Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Aachen

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir – und auch viele Menschen in anderen Orten in Deutschland und weltweit – gedenken heute der zahlreichen Menschen, die durch die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ums Leben gekommen sind. Aber was meint es, wenn wir heute von „Hiroshima und Nagasaki mahnen“ sprechen? Was können wir tun, damit sich Hiroshma und Nagasaki tatsächlich niemals wiederholen und wir dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen näherkommen?

Dazu lohnt sich ein kleiner Blick in die Geschichte der Atomwaffen und der Rüstungskontrolle:

Mehr als 60.000 nukleare Sprengköpfe – so viele gab es zu den Hoch-Zeiten des Kalten Krieges. Eine aberwitzige Zahl. Schließlich geht man davon aus, dass schon der Einsatz von 50 bis 100 Atomwaffen in kurzer Zeit dafür Sorgen kann, dass die Erde für uns Menschen unbewohnbar wird.

Das Aufkommen der Nuklearwaffen hat die Staaten vor die Aufgabe gestellt, neue Wege zu gehen, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Eine Antwort auf das unkontrollierte nukleare Wettrüsten des Kalten Krieges war die nukleare Rüstungskontrolle.

So kamen Verträge zustande, die die Weitergabe von Atomwaffen an weitere Staaten weitestgehend verhindern konnten.

Verträge, die Tests von Atomwaffen verbieten.

Verträge, die Obergrenzen für bestimmte Waffenarten und ihre Trägersysteme einführten.

Mit dem INF-Vertrag, der auch ein Ergebnis der gewaltigen Proteste gegen die Stationierung von Pershing 2 und SS-20-Raketen in den 80er Jahren war, gab es sogar einen Vertrag, der eine ganze Gattung, die Mittelstreckenraketen, verbot und zu deren vollständiger Abrüstung führte.

Das Bemerkenswerte: Viele der Verträge kamen während des Kalten Krieges zustande. Also zu einer Zeit, in der sich die beiden Blöcke verfeindet gegenüberstanden. Nichtsdestotrotz kamen Ronald Reagan und Michael Gorbatschow 1985 überein in der Formel:

„A nuclear war cannot be won and must never been fought“
Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.

Denn was bei einem Atomkrieg auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als Alles.

Immerhin konnten die weltweiten Atomwaffenarsenale fast halbiert werden.

Was damals - gegen Ende des Kalten Krieges und in den 90ern - im Bereich der Rüstungskontrolle und der Abrüstung möglich war, erscheint einem heute geradezu utopisch.

Denn was ist davon heute übrig geblieben? Die Antwort ist: Fast nichts mehr.

  • 2002 kündigten die USA den Anti-Balistic-Missile Vertrag.
  • 2018 stiegen die USA aus dem JCPoA aus. Das Abkommen, das den Iran daran hindern sollte, an Atomwaffen zu gelangen.
  • 2019 kündigten die USA und Russland den INF-Vertrag.
  • Im vergangenen Jahr setzte Russland den New-START-Vertrag aus, womit auch die Zukunft des letzten verbliebenen Rüstungskontrollvertrags zwischen den USA und Russland unklar ist.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands sorgt nicht nur für unermesslichem Leid in der Ukraine. Er führt uns auch vor Augen, dass die Gefahr eines Atomkriegs näher ist, als es viele lange Zeit gedacht haben.

Schockierend ist es, wenn aus Moskau die Drohung des Einsatzes von Atomwaffen zu hören ist. Solche Drohungen müssen wir entschieden zurückweisen! Denn wir wissen, dass der Internationale Gerichtshof schon 1996 festgestellt hat, dass die Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen völkerrechtswidrig ist.

Die Bundesregierung macht es sich jedoch sehr bequem: Einerseits verurteilt sie russische Atomdrohungen. Andererseits wird jedes Jahr von Nörvenich aus – das ist keine 40 km von hier entfernt - gemeinsam mit anderen NATO-Staaten der Einsatz von Atomwaffen geübt.

