engels-Gesellschaft.