Redebeitrag von Gerhard Trabert für den Ostermarsch Mainz-Wiesbaden am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.04., Redebeginn: ca. 12 Uhr -

 

Fluchtursachen und wie die europäische Flüchtlingspolitik und Sozialpolitik versagt

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich habe geflüchtete Menschen in der ganzen Welt als Arzt immer wieder behandelt. Zuletzt in Syrien in Ayn Issa, 50 Kilometer von dem umkämpften Raqqa entfernt.

Ich habe das Leid dieser Menschen in den Krisenregionen miterlebt. Ihre Angst, ihren Schmerz, ihre Hoffnungslosigkeit. Aber auch ihre Dankbarkeit, ihre, trotz all dem Erlebten, Freundlichkeit. Ihr dankbares Lächeln uns gegenüber, diese kleine Geste der Fürsorge, der Empathie, der Wertschätzung zu erleben. Es war für mich immer schwer diese Ungerechtigkeit, diese Not der Menschen vor Ort zu erleben, zu spüren, dies alles zu verstehen, was nicht zu verstehen ist. Die Ungerechtigkeit an einem Ort, ist eine Bedrohung der Gerechtigkeit an allen Orten.

Ich konnte nach 2 oder 3 oder auch 4 Wochen wieder zurück nach Deutschland. Ich kam in eine Region die reich ist, in der es für wohlhabende Menschen, wie mich, alles gibt. In der auch Armut existiert, ja sogar zunimmt, da soziale Ungerechtigkeit diese, meine Gesellschaft, prägt. Und jetzt ist dieses Flüchtlingselend direkt vor meiner Tür. Ich behandle geflüchtete Menschen nicht mehr in Afghanistan, im Libanon oder Syrien, ich behandle in der Wormserstr. oder der Zwerchallee in Mainz. Und das Tragische, auch hier bei uns, ist keine wirklich funktionierende medizinische Versorgung die Regel. Ich komme in Unterkünfte in denen Kinder krank sind, aber kein Krankenschein vom Sozialamt vor Ort ist und somit der sowieso schwierige Besuch in einer Arztpraxis unmöglich ist. Schwangere die keinen Termin beim Frauenarzt bekommen. Chronisch Kranke die nicht richtig behandelt werden. Notfälle bei denen ärztliche Kollegen die Behandlung verweigern. Notwendige Therapien von der Sozialbehörde abgelehnt oder hinausgezögert werden. Eine Sozialbehörde die dringend notwendige Brillen für Kinder nicht bezahlt. Ein Radiologie-Zentrum eine notwendige Röntgenaufnahme verweigert, da sie erst den Originalbehandlungsschein, eine Überweisung und eine Kostenzusage der Sozialbehörde einfordert.

Eine Bundespolitik die mehr mit Abschieberegelungen, der Einführung von Obergrenzen und dem Schließen von Grenzen beschäftigt ist, als mit einer menschenrechtskonformen Betreuung von geflüchteten traumatisierten Kindern, Frauen und Männern. Ich ertrage diese Ignoranz, diese Gleichgültigkeit, diese Heuchelei nicht mehr.

Die Menschen fliehen nicht nach Deutschland weil hier das Paradies ist, sondern in ihren Heimatländern die Hölle. Sie fliehen vor Krieg und Bürgerkrieg, existentiell bedrohlicher Armut, Umwelt - Katastrophen (Dürreperiode nehmen zu!; z.B. Somalia, Jemen), vor Diskriminierung und Verfolgung von sozialen Gruppen: - sexuelle Orientierung, - religiöse Zugehörigkeit,- Genitalverstümmelung; Zwangsheirat usw.

Der Feind ist schon längst in uns selbst, wenn wir die Menschen vergessen, wenn der Tod und das Leid von Flüchtlingen zu einer Routinemeldung der Nachrichtenagenturen werden.

Wir dürfen nicht vergessen, wir müssen hinschauen und wir müssen die politisch Verantwortlichen mit den Konsequenzen ihrer Politik konfrontieren. Die dazu führt, dass Menschen an den europäischen Grenzen Sterben. Die mitverantwortlich am Tod von Tausenden Bootsflüchtlingen im Mittelmeer ist.

