Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 2. August 2024 in Baf Kreuznach

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
sehr geehrte Damen und Herren,

als 10-Jähriger erlebte ich die Angst vieler Menschen, auch die meiner Mutter, vor einem neuen Krieg, 17 Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges.

Es war die Zeit der sog. Kubakrise, als die USA vor ihrer Haustür keine Atomraketen dulden wollten, die ihre Hauptstadt und andere Zentren hätten erreichen können.

Niemand in den USA sagte, Kuba ist ein souveräner Staat, kann selbst entscheiden, mit wem es sich verbündet und welche Waffen dort aufgestellt werden.

Gegen die Hardliner beider Seiten einigten sich Chruschtschow und Kennedy. Die sowjetischen Raketen wurden abgezogen.

Und bald darauf die US-amerikanischen Jupiter-Atomraketen aus Italien und der Türkei, auf welche die Sowjet-Union reagiert hatte.

Die Sicherheitsinteressen beider wurden berücksichtigt.

Der Weg dahin waren Verhandlungen.

Mit wem? Mit dem Feind. Mit wem sonst?

So zitiere ich sinngemäß Uri Avnery, den großen alten Mann der israelischen Friedensbewegung.

Ich mache einen Zeitsprung.

Als in den 70ern bekannt wurde, dass die USA in der BRD und anderen Ländern erstschlaggeignete Atomwaffen Pershing II und Cruise Missile stationieren wollten, setzte eine öffentliche Debatte ein, gab es erste Proteste.

Und auch eine Zeitenwende. Erstmals trieb ein sozialdemokratischer Kanzler einen Aufrüstungsprozess mit voran, stimmte nicht nur zu, wie eine frühere SPD-Führung 1914 den Kriegskrediten, oder akzeptierte etwas nachträglich, wie in Sachen Wiederbewaffnung der BRD.

Zwei Tage von dem Aufstellungsbeschluss vom 12.12.1979, euphemistisch auch „Nachrüstungsbeschluss genannt“, demonstrierten in Brüssel Tausende, darunter auch rund 50 von Bad Kreuznach mit einem Bus angereiste Friedensbewegte.

An anderer Stelle sang damals Hannes Wader: „Ja, auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun...“

Und so glaubten in den 80er Jahren Millionen nicht mehr, dass diese Raketen eine Antwort auf sowjetische seien und den Frieden sicherten, sondern erkannten, dass sie die Gefahr eines auf Europa begrenzten Atomkrieges zwischen den USA und der Sowjet-Union heraufbeschworen. Danach hätten die Überlebenden die Toten beneidet.

Millionen gingen auf Straßen und Plätze, nicht nur in Bonn, auch 180.000 im Hunsrück, wo bei Hasselbach die Atomraketen stationiert werden sollten.

Nachdem 1982 die Regierung Schmidt durch die des Helmut Kohl abgelöst wurde, setzte sich auch in der SPD und in den Gewerkschaften der Wille der Basis durch. U. a. sprach Willi Brandt im Bonner Hofgarten vor Hunderttausenden. Auch von Bad Kreuznach fuhren Busse mit Gewerkschaftsmitgliedern nach Bonn.

Die Friedensbewegung errang die geistige Hegemonie in der BRD.

Es musste verhandelt werden. Mit wem? Mit dem Feind natürlich!

Die Großmächte Sowjet-Union und USA einigten sich schließlich auf den INF-Vertrag, der landgestützte Raketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 km verbot. Sie wurden abgebaut und verschrottet.

Wieder wurden die Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichtigt.

Wie jeder hatte auch dieser Erfolg viele Väter, aber ohne das Engagement von Millionen hättet es anders kommen können.

Ich mache einen weiteren Zeitsprung. Nach anderen Abrüstungsverträgen kündigten die USA 2019 den INF-Vertrag auf. Vorgeblich wegen angeblicher russischer Verstöße. Russische Angebote, das vor Ort zu verifizieren, wurden ausgeschlagen. Und jetzt fühle ich mich um 45 Jahre zurückversetzt.

Jüngst verkündeten die USA, ab 2026 wieder Raketen bei uns zu stationieren, deren Gefahrenpotential bezüglich eines Erstschlags nicht geringer ist als die früherer.

Wurde vor und vor allem nach 1979 öffentlich diskutiert, wurde jetzt nur noch informiert und von Kanzler Scholz samt der ganz großen Hochrüstungskoalition in Berlin begrüßt.

Und verharmlost. Es seien ja keine Atomraketen.

