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Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Nürnberg
- Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
wir gedenken heute der Opfer der US-amerikanischen Atombomben in Hiroshima und Nagasaki, am 6. bzw. 9. August 1945, denen bis Ende 1945 ungefähr 200.000 Menschen zum Opfer fielen. Was geht uns das heute an?
In seiner ersten Radioansprache nach der Bombardierung von Hiroshima behauptete der damalige US-Präsident Truman, der diese Einsätze befohlen hatte:
"Die Welt wird zur Kenntnis nehmen, dass die erste Atombombe auf Hiroshima geworfen wurde, eine Militärbasis." - "Wir wollten in diesem ersten Angriff so weit wie möglich die Tötung von Zivilisten vermeiden." (eigene Übersetzung)
Wir wissen heute, dass beides Lügen waren. Warum hat Präsident Truman so gelogen?
Er befürchtete wohl, dass diese Namen - Hiroshima und Nagasaki - in Zukunft mit der massenhaften Tötung von Menschen durch Atombomben verbunden sein werden. Genau deshalb sind wir heute hier, 79 Jahre später.
Wir gedenken der Opfer von damals: Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki!
Ich war kürzlich eine Woche in Genf, wo die Vorbereitung für die nächste Konferenz des Nichtweiterverbreitungsvertrags stattfand. Das Ziel dieses Vertrags, der 1970 in Kraft trat, ist es, die Ausbreitung der Atomwaffen verhindern, denn eine Welt mit vielen Atomwaffenstaaten wäre total gefährlich. Die wichtigsten Regelungen:
Die Atomwaffenstaaten - USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - dürfen Atomwaffen nicht weitergeben, die Nicht-Atomwaffenstaaten - z.B. Deutschland - dürfen keine entgegennehmen oder selbst entwickeln. Das sieht extrem einseitig aus: dieser Deal kam nur zustande, weil die Atomwaffenstaaten die Pflicht zur Abrüstung ihrer Arsenale übernommen haben. So trat das 1970 in Kraft, befristet auf 25 Jahre, und wurde 1995 auf unbegrenzte Zeit verlängert.
Alle 5 Jahre trifft man sich, um festzustellen, ob die Verpflichtungen eingehalten wurden. In den Jahren davor gibt es Vorbereitungskonferenzen - und bei so einem Treffen konnte ich als Beobachter der Zivilgesellschaft dabei sein. Warum habe ich das gemacht? Ich wollte erleben, ob und wie die Diplomatie funktioniert in Zeiten zunehmender Konfrontation, schwindenden Vertrauens, realer Kriege und zunehmender atomarer Eskalationsgsgefahr. Leider muss ich sagen: ich war entsetzt!
Der Kern des Problems dieser Konferenzen: seit 25 Jahren nehmen die Atomwaffenstaaten ihre Abrüstungsverpflichtung nicht mehr ernst! Für die Nicht-Atomwaffenstaaten ist das der wichtigste Punkt, sie verlangen - mit Recht - konkrete Aktionen, Zeitpläne, überprüfbare Abrüstungsschritte usw. Die Atomwaffenstaaten aber verweisen auf die gefährliche Weltlage, die sie eigentlich selbst zu verantworten haben.
Und: USA und NATO zeigen auf Russland, das die internationale Sicherheitsordnung zerstört habe. Deshalb könnten sie auf ihre "Abschreckungswaffen" leider nicht verzichten.
Für die Staaten des globalen Südens bedeuten diese Waffen keine Sicherheit, stattdessen müssen sie - als Unbeteiligte - gegebenenfalls die Folgen des Atomkriegs mittragen. Ihre Interessen sind also "Atomwaffenfreie Zonen", deren Respektierung sie von den Atommächten verlangen, und der von ICAN initiierte Atomwaffen-Verbotsvertrag. Dieser wurde 2017 von 2/3 der UN-Vollversammlung beschlossen, er schafft eine internationale Norm gegen Atomwaffen. Seit 2021 ist er in Kraft, die Zahl der Unterschriften steigt weiter. Wir fordern auch von Deutschland den Beitritt zum Atomwaffen-Verbotsvertrag. Die Welt will eine Zukunft ohne atomare Bedrohung: Nie wieder Hiroshima! Nie wieder Nagasaki
Die Sichtweise der Atomwaffenstaaten wird besonders deutlich, wenn man die jährlich steigenden Ausgaben für die "Modernisierung" der Atomwaffen sieht. ICAN hat das veröffentlicht, allein 2023 wurden 90 Milliarden ausgegeben, der größte Brocken davon die USA. Die Langfristigkeit dieser Programme zeigt, dass diese Staaten überhaupt nicht daran denken, ihre die ganze Welt gefährdenden Massenvernichtungsmittel irgendwann aufzugeben! Das ist offensichtlich nicht vereinbar mit ihren Verpflichtungen aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag!
Für Länder "unter dem US-amerikanischen Atomschirm" ist die atomare Abschreckung eine hochgradig gefährliche Illusion. Es ist offensichtlich: Atomwaffen können nichts abhalten wie ein Regenschirm, das ist ein irreführendes Bild. Gerade im Krisenfall, egal ob dieser durch bewusste Aktion oder eine menschliche oder technische Fehlleistung, egal von welcher Seite ausgelöst wurde, zeigt sich, dass es hier keine Sicherheitsreserven gibt, sondern nur geplante Eskalation. Das "Gleichgewicht des Schreckens" ist nicht stabil!
Für Deutschland kommt verschärfend dazu, dass sich hier wichtige US-Kommandozentralen befinden, die im Kriegsfall Primärziele für Russland sind. Auch die sogenannte "Nukleare Teilhabe" erhöht nur das Risiko: NATO-Staaten wie Deutschland unterhalten Atombomber - mit denen deutsche Piloten im Kriegsfall US-amerikanische Atombomben einsetzen können. Wie soll das mit dem deutschen Atomwaffenverzicht vereinbar sein?
Und jüngst, beim NATO-Jubiläum in Washington, wurde noch draufgesattelt: ab 2026 sollen Mittelstreckenwaffen, konkret Raketen und Marschflugkörper in Deutschland stationiert werden, die bis weit ins Herz Russlands reichen! Auch wenn diese nicht atomar bewaffnet sind, stellen sie durch ihre Eigenschaften, Schnelligkeit und Zielgenauigkeit eine strategische Bedrohung Russlands von deutschem Boden aus dar! Genau wie vor 40 Jahren die Pershing-2 und Cruise Missiles des sogenannten "Nachrüstungsbeschlusses"!
Kann man sich irgendwas noch Gefährlicheres denken? Die Bundesregierung bietet unser Land als Startrampe an, dadurch befinden wir uns in der Zielkoordinate, wir sind die Geiseln, wir könnten die ersten Opfer auf dem atomaren Schlachtfeld Mitteleuropa werden!
Da wünsche ich mir, dass eine neue Friedensbewegung entsteht, wie damals vor gut 40 Jahren. Bleiben wir dabei: Nie wieder Hiroshima! Nie wieder Nagasaki!
Es gibt nur eine Lösung: Atomwaffen abschaffen!
Wolfgang Nick ist aktiv beim Friedensmuseum Nürnberg.