Redebeitrag von Anne Rieger (Bundesschuss Friedensratschlag) für den Ostermarsch Berlin am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.04., Redebeginn: ca. 14 Uhr -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Als ich vergangenen Woche von den Kriegstoten in Syrien hörte, fielen mir sofort meine syrischen Freunde ein, denen ich ehrenamtlich helfe, unsere Sprache zu erlernen.

Ich sah ihre traurigen Augen vor mir, wenn sie von zu Hause, von ihrer Heimat, vom Vater, der Mutter, den Geschwistern, mit ihren spärlichen Deutschkenntnissen erzählen, manche noch halbe Kinder, geflohen vor dem Krieg, oft auch vor dem Kriegsdienst.

Und sofort kam mir in den Kopf:

Wenn es doch keine Waffen gäbe, keinen beständigen Nachschub an Waffen in Kriegs- und Krisenregionen, dann hätten sie nicht von zu Hause fliehen müssen.

 

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

Wir stehen hier, weil wir die Fluchtursachen bekämpfen wollen

Das heißt für uns: Abrüsten sofort

Zivile Produktion statt Rüstungsproduktion

Rückruf aller SoldatInnen in die Kasernen

Kooperation statt Konfrontation

Wie fordern: die Waffen nieder.

Deutschland, wie die ganze Welt, ist verpflichtet abzurüsten.

Aber Deutschland, mit seiner monströsen Vergangenheit hat besondere Verantwortung, hier mit positivem Beispiel voran zu gehen. Zweimal bereits haben deutsche Großkonzerne mit deutschen Regierungen Eroberungskriege geführt. Leben, Umwelt und Infrastruktur wurde millionenfach vernichtet. Immer war das Ziel höhere Profite für Konzerne. Damit muss endlich Schluss sein

Wir stehen heute hier, damit solcher Terror nicht zum dritten Mal geschieht

Wir fordern von Frau Merkel Sofortiger Stopp aller Auslandseinsätze der Bundeswehr! Holen sie die deutschen Soldaten zurück aus den 16 Militäreinsätzen aus Europa, Asien und Afrika. Rüsten Sie die deutsche Bundeswehr ab, statt sie mit unseren Steuergeldern noch weiter aufzurüsten

Es ist absurd.

Der Militäretat für 2017 wird um 2,7 Milliarden Euro, auf 37 Milliarden Euro erhöht. Also um acht Prozent. Der Regelsatz für Hatz IV Empfänger dagegen um gerade mal 1,2 Prozent von 404 auf 409 Euro. Diesen Zynismus lehnen wir ab!

Rüstungskonzerne dagegen können derweil jubeln: Im Geschäftsjahr 2016 stieg der Umsatz des Düsseldorfer Kriegsunternehmens Rheinmetall bereits um acht Prozent auf 5.602 Millionen Euro.

Eine Steigerung der Rüstungsausgaben soll nun Jahr für Jahr erfolgen. Auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bis zum Jahr 2024. Diese jährlich Erhöhung des Militärhaushaltes beträgt 25 Mrd. Euro. Dafür kann man entweder 1.800 Schützenpanzer oder 60 Eurofighter bauen. Oder gut 1 Mio Sozialwohnungen

Wir brauchen die Sozialwohnungen, keine Panzer keine Eurofighter –

Der Wahnsinn der Militärausgaben muss beendet werden.

Arbeitsplätze müssen und dürfen dabei nicht verloren gehen. Deswegen ist es nötig, gemeinsam mit den Beschäftigten in der Rüstungsindustrie darum zu kämpfen, dass die Gelder, die für Waffen und Kriegsgerät ausgegeben werden, stattdessen für sozial und ökologisch nützliche Produkte und Dienstleistungen verwendet werden.

