Redebeitrag für den Ostermarsch Emden am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 11 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreunde und – freundinnen,
liebe Emdener,
liebe Gäste der Stadt Emden,

ich überbringe die Grüße des Bremer Friedensforums. Wir haben bereits am Ostersamstag unseren Ostermarsch durchgeführt. Herzlichen Dank für die Einladung nach Emden.

Am 4.4.2019, vor noch nicht einmal 3 Wochen, beging eine Organisation ihren 70. Geburtstag, die sich selbst als Friedensmacht feiert, die aber weltweit als mächtigstes Kriegsbündnis gefürchtet  wird, die NATO. 1949 als Nordatlantikvertrags-organisation (North Atlantic Treaty Organisation) gegründet, war sie ein Militärbündnis gegen die SU und die sozialistischen Staaten. Gründungsmitglieder waren vor 70 Jahren 12 Staaten , u.a. Frankreich, Großbritannien,  Kanada und die USA. Die Bundesrepublik wurde 1955 Mitglied. Heute gibt es 29 Mitgliedsstaaten.

Die Warschauer Vertragsorganisation, kurz Warschauer Pakt, wurde 1955 gegründet. Als militärischer Beistandspakt war sie im Kalten Krieg das Gegenstück zur NATO.

Ich bin aufgewachsen mit der Angst vor den Russen. Als ich Kind und Jugendliche war, gab es in der Familie, in der Schule – einer Klosterschule in Bayern – immer die Warnung vor der Aggressivität des Ostblocks. Rüstung und Kriegsvorbereitung wurden gerechtfertigt mit dem Hinweis auf die russischen Kriegspläne.

Viel später las ich Bertha von Suttner. Die berühmte Friedenskämpferin mit ihrer bis heute gültigen Losung: Die Waffen nieder! hat schon vor über 120 Jahren geschrieben „Welches sind die Faktoren, die die Rüstungsschraube in Bewegung setzen? Sind es die Völker, die danach verlangen? Mitnichten! Der Anstoß, die Forderung kommt immer aus dem Kriegsministerium mit der bekannten Begründung, dass andere Kriegsministerien vorangegangen sind, und der zweiten Begründung, dass man von Gefahr und Feinden umgeben ist. Das schafft eine Atmosphäre der Angst...Und wer ist tätig, diese Angst zu verbreiten? Wieder die militärischen Kreise...Hinter den militärischen Kreisen stehen zwei mächtige Hilfskolonnen: die ganze Kriegsmetallurgie( heute: Rüstungskonzerne) und die Presse.“

Angst und Bedrohungsgefühle kennzeichneten die Situation im Kalten Krieg: Rüstungswettlauf,  Overkillkapazitäten, Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa.

Millionen Menschen gingen gegen diesen Wahnsinn auf die Straße.

Ab den 70er Jahren kam es zu einer Reihe von Abrüstungsverträgen zwischen der SU und den USA. Der bekannteste ist der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) von 1988 über den Abzug atomarer Mittelstreckenraketen aus Europa.

Der Warschauer Pakt löste sich 1991 auf. Die NATO bestand weiter. Die SU und ihre Verbündeten waren in der Systemkonkurrenz unterlegen. Wozu also weiter eine NATO? Die Rechtfertigung ihrer Existenz war zusammengebrochen, aber nicht die NATO.

Damals bestand für kurze Zeit die einmalige Situation, die Grundlagen für ein friedliches Europa zu schaffen. Das „gemeinsame Haus Europa“, „die Ostsee als Meer des Friedens“, die Charta von Paris, in der mehr als 30 Staaten des Warschauer Paktes und der NATO festschrieben:„... Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, dass sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden. Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. ... in Europa bricht ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an.“

Was für schöne Vorstellungen! Wir wissen, dass sie nicht umgesetzt wurden.

Im Gegenteil! Wir befinden uns heute in einer brandgefährlichen Situation.

