Redebeitrag für den Internationalen Bodensee Friedensweg (Ostermarsch) in Kreuzlingen (CH) am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 13 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Drei Länder – drei Welten

 

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

Ich freue mich sehr, heute vor euch zu stehen und mit euch ein Zeichen für den Frieden und gegen Atomwaffen zu setzen.

Im Juli 2017 wurde an der UNO in New York mit der Unterstützung von 122 Staaten der Atomwaffenverbotsvertrag verabschiedet. Dieser Vertrag verbietet Atomwaffen vollumfänglich und ist ein klares Zeichen, dass die Mehrheit der Welt Atomwaffen nicht mehr akzeptiert und sie nicht mehr als legitime Kriegsinstrumente ansieht.

72 Jahre nach ihrer Erfindung, nach jahrzehntelangem Protestieren verschiedener Friedensorganisationen und nach jahrelangen Bemühungen der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) war das ein historischer Durchbruch!

Mit diesem Vertrag ist es nun Zeit, Farbe zu bekennen. Die Regierungen können sich nicht mehr hinter hochtrabender Rhetorik verstecken: Entweder man ist für oder gegen Atomwaffen, ein dazwischen gibt es nicht mehr.

Bis heute haben 70 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet und 23 Staaten haben ihn auch schon ratifiziert. Es braucht 50 Ratifikationen, damit er in Kraft tritt.

Wie ihr euch vorstellen könnt, wurde der Vertrag natürlich nicht von allen Staaten freudig aufgenommen: Die Atomwaffenstaaten haben die Verhandlungen boykottiert und üben immer noch grossen Druck auf andere Staaten aus, damit er nicht in Kraft tritt. NATO-Mitgliedstaaten haben sich mehrmals gegen den Vertrag ausgesprochen und innerhalb der Allianz besteht ebenfalls Druck, dem Vertrag fernzubleiben.

So haben auch unsere drei Nachbarländer unterschiedlichen Ansichten zum Vertrag.

Österreich hat 2014 den Humanitarian Pledge, also das humanitäre Versprechen, lanciert, und alle Staaten dazu aufgerufen, wirkungsvolle Massnahmen zu ergreifen, um Atomwaffen zu verbieten und zu beseitigen. Trotz der aktuellen politischen Ausrichtung der Regierung, hat Österreich den Vertrag bei der ersten Gelegenheit, d.h. im September 2017, unterschrieben und schon vor einem Jahr ratifiziert. Unser Nachbarland im Osten hat es uns also vorgemacht!

In Deutschland und der Schweiz hinken die Regierungen hinterher, obwohl die Bevölkerung ein Atomwaffenverbot will:

Die deutsche Regierung ist dem Vertrag gegenüber mehr als kritisch eingestellt : Sie duldet weiterhin die Stationierung von US-Atomwaffen, die sogar modernisiert werden sollen, und ist so direkt an der weltweiten Aufrüstungsspirale beteiligt. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass sie beharrlich den Beitritt zum Atomwaffenverbot verweigert. Die Bevölkerung hingegen teilt diese Haltung nicht: Viele Städte und Gemeinden haben sich für das Atomwaffenverbot ausgesprochen, indem sie sich dem ICAN Cities Appeal, also dem Aufruf an die Städte, angeschlossen haben. Eine Umfrage unserer holländischen Partnerorganisation PAX in Deutschland hat auch klar gezeigt, dass die Bevölkerung gegen Atomwaffen ist.

In der Schweiz ist die Lage ähnlich. Obwohl die Bevölkerung das Atomwaffenverbot unterstützt, wie es die 26'000 Unterschriften unserer Petition an den Bundesrat zeigen, zögert unsere Regierung noch. Und dies gegen den Willen des Parlaments:

Ende 2017 hat Nationalrat Carlo Sommaruga die Motion 17.4241 eingereicht, die den Bundesrat ersucht, den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen „so schnell wie möglich“ zu unterzeichnen und diesen „umgehend“ dem Parlament zur Ratifikation vorzulegen. Sie wurde am 5. Juni im Nationalrat mit Stimmen aus allen politischen Lagern angenommen.

