Redebeitrag von Ingabritt Bossert für den Ostermarsch Bruchköbel am 30. März 2018

 

- Sperrfrist: Redebeginn 30.03.2018, ca. 10 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ostermarsches 2018 in Bruchköbel,

Ich spreche heute hier im Namen der GEW, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. Ich bin Ingabritt Bossert, das ist Heinz Bayer, wir sind zusammen die Kreisvorsitzenden des Kreisverbandes Hanau. Wir werden versuchen euch so etwas wie eine „manuelle Power-Point-Präsentation“ zu zeigen, weil ich euch gleich viele Zahlen um die Ohren hauen werde, die man mit Hilfe unserer Folien hoffentlich besser verstehen wird.

Ich werde in meiner Rede darauf eingehen, welche Kosten Bund und Länder eigentlich investieren müssten, um ruhigen Gewissens sagen zu können, es werde ausreichend in Bildung investiert.

Unser Motto heißt: Bildung statt Rüstung!

Bund und Länder haben sich auf ihrem gemeinsamen Bildungsgipfel am 22. Oktober 2008, also vor knapp 10 Jahren, auf das Ziel verständigt, bis zum Jahre 2015 7 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Bildung und Wissenschaft auszugeben.[1] Das wären bei einem Bruttoinlandsprodukt von rund 3 Billionen Euro[2] immerhin 210 Milliarden Euro gewesen. (Folie 1) Die Folie zeigt, dass das angestrebte Gipfelziel nicht einmal ansatzweise erreicht wurde. Die obere grüne Linie war das Ziel des Bildungsgipfels, die rote, untere Linie ist der derzeitige Stand an Investitionen.

Statt 210 Milliarden, den geplanten 7% des Bildungsgipfels, fließen jährlich nur 130 Milliarden, also nur 4,4 % des Bruttoinlandsproduktes, in die Bildung. Nur um den OECD –Durchschnitt zu erreichen, das sind 5.3 % des Bruttoinlandsproduktes, muss Deutschland 27 Milliarden Euro mehr in Kitas, Schulen und Hochschulen investieren – und zwar jährlich!
Für einen Spitzenplatz oder zur Erreichung des Ziels des Bildungsgipfels von 2008 müsste Deutschland 75 bis 80 Milliarden mehr in Bildung investieren – jährlich![3]

Das wäre aus Sicht der Kitas, Schulen und Hochschulen ein Traum!

Stichwort: Wachsende Schülerzahlen

Im Bereich der Grundschule wird die Schülerzahl ausgehend von 2015 bis zum Jahr 2025 um 450.000 Schülerinnen und Schüler steigen. Es müssen also 19.000 zusätzliche Klassen gebildet und 24.000 zusätzliche Lehrerstellen eingerichtet werden.
Eine ähnliche, allerdings verzögerte Entwicklung zeichnet sich für die weiterführenden Schulen ab. Bis 2030 wird die Schülerzahl in der Sekundarstufe I um 370.000 Schülerinnen und Schüler wachsen. Das bedeutet 15.500 zusätzliche Klassen und 27 000 zusätzliche Lehrkräfte. (Folie 2)
Nur wegen der steigenden Schülerzahlen müssen die jährlichen Bildungsausgaben um 4,7 Milliarden Euro steigen. Das ist auf unserer Grafik der 1. Balken.

Stichwort: Ganztagsschule

Eine vorliegende Studie der Bildungsforscher Klaus Klemm und Dirk Zorn hat berechnet, wie sich ein flächendeckendes Angebot an funktionierenden Ganztagsschulen verwirklichen lässt. Um bis zum Jahr 2025 80 Prozent aller Schüler zu erreichen, müssen weitere 3,3 Millionen Ganztagsplätze geschaffen werden – unter Berücksichtigung steigender Schülerzahlen. Mit adäquaten Qualitätsstandards werden für diesen Ausbau rund 31.400 zusätzliche Lehrkräfte sowie 16.200 weitere pädagogische Fachkräfte wie etwa Erzieher und Sozialpädagogen benötigt. Jährlich fielen dafür etwa 2,8 Milliarden Euro an zusätzlichen Personalkosten an. Das ist der 2. Balken auf der Grafik.

Stichwort: Inklusion

Kinder mit und ohne Behinderung sollen künftig überall gemeinsam zur Schule gehen. Derzeit besucht nicht einmal jedes vierte Kind mit Förderbedarf eine Regelschule. Und es wird Geld kosten, vollständig auf Inklusion umzustellen.

Wie viel? Das hat der Bildungsforscher Klaus Klemm von der Uni Duisburg-Essen für die Bertelsmann Stiftung errechnet. Um Inklusion weitgehend umzusetzen, müssen in den kommenden zehn Jahren bundesweit rund 9300 neue Lehrer eingestellt werden, heißt es in der Studie. Das würde 660 Millionen Euro jährlich kosten.

Zusammengefasst müssen allein für steigende Personalkosten jährlich 8,2 Milliarden Euro zusätzlich aufgebracht werden.

Stichwort: Schulsanierung

Bröckelnde Fassaden, defekte Toiletten, Heizungen, die nicht funktionieren, baufällige Treppenhäuser - quer durch Deutschland klagen Schüler und Eltern über solche Missstände in den Schulen. Von der Grundschule an bis hin zur Berufsschule. Nur wie kommt es, dass bundesweit Schulen regelrecht vor sich hinrotten? Der Grund: Das nötige Geld wird nicht aufgebracht, die Kommunen kriegen die Sanierung und Instandhaltung der Gebäude einfach nicht gestemmt.