Die Atomkriegsuhr, auch Weltuntergangsuhr oder Doomsday Clock genannt, steht auf 2 Minuten vor zwölf. Wissenschaftler aus aller Welt, darunter 15 Nobelpreisträger, schätzen die Weltlage so gefährlich ein, wie nur einmal seit 1945, zur Zeit der Kuba-Krise.

Die USA sehen immer mehr ökonomische Konkurrenten. Am meisten fühlen sie sich  durch den Aufstieg Chinas bedroht. Der sogenannte Krieg gegen den Terror, hat den USA nicht die alte Dominanz zurückgebracht. Der Hass auf die USA und auf die westliche Welt ist als Folge der Kriege weltweit gestiegen. Der Terrorismus wächst mit dem Krieg gegen den Terror. Die USA erklären die halbe Welt zu Feinden, sie leben gleichzeitig ihren Größen – und ihren Verfolgungswahn und erklären Staaten wie Kuba und Venezuela zur Gefahr für die nationale Sicherheit. „America first“ ist zu einem Brandruf geworden. Handels-, Klima- und Abrüstungsverträge werden gekündigt, gegen das Völkerrecht wird permanent verstoßen, die Zukunft der UNO wird in Frage gestellt, selbst die transatlantischen Beziehungen werden immer brüchiger.

Gipfelpunkt dieser Eskalation ist die Aufkündigung des INF-Vertrages durch Trump. Wenn kein Wunder geschieht, endet der Vertrag am 1.8.19. Russland reagierte mit der Ankündigung eigener neuer Aufrüstung. Vorausgegangen waren gegenseitige Vorwürfe, den INF-Vertrag zu verletzen. Die Angebote Russlands, seine Waffensysteme zu kontrollieren, wurden nicht mal beantwortet. Die Wiedereinsetzung des bewährten Kontrollmechanismus wurde auch von deutscher Seite nicht gefordert.

Wir erleben eine gefährliche Eskalation und den Einstieg in einen verstärkten konventionellen und nuklearen Rüstungswettlauf, die Rückkehr von atomaren Mittelstreckenraketen nach Europa droht. Trump, dieser Präsident, der zwischen Größenwahn und Infantilität schwankt, kann alleine über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden.

Aber auch die Gefahr eines unbeabsichtigten Atomkrieges wächst in dem Maße, wie Gesprächskanäle zerstört werden und die Vorwarnzeiten immer kürzer werden. Ein möglicher Krieg würde nicht in New York und Washington stattfinden, sondern in Europa, und zwar im Zentrum Europas, da, wo auch Deutschland liegt.

Die NATO dehnte sich nach Osten aus - trotz gegenteiliger Zusagen.

Heute ist Russland von NATO-Staaten umzingelt .

Nach wie vor sind die USA die stärkste Militärmacht der Welt und bestimmen im Wesentlichen die Politik der NATO. Die NATO gibt mehr 1000 Milliarden US Dollar für Rüstung aus, davon die USA mehr als 600 Milliarden, die Ausgaben Russlands liegen bei 66 Milliarden. (Weniger übrigens als Saudi-Arabien mit 69 Milliarden, Chinas Ausgaben werden mit 228 Milliarden benannt).

Die USA betreiben mehr als 1000 Militärstützpunkte auf der Erde. Das Pentagon hat den Erdball in 6 Regionalkommandos aufgeteilt, nur 2 davon befinden sich außerhalb der USA, EUCOM und AFRICOM, beide in Deutschland. Das Hauptquartier der US-Airforce in Europa ist in Ramstein bei Kaiserslautern, es ist das größte Luftdrehkreuz der US-Streitkräfte außerhalb der USA. Von der Relaisstation in Ramstein wird der Drohnenkrieg der USA in Asien und Afrika gesteuert.

In Büchel, in der Eifel lagern 20 Atomwaffen der USA, deren Einsatz üben Bundeswehrsoldaten mit Tornados.

Wir sind also umzingelt von waffenstarrenden Arsenalen. Alles nur Drohgebärde? Alles nur friedenserhaltend? Keineswegs!