Die Wurzeln des Terrorismus kann man nachhaltig nicht mit Gewehrkugeln und Bomben bekämpfen, sondern mit einem Stück Brot (Versorgung mit Lebensmitteln), der Kreidetafel (Bildungsmöglichkeiten) und dem Stethoskop (medizinischer Versorgung). Die Menschen aus Bürgerkriegs- und Armutsregionen auf dieser Erde haben das Recht in die Sicherheit zu fliehen. Es ist ihr Menschenrecht und nicht unsere Barmherzigkeit. Und wir haben die Pflicht und Verantwortung, in Solidarität mit den Betroffenen, für sie da zu sein. Das viertreichste Land der Erde, dass reichste europäische Land hat die finanziellen und personellen Ressourcen , auch mehr als eine Million geflüchtete Menschen zu versorgen. Wenn wir es wirklich wollen!

Wir sollten uns empören und Widerstand leisten, den rechtsradikalen rassistischen Parolen in unserem Land gegenüber. Die oft unter dem Deckmantel der Sorge, versuchen hoffähig zu sein und auch vor der Androhung und Praktizierung von Gewalt nicht zurückschrecken. Und wir müssen diesen notleidenden Menschen bei uns oder wo auch immer auf dieser Erde, zur Seite stehen. In Solidarität und Fürsorge. Wir müssen die Menschenrechte leben und nicht immer wieder nur darüber reden. Wir sind ein reiches Land, in dem der Reichtum ungerecht verteilt ist. In dem Armut produziert und nicht wirklich bekämpft wird.

Die Politik ist erstaunt, irritiert und teilweise empört über das Erstarken von Rassismus und Rechtspopulismus. Dabei ist die deutsche und europäische Politik eine der Hauptschuldigen und Verantwortlichen für diese Entwicklung.

Verantwortlich, weil sie selbst Angst und Vorurteile erzeugt, transportiert und schürt!

Eine deutsche Sozialpolitik die nur noch rudimentär vorhanden ist und schon lange diesen Namen nicht mehr verdient. Sie bewirkt, dass Armut zunimmt, dass immer mehr Menschen, trotz Arbeit und Beschäftigung - aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen und Versorgungsstrukturen - ihre Miete nicht regelmäßig zahlen können, das Heizen in ihrer Wohnung einschränken, sich keine adäquate medizinische Versorgung leisten können. Die Menschen haben Angst vor einem sozialen Abstieg, da der Sozialstaat abgebaut wird und die Lücken im sozialen Versorgungsnetz immer großmaschiger werden. Und dann wird Armut gegen Armut ausgespielt. Das erfolgt in verschiedenen Kommunen, indem betont wird, dass aufgrund der Asylbewerber Gelder in der Betreuung von sozial benachteiligten Menschen, zum Beispiel wohnungslosen Bürgern, umverteilt werden müssten. Hier fördert und erzeugt die Kommunal-, Landes- und Bundespolitik Ressentiments gegenüber Asylbewerbern, geflüchteten Menschen, Menschen mit einem Migrationshintergrund.

Unser Reichtum ist das Problem! - Die Krankheit!

Die Politik fördert privaten Reichtum und nimmt öffentliche Armut (finanzielle Armut der Kommunen) in Kauf. Wieder versteckt man (z.B. die Sozialbürokratie) sich in Deutschland zunehmend hinten Gesetzen und Bestimmungen, legt damit soziale Verantwortung ab, und bedenkt nicht, zu was dieses Verhalten konkret bei davon betroffenen Menschen führt. Pierre Abbé, französischer Theologie, der die Emmaus-Bewegung gründete, sagte einmal: „Habe Respekt vor Gesetzen, wenn diese sich respektvoll in der Anwendung für die Menschen zeigen.“ Gerade Gesetze im Kontext der Behandlung von Asylbewerbern, von geflüchteten Menschen tun dies nicht.

Mahatma Gandhi sagte vor über einem halben Jahrhundert: „Armut ist die schlimmste Form von Gewalt.“ Daran hat sich nichts geändert. „Wer eine Not erblickt und wartet, bis er um Hilfe gebeten wird, ist ebenso schlecht, als ob er sie verweigert hätte.“ Dante Alighieri (Italienischer Dichter und Philosoph 13. Jh.)