Denn wie mein Kollege vom IG Metall Vorstand gesagt hat:

„Hat ein Ingenieur die Wahl zwischen einem Job in einem Autokonzern oder einem Rüstungsbetrieb, entscheidet er sich nicht unbedingt für letzteren“. RüstungsarbeiterInnen sind in einem Dilemma, das lautet:
Erst kommt das Fressen und dann die Moral“

Denn RüstungsarbeiterInnen sind in erster Linie lohnabhängig Beschäftigte in einer privatkapitalistisch organisierten Produktion – wie Kolleginnen und Kollegen in Betrieben mit ziviler Fertigung. Ihr Bewusstsein und ihr Interesse werden durch die Angst um den Arbeitsplatz geprägt. Für die in der Rüstungsindustrie Beschäftigten hat der Erhalt ihres Arbeitsplatzes genau die gleiche Bedeutung wie für die Beschäftigten in der zivilen Produktion. Diese Abhängigkeit von ihrer Existenzgrundlage wird In der Diskussion um Frieden und Abrüstung meist viel zu wenig berücksichtigt.

Unsere gewerkschaftliche Position ist Frieden und Abrüstung – Dabei müssen Arbeitsplätze im Rüstungsbereich durch Umstellen auf zivile Fertigung langfristig gesichert werden.

Die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie sind hochqualifiziert und in der Lage, in anderen Bereichen zu arbeiten, wenn dafür Finanzmittel, ein Fonds für die Umstellung und die Qualifizierung der Beschäftigten zu Verfügung gestellt werden.

Sparten liegen auf der Hand:

  • Ökologie,
    • Die Vernichtung der Umwelt muss gestoppt, vorhandene Schäden repariert werden.
    • Erneuerbare Energie muss sowohl die Verbrennung fossiler Rohstoffe als auch die Atomenergie ersetzen
    • Energie-effizientere Anlagen, Maschinen und Geräte in Industrie, Öffentlichem Bereich und privaten Haushalte
    • müssen vorhandene ersetzen,
  • Technische Hilfen für unsere alternde Gesellschaft schreien geradezu nach Entwicklung und Produktion
  • zivile Sicherheitstechnologien sind vonnöten.
  • Sanfte Mobilität muss entwickelt und produziert werden
    wollen wir unseren Planeten nicht umbringen.

Betriebsräte und Kolleginnen und Kollegen aus Rüstungsbetrieben bestätigen, dass sie jetzt schon in der Lage wären, zivile Produkte herzustellen. Beispiele wie beim Navigationshersteller Litef in Ba-Wü zeigen, dass das in Kooperation von Beschäftigten, IG Metall und Management möglich ist und Arbeitsplätze dabei langfristig gesichert werden.

Dafür fordern wir von der Bundesregierung diesen Rüstungskonversionsfonds, mit einem Antragsrecht der IG Metall und der Betriebsräte. Denn es sind unsere Steuergelder – und deswegen geben wir Frau Merkel diesen Auftrag.

Ein erster Schritt wäre, die Ausgaben des sog. Verteidigungsministeriums sofort einzufrieren und eben nicht auf 37 Mrd. Euro zu erhöhen.

Der zweite Schritt wäre dann, die geplanten zusätzlichen 130 Mrd. Euro für die nächsten Jahre nicht für Kriegsgerät auszugeben, sondern dem Konversionsfonds zu zuführen und gemeinsam mit den Beschäftigten, ihren Betriebsräten und der IG Metall darüber zu beraten, wie die ersten Schritte einer solchen Umstellung erfolgen sollen.

Der dritte Schritt sollte dann die 5 prozentige Kürzung der Verteidigungsausgaben sein.

Die IG Metall ist bereit Schritte in Richtung Umstellung und zivile Ausweitung der Produktpaletten der Betriebe zu gehen, also zu Konversion und Diversifikation. Sie hat beschlossen, in Schwerpunktregionen der Rüstungsindustrie auch selber Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Aktivitäten zum Thema Rüstungskonversion und Diversifikation zu unterstützen um Betriebsräte und Belegschaften vor Ort bei der Suche nach anknüpfungsfähigen Produkten für zivile Märkte zu ermutigen.

Das ist ein wichtiger Schritt, denn nur mit den Beschäftigten kann man das Thema erfolgreich angehen. Ohne sie oder gar gegen sie wird es scheitern.