Exakt vor 20 Jahren führte die NATO Krieg in Europa. Der Krieg gegen Jugoslawien war eine Zäsur in vielerlei Hinsicht. Der erste Angriffskrieg in Europa nach dem Ende des 2. WK, ein Bruch des Völkerrechts, die Umgehung der UNO. Selbst die  NATO-Charta wurde gebrochen, der Krieg hatte nichts mit einem Bündnisfall zu tun, es war ein Angriffskrieg. Die Zerstörung ziviler Infrastruktur, die Bombardierung von Chemiefabriken, der Einsatz von uranhaltiger Munition hätten längst vor einem internationalen Kriegsverbrechertribunal verhandelt werden müssen. Nichts davon.

Die NATO oder einzelne NATO-Staaten ziehen weiter ihre Blutspur: Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen, Mali, Sudan.

Bei der NATO-Tagung 2014 haben sich die Mitgliedsstaaten darauf verständigt, künftig 2 % ihres BIP für Rüstung auszugeben. Für die BRD bedeutet das, dass ihr Rüstungsetat sich quasi verdoppeln würde, von 2016 etwa 38 Milliarden Dollar auf voraussichtlich 80 Milliarden in 2025. Damit würde die Bundesrepublik zur stärksten Militärmacht Europas und würde mehr Geld fürs Militär ausgeben als Russland. Im aktuellen Haushalt wurde eine Erhöhung des Rüstungshaushalts um 12 % beschlossen. Skandalös, wenn man weiß, dass dem absolut defizitären Bereich der Alten- und Krankenpflege nicht mal 0,5 % mehr zugestanden wurden.

Wir sagen Nein zum 2% Ziel!

Wir brauchen Geld für Soziales! Runter mit der Rüstung!

Die NATO ist nicht das einzige Schreckgespenst, das uns bedroht. Parallel zur Aufrüstung der NATO läuft – weniger beachtet – die Aufrüstung der EU. Bereits in den Lissabonner Verträgen, die praktisch die EU-Verfassung sind, verpflichten sich die Mitgliedsstaaten zu einer permanenten Erhöhung ihrer Rüstungsausgaben. Strukturen für diese Aufrüstung werden immer deutlicher:  - Permanente strukturierte Zusammenarbeit - PESCO (Permanent Structured Cooperation) - klingt wie Pest und Cholera  - soll die Schaffung einer europäischen Armee in die Wege leiten. Ein neues militärisches Forschungsprogramm der EU mit einem Schwerpunkt auf der Erforschung autonomer Waffensysteme ist aufgelegt.

Bestärkt durch die Brexit-Debatte und durch Trumps Verbalattacken gegen Deutschland und die EU, wird immer offener geplant, militärisch auch ohne die USA handlungsfähig zu sein. Die EU soll notfalls militärisch auf eigenen Füßen stehen. Mit den USA, wenn möglich, ohne die USA wenn nötig. Der kürzlich zwischen Frankreich und Deutschland geschlossene Vertrag von Aachen beinhaltet in erster Linie die militärische Mobilmachung. Auch der deutsche Zugriff auf die französischen Atomwaffen ist bereits Thema.

Wir wollen keine europäische Armee und keine deutschen Atomwaffen!

Im Herbst 2018 fand das größte Manöver der NATO seit dem Ende des Kalten Krieges statt. 10 000 deutsche Soldaten nahmen teil. Das Manöver hatte eine klare Stoßrichtung gegen Russland. Russland wird wegen der Krim ein Verstoß gegen das Völkerrecht vorgeworfen. Dass NATO-Staaten permanent gegen das Völkerrecht verstoßen, aktuell auch Deutschland und die USA in Syrien, ist kein Thema. Dass befreundete Staaten der NATO völkerrechtswidrig Gebiete souveräner Staaten erobern und besetzen, wie Israel die syrischen Golanhöhen, ist kein Thema.

