Grußwort für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Nottuln

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 21 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist 79 lange Jahre her…

Am 6. August 1945 haben die USA die Atombombe auf Hiroshima und kurz darauf auf Nagasaki abgeworfen. Sie hatten das Ziel, Japan zur Kriegsaufgabe zu zwingen, weil es sich mit Nazideutschland verbündet hatte.

Gewalt mit noch größerer Gewalt besiegen.

Die eigene Angst ums Überleben mit der Angst der anderen kleiner machen.

Das ist nicht nur im Krieg so, sondern auch das Credo, das uns unsere vermeintliche globale Sicherheit gewährleisten soll.

Die Gemengelage schien schon 1945 unübersichtlich. Heute ist sie noch viel unübersichtlicher. Denn heute toben zahlreiche Kriege weltweit; es ist vielschichtig, bedrohlich und das Thema unausweichlich. Die Konflikte sind nur zu erklären mit Wahnsinn, Hass, Machtansprüchen, dem nicht Aushaltenkönnens des Andersseins – und eben dieser Angst.

Angst davor, dass der andere Staat beim Drücken auf den Knopf schneller sein könnte.

Angst davor, zu verlieren – im Rennen um den Sieg, der unseren ganzen Planeten zerstören würde.

Auch ich habe Angst.

Angst vor den Putins und Kim Jong-Uns dieser Welt und davor, dass sie eines Tages den letzten Schalter der Vernunft umlegen könnten. Dass sich zu ihnen noch die Trumps und Le Pens gesellen. Dass der Club aus Faschist:innen, Autokrat:innen und Populist:innen immer größer wird. Dass ihnen plötzlich alles egal sein könnte – noch egaler als es ihnen heute schon zu sein scheint.

Es ist zynisch und paradox, dass diejenigen, die diesen Wahnsinn verantworten, am wenigsten unter ihm leiden müssen. Wen es jedoch am meisten trifft sind die, die das Leben noch vor sich haben.

So wie die kleine Kazuko. Kazuko konnte von ihren Eltern nicht mehr aus dem brennenden Gebäude gerettet werden, als der Feuerball der Atombombe am 6. August 1945 in Hiroshima erfasst.

Oder ihre kleinere Schwester, die sieben Jahre nach ihr an den Folgen der Strahlungen stirbt.

Oder der achtjährige Hiroko, der noch Tage später in den Trümmern nach seiner längst verstorbenen Schwester sucht und dessen Mutter Wochen nach dem Bombenabwurf qualvoll stirbt.

Es gibt unzählige solcher Geschichten. Geschichten über die Katastrophe, die die Welt vor 79 Jahre erschütterte.

Die Menschen, die überlebten, sind seitdem gezeichnet. Gezeichnet von den Narben der Verbrennungen, vom Krebs durch die Strahlungen, von der Stigmatisierung oder dem Trauma. Es ist ein kollektives Trauma, das eine ganze Region noch immer lähmt und das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ein Trauma, von dem wir dachten, daraus gelernt zu haben.

Und gleichzeitig passiert dies: Die letzten Zeitzeugen sterben. Die Erschütterung der Welt verblasst. Und während ich hier über Traumata spreche, über das „nie wieder“, das wir schon so oft gesagt und gefordert haben, passiert nur wenige hundert Kilometer das Undenkbare: neue Waffen auf deutschem Boden. Amerikaner, die sich für den Ernstfall rüsten und atomar bestückbare Raketen gegen Russland richten. Die beiden Länder besitzen gemeinsam fast 90 % aller Atomwaffen.

Und wir sind mitten drin.

Leise, schweigend, ohne Aufschrei. Wir nehmen es hin. Nehmen wir es hin? – Für die globale Sicherheit?

Der Physiker und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizäcker hat gesagt: „Die großen Bomben erfüllen ihren Zweck, den Frieden und die Freiheit zu schützen nur, wenn sie nie fallen. Sie erfüllen diesen Zweck nicht, wenn jedermann weiß, dass sie nie fallen werden. Eben deshalb besteht die Gefahr, dass sie eines Tages wirklich fallen werden.“

Ein Teufelskreis, aus dem es ein Entrinnen gäbe. Eine unendliche Geschichte, die ein Ende finden könnte – die ein Ende finden muss.

Wir könnten diesem Wahnsinn etwas entgegensetzen. Wir müssten es nur wollen. Wir müssten es einfach als Weltgemeinschaft einfordern. Tagtäglich, laut, unerbittlich und konsequent müssen wir einstehen für einen Frieden, der auch tatsächlich einer wäre. Nicht gebunden an Bedingungen, nicht als Folge von Angst oder Hoffnung. Sondern als Folge der Alternativlosigkeit, als Folge des einzig Möglichen und Logischen.

Dafür stehe ich heute hier.

Dafür stehen Sie heute hier – und mit uns tausende und abertausende Menschen auf der ganzen Welt.

Lassen Sie uns noch mehr werden.

Lassen Sie uns noch lauter und fordernder werden.

Gehen wir wählen, demonstrieren wir auf der Straße!

Wir müssen unseren Widerstand deutlich machen, wann immer wir die Möglichkeit dazu haben.

Und lassen Sie uns alles in unserer Macht Stehende tun, dass der Wahnsinn von einst nicht zum Wahnsinn von morgen wird.

Es ist 79 lange Jahre her – wir sind Hiroshima, wir sind Nagasaki.

 

Dr. Dietmar Thönnes ist Bürgermeister der Stadt Nottuln.