Deswegen lasst uns gemeinsam mit Beschäftigten, IG Metall und dem Management

  • nach zivilen Alternativen suchen
  • und Druck auf die Regierung entwickeln,
  • damit die Finanzmittel für den Konversionsfond locker gemacht werden.

Wir wollen nicht, dass noch mehr Menschen vor Krieg und Krise ihre Heimat verlassen müssen.

Auch die wachsende Konfrontation gegenüber Russland muss beendet werden. Zum Ziel führen nur Verhandlungen auf Augenhöhe gleichberechtigte Staaten. Der Truppenaufmarsch an der Grenze zu Russland, zusammen mit den aggressiv angelegten Großmanövern verschärft aber die Krisensituation. Sanktionen schaden den Menschen hier wie dort, schadet der europäischen Wirtschaft. Sie führen zu keinem für alle Seiten befriedigenden Ergebnis.

Wir weigern uns, das uns politisch und medial vorgegebene Schwarz-Weiß-Schema zu übernehmen. Wer in Russland den alleinigen Störenfried und Aggressor sieht, hat von den Verhältnissen in und um die Ukraine wenig verstanden. Die Urheberschaft für die internationalen Spannungen in Osteuropa liegt in der Politik von EU und NATO, die beide ihre Grenzen weiter an Russland herangeschoben haben und die Ukraine mit einem Assoziierungsvertrag wirtschaftlich knebeln und militärisch gegen Russland in Stellung bringen wollten.

Dann gab es den Staatsstreich mit westlicher Unterstützung, der Janukowitsch zur Flucht zwang. Die neue Koalition, die auch Faschisten umfasste, die neue geopolitische Situation brachten offensichtlich die russische Führung dazu, ihre Sicherheit im Süden militärisch in die Hand zu nehmen, die Krim zu besetzen und ein Referendum durch zuführen. 97 Prozent der Bevölkerung auf der Krim sprachen sich für Russland aus.

Ich erinnere an 1962. Die USA verhinderten sowjetische Raketen in Kuba, in unmittelbarer Reichweite ihrer Grenzen. Sie wollte 90 Meilen vor ihrem Territorium entfernt keine sowjetischen Raketen haben. Aus eigener Erfahrung hätten sie voraussehen können, dass Russland sich wehren würde, wenn man ihm zu nahe auf den Pelz rückt, genauso, wie es die USA damals taten.

Ausgewiesene Völkerrechtler streiten bis heute darüber, ob die Übernahme der Krim durch Rußland legal war – es gibt unter den Experten unterschiedliche Meinungen. Verständlich war sie auf alle Fälle und sie war im Einklang mit der dort lebenden Bevölkerung.

Die Neue Osnabrücker Zeitung verlangt von der EU mehr Verständnis für Russland und erinnert:

"Obwohl der vom Westen geförderte Sturz der Regierung in Kiew den Ukraine-Konflikt eskalieren ließ, gilt Moskau als größter Schuldiger. Alles aber, was heute als russische Aggression gebrandmarkt wird, geschah nach dem Putsch, nicht davor. Wie wäre es – so die Osnabrücker Zeitung - eine gemeinsame Linie und den Ausgleich von Interessen zu suchen?“ (Zitat Ende)

Genauso ist es, Frieden in Europa kann es nur gemeinsam mit Russland geben

nicht mit militärischen Drohungen, nicht mit wirtschaftlichen Sanktionen!

Nur in respektvoller Zusammenarbeit auf der Grundlage des Völkerrechts kann es zur gemeinsamen Bewertung globaler Probleme und zu gemeinsamer Entwicklung kollektiver Lösungen kommen.

Diese respektvolle Zusammenarbeit verlangen wir von Frau Merkel

Denn wir wollen Frieden!

 

Anne Rieger ist Co- Sprecherin Bundesausschuss Friedensratschlag und ehem. IG Metall-Bevollmächtgte in Waiblingen, Baden-Württemberg.