Am 15. August entschied der Bundesrat hingegen, den Vertrag „zum jetzigen Zeitpunkt” nicht zu unterzeichnen. Er gab dem EDA den Auftrag, die Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments zu diesem Entscheid zu konsultieren. Die APK des Nationalrats forderte am 16. Oktober mit Nachdruck „eine unverzügliche Unterzeichnung und Ratifikation des Vertrags”. Und im Dezember hat der Ständerat die Motion auch angenommen. Damit stellte sich das Parlament geschlossen gegen den Bundesrat und forderte den sofortigen Beitritt der Schweiz zum Atomwaffenverbot.

Anfang März dieses Jahres hat der Bundesrat das weitere Vorgehen zum Atomwaffenverbot festgelegt. Er hat sich entschieden, sich noch nicht zu entscheiden. Er will ‚einen möglichen Beitritt der Schweiz zum Kernwaffenverbotsvertrag (TPNW) vertieft […] prüfen» und sich erst Ende 2020 festlegen.

Wie ihr seht, leben unsere drei Nachbarländer in ganz verschiedenen Welten! Trotzdem sitzen wir in ein und demselben Boot! Deshalb arbeiten wir von ICAN über Grenzen hinweg und laden euch ein, es uns gleich zu tun. Gerade jetzt, in dieser Zeit grosser globaler Spannungen, ist es wichtig Stellung gegen Atomwaffen zu beziehen.

Dass die amerikanische Regierung den Vertag über nukleare Mittelstreckensysteme (den sogenannten INF-Vertrag) aufgekündigt hat, ist ein sicherheitspolitisches Desaster. Der INF-Vertrag hat seit seiner Verabschiedung im Jahr 1987 massgeblich zur europäischen Sicherheit beigetragen. Die Aufkündigung des INF-Vertrags ist eine direkte Bedrohung für die BewohnerInnen Europas und das Risiko einer Atomwaffenexplosion in Europa steigt. (Russische Mittelstreckenraketen wären darauf angelegt, europäische Städte einzuäschern und bereits heute entwickelt die US Regierung neue Atombomben, welche schon 2020 in Nachbarland Deutschland stationiert werden könnten.)

Der INF-Vertrag ist ein wichtiges Element der europäischen Sicherheitsarchitektur und muss erhalten bleiben! ICAN ruft daher Russland auf, glaubwürdige Beweise und Unterlagen zu liefern, um die Anschuldigung einer Vertagsverletzung zu widerlegen, und fordert von den USA, dass sie Beweise für ihre Anschuldigung veröffentlichen und Verifikationsmassnahmen zustimmen.

Das Verhalten der USA und Russlands macht es deutlich: es gibt keine „verantwortungsvollen Atommächte“. Nur die unmissverständliche Abkehr von diesen Massenvernichtungswaffen, durch ihr vollumfängliches Verbot und ihre Abschaffung, wie es der Atomwaffenverbotsvertrag vorsieht, kann unsere Sicherheit garantieren.

Deshalb müssen die Regierungen Deutschlands und der Schweiz dem Vertrag so schnell wie möglich beitreten! Und ihr könnt hier eine wichtige Rolle spielen! Ihr könnt an eure Stadt schreiben und sie auffordern ICANs Cities Appeal zu unterzeichnen. Genf und Bern haben sich dem Aufruf schon angeschlossen und offiziell gegen Atomwaffen Stellung bezogen. In Deutschland sind schon 13 Städte, darunter Köln und Potsdam dabei.

Ihr könnt auch an eure Abgeordneten schreiben und sie auffordern ICANs Parlamentarische Erklärung zu unterzeichnen. 17 Parlamentarier aus der Schweiz und 473 Abgeordnete aus Deutschland haben auf diese Art und Weise schon gelobt, sich für die Unterzeichnung und Ratifikation des Atomwaffenverbotsvertrags einzusetzen. Es ist wichtig, dass wir alle zusammen aktiv werden.

Trotz Atomwaffenverbotsvertrag und Friedensnobelpreis geht der Kampf gegen die Atomwaffen also weiter. Dafür braucht es Stimmen, die sich gegen diese Massenvernichtungswaffen wehren. Es braucht eure Stimmen und die, eurer Familien, Freunde und Nachbarn.

Danke, dass ihr heute für den Frieden marschiert seid. Nehmt diese geballte Friedensenergie mit in euren Alltag und wehrt euch weiter!

Danke!

 

Annette Willi ist Mitbegründerin von ICAN Switzerland.