Die deutsche und damit die europäische Wirtschafts- und Entwicklungshilfepolitik versagt. Wir benötigen kein größeres militärisches Engagement Deutschlands in der Welt, sondern ein größeres und ehrliches humanitäres Hilfsangebot.

Was hat der Vergeltungsmilitärschlag der USA für die Menschen vor Ort gebracht. Dieses Verhalten repräsentiert den stupiden Automatismus dem die Politik, Hand in Hand mit dem Militär, immer wieder gehorcht. Gewalt wird mit Gewalt begegnet. Man hätte auch ein humanitäres Zeichen setzen können. Hilfskonvois ins betroffene syrische Gebiet senden können. Lieferung von Lebensmittel, Medikamenten, in die Giftgasregion. Behandlung der Giftgasopfer. Schutz von Krankenhäusern und zivilen Einrichtungen. Das hätte den Menschen wirklich geholfen und es wäre ein wirksames humanitäres Zeichen gewesen. Der militärische Vergeltungsschlag hat ca. 60 Millionen € gekostet. Unser Reichtum basiert eben gerade auch auf diesen Geschäften. Mit deutschen Waffen wird permanent getötet, das dürfen wir niemals akzeptieren.

Die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik (siehe EU-Grenzpolizei Frontex) ist verantwortlich für das Leid, den Tod und das Sterben an den Grenzen Europas! Die Schließung der Balkan-Route wirkt wie ein Domino-Effekt. Dann schließt die Türkei die Grenze zu Syrien. Die Menschen müssen in der Folge dieser Politik unter katastrophalen Lebensbedingungen in syrischen Flüchtlingslagern versuchen zu überleben. Und dies in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Eine europäische Abschreckungspolitik, die tausendfachen Tod im Mittelmeer in Kauf nimmt, schürt ein Bedrohungsszenario, das sich auch in Richtung unwerteres Leben entwickelt und interpretieren lässt.

Eine europäische Abschiebepolitik, die sogenannte Dublin III Praxis, die Flüchtlinge kriminalisiert, und die toleriert, dass die häufig traumatisierten Menschen bei Abschiebung, in Gefängnissen landen oder auch in die Wohnungslosigkeit geraten. Die Menschen nach Afghanistan abschiebt, als in Teilen sicheres Herkunftsland bezeichnet, gleichzeitig aber das Mandat des militärischen bundesdeutschen Engagements in dieser Region verlängert.

Stéphan Hessel, ehemaliges Résistance – Mitglied, der das Konzentrationslager Buchenwald der Nazis überlebte, und Mitverfasser der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen war, hat im Jahre 2010 eine bemerkenswerte Streitschrift verfasst, mit dem Titel: „Empört Euch!“. In dieser Streitschrift, kritisiert Hessel die europäische Politik. Dies tut er, indem er die gezielte Unterdrückung, den Verlust an Menschenrechten beanstandet und die Macht des Finanzkapitalismus anprangert. Er schließt mit den Worten: „Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen.“

Leisten wir alle der Fremdenfeindlichkeit, dem Rassismus und dem Rechtspopulismus gegenüber Widerstand. Leisten wir einer Verharmlosung der Aussagen, Inhalte und Meinungen der Mitläufer und Verantwortlichen Widerstand und leisten wir einer ungerechten, unsozialen deutschen und europäischen Politik Widerstand. Eine Politik, die Banken rettet, aber Menschen, diffamiert, abschiebt, ausgrenzt und sterben lässt. Die Waffengeschäfte durchführt und damit das Töten von Menschen billigend in Kauf nimmt. Diese Politik, diese menschenverachtende Politik der etablierten Parteien, unterstützt von einer Marktwirtschaft - speziell Finanzwirtschaft - die ihre soziale Verantwortung abgelegt hat und ignoriert, die hierdurch Rechtspopulismus hauptverantwortlich verursacht hat, diese Politik macht mir Angst.

Im Sinne Albert Camus: Nicht die Revolution ist entscheidend, sondern die permanente, andauernde Revolte. Bleiben wir beharrlich und konsequent in unserer permanenten Revolte gegen soziale Ungerechtigkeit und für die weltweite Einhaltung der Menschenrechte.

 

Gerhard Trabert ist aktiv beim Verein Armut und Gesundheit in Mainz