Mit genug Sarkasmus könnte ich sagen, dass da Einige großes Vertrauen in die sonst geschmähte russische Führung haben. Glaubt man, dass die bei Vorwarnzeiten von 6 bis 12 Minuten erst mal auf den Einschlag wartet, um zu sehen, ob da ein konventioneller oder ein atomarer Sprengkopf im Anflug war?

Alleine schon die Gefahr eines durch einen Fehlalarm ausgelösten Atomkrieges sollte Grund genug sein, solche Waffen nicht zu stationieren.

Zum Glück kommt jetzt Kritik auf, auch aus der SPD. Vor 45 Jahren tat sich da der damalige SPD-OB von Saarbrücken hervor, der sich mit seinem Kanzler in der Frage anlegte. Jetzt hört man Namen wie Mützenich und Stegner, die sich kritisch äußern. Besonders klar verurteilt Klaus von Dohnanyi, ein Urgestein der SPD, die Raketenpläne.

Die weitere Eskalation in Richtung auf einen möglichen großen Krieg wird gegangen vor dem Hintergrund aktueller Kriege, nicht nur in der Ukraine und in Palästina.

Es würde den Rahmen dieser Rede sprengen, da detailliert darauf einzugehen, aber wichtig ist zu erkennen, dass Kriege zumeist lange Vorgeschichten haben.

Der Krieg in der Ukraine begann nicht erst im Februar 2022. Manche sagen 2014, z.B. am 9. Mai 2014 mit dem bewaffneten Überfall faschistischer Milizen aus der Westukraine auf die friedlich den Tag der Befreiung feiernden Menschen in Mariupol.

Und der Krieg in Palästina begann nicht im Oktober 2023 mit dem Angriff der Hamas auf Israel, auch nicht mit der Nakba von 1948, sondern schon vor über 100 Jahren mit dem, was die dort heimischen Menschen als Siedlerkolonialismus erlebten.

So wenig der Zweite Weltkrieg am 3. September 1939 durch die Kriegserklärung Frankreichs und Großbritannien an Deutschland begann. Eine verzerrte Sichtweise, mit der ich als junger Mensch bis in die 70er Jahre hinein z.B. von Arbeitskollegen aus der Kriegsgeneration konfrontiert war.

Auch bei den aktuellen Kriegen muss verhandelt werden.

Mit wem? Auch hier, mit dem Feind! Mit wem sonst?

Schwierig wird es, um eine staatliche Stimme aus Doha zu zitieren, „zu verhandeln, wenn eine Seite den Verhandlungsführer der anderen Seite ermordet!“

In Gesprächen höre ich zu oft eine Art Hoffnungslosigkeit, weil sich, anders als in der 80ern, nicht längst eine stärkere Friedensbewegung entwickelt habe. NOCH nicht, wie ich hoffe.

Die Gründe sind sicher vielfältig. Damals lebten noch viele Kriegsteilnehmer bzw. frühere Kriegskinder, die aus eigener Erfahrung wussten, was Krieg bedeutet. Es war allen die Entspannungspolitik von Willi Brandt, der später selbst im Bonner Hofgarten gegen die Raketenstationierung sprach, gegenwärtig. Auch die Medienlandschaft war eine andere, ohne Privatfernsehen. Viele Redaktionen hielten noch die Trennung zwischen Kommentar und Bericht ein.

Und dennoch: als Gruppe Aktiv für Frieden standen und stehen wir seit Mitte 2018 schon runde 70 mal hier, auch im März 2022 und danach. Wir stellen fest, dass der Anteil jener Menschen, deren Denken dem unseren nahe steht, weitaus größer ist, als das die veröffentlichte Meinung vermuten lässt.

Es ist eine unserer Aufgaben, auch diese Menschen zu unterstützen, ihnen Mut zu machen, zu sagen „Ihr seid nicht allein“, damit auch sie Mut und Kraft finden, sich anderen gegenüber zu bekennen, andere für die Friedensbewegung zu gewinnen.

Mut macht mir auch, dass der Aufruf „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“ bis dato 6.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus den 8 Mitgliedsgewerkschaften des DGB hat.

Nochmals zitiere ich Hannes Wader, mit eigenem Optimismus bezüglich der beiden letzten Zeilen:

„…. fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein,
Dann kann es gescheh'n, daß bald niemand mehr lebt,
Niemand, der die Milliarden von Toten begräbt,
Doch es finden sich mehr und mehr Menschen bereit
Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit“.

 

Volker Metzroth ist aktiv beim Netzwerk am Turm in Bad Kreuznach.