Redebeitrag von Jürgen Scheffran für den Ostermarsch Wedel am 31. März 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Es hinterließ ein Schlachtfeld mit Millionen von Toten. Vier Jahre zuvor begann der Krieg durch das Attentat von Sarajewo. Europa stürzte in einen Taumel nationaler Kriegsbegeisterung, allen Warnungen zum Trotz.

Scheinbar blindlings folgten die Regierungen den Allianzen des Krieges. Durch Kriegspropaganda und Feinbilder wurden die Völker aufeinander gehetzt.

Nach dem Krieg hieß es: Nie wieder Krieg! Und doch ließ sich die Welt nur zwei Jahrzehnte später durch Propaganda in einen noch verheerenderen Krieg ziehen. Er endete mit der Verwüstung Europas und der atomaren Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hieß es: Nie wieder Krieg!

Dann kam der Kalte Krieg mit neuen Propaganda-Schlachten und Feindbildern, die das Wettrüsten zwischen Ost und West anheizten. Am Ende gab es Zehntausende von Atomwaffen, mehr als genug, um die Erde mehrfach zu vernichten. Dass durch Entspannung und Rüstungskontrolle ein Dritter Weltkrieg verhindert werden konnte, ist auch der Friedensbewegung und ihren Ostermärschen zu verdanken.

Als 1989 die Mauer fiel und Deutschland vereinigt wurde, war die Hoffnung groß, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg, sondern Frieden ausgehen werde. Die Chancen auf eine Friedensdividende wurden verspielt durch den Anspruch, den Sieg des Westens in den Rest der Welt zu tragen. Kriege wurden wieder propagandistisch gerechtfertigt, vom Kosovo über Afghanistan bis zum Irak. Zugleich wurde deutlich, dass Militär die Probleme nicht lösen konnte. Dennoch ließ Deutschland sich willig in diese Konflikte hineinziehen und trieb sie aktiv mit voran. Durch Rüstungsexporte wurde noch Öl ins Feuer gegossen, zuletzt an die Türkei und an Saudi Arabien.

Nun schlagen die globalisierten Krisen auch auf den Westen zurück: Kriege in Syrien, Jemen, der Ukraine, in Afrika und Asien; Islamismus und Terrorismus; Wirtschafts-, Umwelt- und Flüchtlingskrisen; Handelskriege und die Gefährdung des sozialen Friedens; das Erstarken rechter und nationalistischer Strömungen untergraben die Stabilität Europas. Diese explosive Mischung macht unsere Welt gefährlicher denn je.

Die falsche Antwort darauf sind Abschottung, Aufrüstung und Militärinterventionen, die die Probleme noch verstärken. Im Nordkorea-Konflikt drohen sich zwei Egomanen mit gegenseitiger Vernichtung und ziehen die ganze Region in eine Rüstungsspirale. Mit dem Feindbild Putin wird ein neuer Kalter Krieg beschworen. Im Wettrüsten zwischen Russland und dem Westen modernisieren beide Seiten ihre Atomwaffenarsenale, zusammen mit Raketenabwehrsystemen, Weltraumwaffen, automatisierter Kriegführung und dem Krieg im Cyberspace.

Enorme Summen werden für Rüstung und Krieg verschleudert, allein in den USA zusammen mehr als eine Billion Dollar. Die NATO-Partner sollen ihre Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts steigern, in Deutschland also etwa verdoppeln. Diese Milliardensummen fehlen für die Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben und globaler Probleme, von der Vermeidung des Klimawandels über die Bekämpfung von Hunger und Armut bis hin zum ökologischen Umbau und für die Schaffung sozialer Sicherheit.

Ein solcher Irrweg braucht neue Rechtfertigungen. Dazu passt, dass die britische Premierministerin Theresa May im Stil einer Agentenstory den furchtbaren Giftanschlag von Salisbury benutzt, um von den Problemen des Brexit abzulenken und den Konflikt mit Russland zu eskalieren. Auch wenn Beweise bislang nicht vorgelegt wurden, folgen die Verbündeten in scheinbar blinder Bündnistreue. Hat die Politik aus den Kriegen der letzten hundert Jahre nichts gelernt?

Es ist möglich, den Sachzwängen von Rüstung und Krieg zu begegnen. Die Alternativen heißen Entspannung, Abrüstung, Konfliktprävention und nachhaltige Friedenssicherung! Es geht darum, militärische Aufrüstung zu stoppen, Spannungen abzubauen und durch Verhandlungen gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.

Wie das geht, wurde 2017 mit dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen gezeigt.

Zivilgesellschaft und die große Mehrheit der Staaten haben hier zusammengearbeitet, gegen den Machtblock der Erde, der sich zeitgleich beim G20-Gipfel in Hamburg traf.

Dies ist ein Erfolgsmodell, mit dem wir weiterarbeiten können. Die Forderung lautet:

Abrüsten statt Aufrüsten!

Bitte unterzeichnet den Aufruf. Entwickeln wir eine Bewegung, die die Bundesregierung dazu bringt, den Rüstungsetat zu senken und nicht zu erhöhen, wie von Donald Trump gefordert. Stopp den Rüstungsexporten, insbesondere von tödlichen Kleinwaffen! Abzug aller Atomwaffen von deutschem Boden! Und schließlich:

Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag! Damit kann Deutschland der Eskalationsspirale etwas entgegen setzen und wird zum Anwalt des Friedens werden.

Wir brauchen auch eine Wissenschaft, die keine neuen Tötungsinstrumente erfindet, sondern ihre Verantwortung wahrnimmt und hilft, Antworten auf die Probleme der Menschheit zu finden.

Wir brauchen eine Politik, die den Dialog sucht und für Frieden eintritt. Wir brauchen friedensbewegte Menschen, die sich einmischen. Statt auf künstliche Intelligenz zu vertrauen, müssen wir unseren eigenen Verstand benutzen. Wenn uns jemand mit Feinbildern und Behauptungen auf Rüstung und Krieg einstimmen will, sollten wir misstrauisch sein und die Forderung nach friedlichen Lösungen hochhalten.

Was Albert Einstein Anfang der 50er Jahre sagte, gilt heute immer noch: Die Alternative, vor der die Menschen heute stehen, ist: friedliches Zusammenwirken oder Vernichtung. Streiten wir für das friedliche Zusammenleben, hier und heute auf den Ostermärschen, im Alltag und an Sonn- und Feiertagen. Es ist unsere einzige Chance.

 

Jürgen Scheffran ist Professor für Klimawandel und Sicherheit am Institut für Geographie der Universität Hamburg.