Wir verteidigen das Völkerrecht! Ohne die Regeln des Völkerrechts herrscht allein das Recht des Stärkeren.

Wir fordern: UNO statt NATO! BRD raus aus der NATO!

Zu allem Ärger der Politiker und Militärs herrscht in der BRD seit dem Ende des 2. WK bis heute eine pazifistische Grundhaltung der Bevölkerung vor. So sehr die Herrschenden dagegen arbeiten, noch immer belegen Umfragen, dass die Mehrzahl der Bundesbürger auf unserer Seite steht.

  • Fast 2/3 aller Bundesdeutschen lehnen eine international größere Verantwortung Deutschlands ab. Sie haben verstanden, dass „Verantwortung“ in diesem Sinne nicht Frieden heißt, sondern Krieg. Bundesaußenminister Steinmeier konstatiert nach diesem Umfrageergebnis tiefe Gräben zwischen Volk und Politik. Etwas Besseres können wir uns als Friedensbewegung nicht wünschen. Wir fordern von der Politik unmissverständlich: Kooperation statt Konfrontation! Abrüstung statt Aufrüstung! Frieden ist das Gebot der Stunde!
  • Nur 13 % der Bevölkerung halten Militäreinsätze für das richtige Mittel der Außenpolitik (allerdings schwindet diese Mehrheit, wenn der Krieg als Mittel gegen Völkermord verkauft wird, ohne zu bedenken, dass der Hunger der größte Völkermord der Welt ist – allein 10 % der weltweiten Rüstungsausgaben würden ausreichen um den Hunger auf der Welt zu besiegen.) Lassen wir uns nicht von der Kriegspropaganda verführen. Krieg ist nie humanitär, Krieg ist immer das größte Verbrechen gegen Menschenrecht und Menschenwürde.
  • Und: Wir brauchen Whistleblower, damit die Wahrheit öffentlich wird. Wir fordern Freiheit für Julian Assange und Chelsea Manning!
  • 2/3 aller Bundesbürger lehnen Rüstungsexporte v.a. in nicht NATO-Länder ab. Wir sagen: Rüstungsexport ist Mord!
  • 75 % der Bevölkerung kritisieren die Atomwaffenpolitik der Regierung. ICAN, die Organisation, die 2017 für ihren Kampf für das Atomwaffenverbot den Friedensnobelpreis bekommen hat, fordert Bürgermeister und Bürgermeisterinnen – die ja die direkten Vertreter der Interessen der Bevölkerung sind - auf, eine Städteerklärung für das Verbot der Atomwaffen   zu unterzeichnen. In Bremen und anderen Städten ist das schon passiert. Wir haben dazu eine Broschüre gemacht, die ich den Emdener Friedensfreundinnen und – freunden mitgebracht habe.

Deutschland muss den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen! Atomwaffen raus aus Deutschland!

Wir freuen uns, dass

  • mehr als 150 000 Menschen inzwischen den Appell Abrüsten statt Aufrüsten unterschrieben haben. Wir müssen weiter dafür sammeln. Wir brauchen das Geld für Soziales, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Nahverkehr und Klimaschutz. Wir sagen Nein zur Aufrüstung. Abrüsten ist das Gebot der Stunde.
  • im letzten Jahr in Deutschland 100 Tausende auf die Straße gegangen sind gegen Rassismus, für Solidarität mit Geflüchteten, gegen Polizeigesetze und Überwachungsstaat, für bezahlbaren Wohnraum, unter dem Motto „unteilbar“ oder dem Motto "aufstehen“
  • dass in Frankreich die Gelbwesten auf die Straße gehen
  • dass in Deutschland seit Monaten Tausende von Schülern und Schülerinnen sich der Bewegung Fridays for Future angeschlossen haben.

Alle diese Bewegungen haben Schnittmengen mit der Friedensbewegung.

Kämpfen wir gemeinsam für eine soziale, gerechte, friedliche Welt!

 

Barbara Heller gehört zum Sprecherinnenkreis Bremer Friedensforum.