Ich halte das für vollkommen inakzeptabel. Was anderes als eine Drohung ist es, wenn man trainiert, dass man in der Lage und bereit dazu ist, selber Atomwaffen einzusetzen und damit katastrophales humanitäres Leid und gewaltige Schäden an der Umwelt in Kauf nimmt?

Wenn wir über Atomwaffen sprechen, brauchen wir einen Maßstab, den wir an alle Staaten anlegen können. Der Atomwaffenverbotsvertrag, der 2021 in Kraft getreten ist, bietet einen solchen Maßstab. Die Staaten, die nicht auf nukleare Abschreckung setzen, haben mit dem Atomwaffenverbotsvertrag erstmals ihre Position zu Atomwaffen völkerrechtlich festgeschrieben.

Auf dieser Grundlage können sie mit größerer Geschlossenheit und Vehemenz ihr Recht einfordern, den von Atomwaffen ausgehenden Risiken nicht länger ausgesetzt zu sein. Außerdem regelt er auch die Entschädigung von Menschen und Regionen, die den Auswirkungen von Atomwaffeneinsätzen und Atomwaffentests ausgesetzt waren - und oft noch heute darunter leiden.

Auch wenn der Vertrag bislang erst von 93 Staaten unterzeichnet wurde, hat er schon konkrete Auswirkungen, auch für uns. Ihr erinnert euch an die unsägliche Debatte zu Beginn des Jahres, in der es um eine sogenannte Euro-Bombe ging. Mal abgesehen davon, dass eine nukleare Bewaffnung der EU ohnehin im Widerspruch zu bestehenden Verpflichtungen stehen würde, an die alle EU-Mitgliedsstaaten durch den Nichtverbreitungsvertrag gebunden sind, wäre eine gemeinsame Verfügung über Atomwaffen innerhalb der EU dank des Atomwaffenverbotsvertrags nicht möglich – denn: mit Irland, Österreich und Malta gibt es bereits EU-Staaten, die dem AVV beigetreten sind und so einer Konsensentscheidung zu einer EU-Bombe unverrückbar im Wege stehen.

Worüber es hingegen wieder eines Konsens bedarf, ist, das sich Hiroshima und Nagasaki niemals wiederholen dürfen.

Doch so lange es Atomwaffen gibt, kann diese Gefahr nicht ausgeschlossen werden – sei es, weil Atomwaffen bewusst in einem Krieg eingesetzt werden; oder auch, weil es durch technische Defekte oder Fehlwahrnehmungen zu einem Atomkrieg „aus Versehen“ kommen könnte. Schon viele Male, entging die Welt nur durch Glück einer nuklearen Katastrophe! Aber auf Glück können wir uns nicht ewig verlassen. Der Glaube, wir könnten langfristig auf nukleare Abschreckung setzen und Tausende Atomwaffen 24 Stunden am Tag einsatzbereit halten, ohne dass sie jemals eingesetzt werden, ist bestenfalls naiv. 

Wenn wir also von „Hiroshima und Nagasaki mahnen!“ sprechen, muss damit gemeint sein, dass wir uns entschieden gegen alle Atomwaffen aussprechen – egal ob es russische, amerikanische, chinesische, französische oder sonst welche sind.

Von der Bundesregierung fordern wir daher:

  • Sich für Deeskalation, Rüstungskontrolle und Abrüstungsinitiativen einzusetzen,
  • das Ende der nuklearen Teilhabe und den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzuleiten, und
  • Dem Atomwaffenverbotsvertrag endlich beizutreten!

Und euch möchte ich einladen am 12. Oktober zu der Demo gegen die Atomkriegsübung Steadfast Noon in Nörvenich zu kommen, damit wir gemeinsam ein klares Zeichen setzen: Wir finden es nicht in Ordnung, wenn sich die deutsche Luftwaffe an Atomkriegsübungen beteiligt. Wer ein weiteres Hiroshima, ein weiteres Nagasaki verhindern will, darf auch nicht zulassen, dass Atombombenabwürfe geübt werden.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

 

Marvin Mendyka ist Mitarbeiter des Netzwerks Friedenskooperative in Bonn.