Wie umfassend das Ausmaß der Mängel ist, zeigt eine Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Demnach müssten 34 Milliarden Euro in die Modernisierung von rund 53.000 Schulen gesteckt werden. Verteilt auf 10 Jahre sind das jährlich 3,4 Milliarden Euro. (Folie 3) Doch von diesem Pensum ist Deutschland weit entfernt.

Um die notwendige räumliche Infrastruktur für den Ganztagsunterricht aufzubauen, müssten die kommunalen Schulträger insgesamt rund 15 Milliarden Euro investieren.[4] Verteilt auf 10 Jahre sind das jährlich 1,5 Milliarden Euro.

Stichwort: Digitalisierung

Die Politiker hierzulande reden permanent von der Digitalisierung, die auch in den Schulen vorangetrieben werden müsse.  Abgesehen davon, dass das Bildungsniveau nicht automatisch steigt, wenn in jedem Klassenraum, auf jedem Tisch ein internetfähiger Hochleistungsrechner steht, sind die veranschlagten Mittel viel zu gering. Das Bundesbildungsministerium preist seine Initiative für einen „Digitalpakt“ an. Jetzt kommen wir zu den Zahlen, die der Bund tatsächlich plant zusätzlich auszugeben. Zwischen 2018 und 2022 soll 1 Milliarde Euro jährlich in vernetzte Klassenzimmer, Online-Inhalte, Hard- und Softwareausstattung und die Lehrerfortbildungen gesteckt werden. Wir sind bei diesem sogenannten „Digitalpakt“ über einen Zeitraum von 5 Jahren bei insgesamt 5 Milliarden.

Ein Forscherteam vom Institut für Informationsmanagement der Universität Bremen (ifib) kommt hingegen zu ganz anderen Zahlen. Eine "lernförderliche Infrastruktur" würde rund 2,8 Milliarden Euro im Jahr kosten. Allein hier zeigt sich eine Differenz von 1,8 Milliarden zwischen dem was ausgegeben werden müsste und der tatsächlichen Planung - jährlich!

Schauen wir uns jetzt mal wieder unsere Grafik an. In Summe gesehen belaufen sich die notwendigen Investitionen in Schule auf 7,7 Milliarden pro Jahr. Zusammen mit dem Anstieg der Personalkosten, die 8,2 Milliarden aus der vorherigen Grafik, müssten also jedes Jahr 15,9 Milliarden zusätzlich in die Bildung fließen.

Tatsächlich plant die neue, große Koalition unter dem hochtrabenden Titel „Offensive für Bildung, Forschung und Digitalisierung“ Investitionen „auf Rekordniveau“ in bessere Bildung:

2 Milliarden Euro sind geplant für den Ausbau von Ganztagsschul- und Betreuungsangeboten. Der Digitalpakt Schule soll mit 5 Milliarden in fünf Jahren für eine starke Digital-Infrastruktur an allen Schulen sorgen. Insgesamt also gerade einmal 7 Milliarden Euro - und wir sprechen hier nicht von jährlichen Investitionen!

Die von uns errechneten, jährlich notwendigen Investitionen von 15,9 Milliarden Euro stehen den geplanten Investitionen des Bundes von jährlich 1,5 Milliarden Euro deutlich gegenüber. Gerade einmal 10% von den notwendigen Investitionen. Und das nennen sie Investitionen auf Rekordniveau - was für ein Hohn!

Noch vor einigen Wochen schien das Entsetzen über den Zustand unserer Schulbauten und die personelle und materielle Ausstattung von Unterricht riesig. Aktuelle Erhebungen wurden als dringende Aufforderung verstanden, die Bildungsausgaben deutlich zu erhöhen. Das waren aber anscheinend nur Krokodilstränen: Seit einigen Wochen gilt die öffentliche Aufmerksamkeit nicht mehr der Bildung, sondern der vermeintlich miserablen Ausstattung der Bundeswehr.

Plötzlich ist die Zahl der Zelte und der flugfähigen Hubschrauber wichtiger als die Bildung. Die Nato-Forderung, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung zu stecken bedeutet eine fast Verdoppelung von 37 auf 70 Milliarden Euro. Für die Bereiche Soziales, Gesundheit, Infrastruktur, sowie Kitas, Schulen und Hochschulen bedeutet das noch massivere Einschnitte, bei einer finanziell ohnehin schon katastrophalen Ausstattung. Das ist ein Skandal!

Von den Kitas bis zu den Hochschulen gilt: der Staat muss deutlich mehr investieren.

  • Keine milliardenschwere Aufrüstung der Bundeswehr

Wir brauchen stattdessen:

  • Mehr Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen
  • Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen
  • Aufwertung der Berufe im Bildungsbereich durch bessere Bezahlung, keine prekären Arbeitsverhältnisse, Arbeitszeitverkürzung, kleinere Betreuungsgruppen und vieles mehr.

Die alte Forderung gilt noch immer: runter mit der Rüstung, rauf mit der Bildung!

Ein gutes Beispiel hierfür auf unserer letzten Folie:

lieber 120 Kindertagesstätten, als ein Airbus A400M!

 

[1] Kai Eicker-Wolf / Ulrich Thöne, „An den Grundpfeilern unserer Zukunft sägen“, S. 80

[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1251/umfrage/entwicklung-...

[3] OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick 2017“

[4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/ok...

 

Ingabritt Bossert ist Vorsitzende des GEW-Kreisverbandes Hanau.