Redebeitrag für den Ostermarsch Stuttgart am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Ostermarschierende, liebe Freundinnen und Freunde,

danke für die Gelegenheit, heute vor dem Hotel Silber zu eurer beeindruckenden Demonstrationsgesellschaft zu sprechen.

Danke an alle, die Jahr für Jahr Ostermärsche organisieren und Danke an alle, die heute hier auf der Straße sind!

Der Ostermarsch selbst ist schon historisch: Begonnen wurde damit Anfang der sechziger Jahre… „Wir marschieren für die Welt, die von Waffen nichts mehr hält“.

Ostermärsche haben schon ihren eigen historischen Symbolwert:
sie stehen für sich Einmischen, für ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft gegen Beteiligung an den Kriegen rund um den Globus und für Beteiligung an einer offenen Gesellschaft, in der Solidarität der höchste Wert ist.

Neulich hatte ich einen kleinen Smalltalk mit einer Dame am Rande einer Tagung, was sie sagte ging mir sehr nahe:“ Ich war früher ständig bei Demonstrationen::in Mutlangen, gegen den Doppelbeschluss, gegen die Kastortransporte, gegen Stuttgart 21…. überall war ich dabei - und meine Kinder fragen mich heute: was hat es genützt? Was habt ihr denn erreicht? Und zählen auf, was wir alles durch unseren Protest nicht erreicht haben…“

Dann verschwand sie in der Tagungsgesellschaft. -ich hatte vor Schreck vergessen, nach ihrem Namen zu fragen.

Das hat mich noch weiter beschäftigt. ich hätte sie gerne noch so viel gefragt:

Wie würdest du dich denn heute fühlen, wenn du das alles nicht gemacht hättest? Weißt du denn wie es hier aussähe, wenn es die Proteste nicht gegeben hätte?

Wie würdest du dich fühlen, wenn deine Kinder heute sagen würden, das alles gab es und wo warst du? ...oder vielleicht: Täglich sind Menschen auf der Flucht vor Krieg und Armut im Mittelmeer ertrunken, und wo warst du?

Ostermärsche sind also schon historisch - und leider heute noch nicht überflüssig…

Wir haben gemeinsam das Hotel Silber als historischen Erinnerungsort durchgesetzt und können ihn jetzt als Lernort mitgestalten und nutzen. Die Erinnerung an den so genannten großen Zivilisationsbruch zwischen 1933 und 45 ist auch schon historisch- aber leider ist sie heute auch alles andere als überflüssig.

Das Hotel Silber steht nicht nur für 12 Jahre NS Terror, es steht auch für alles, was dazu führte, dass es dazu kommen konnte.

Dazu gehörte natürlich eine ausgeklügelte Strategie einer faschistischen Partei, dazu gehörte eine Großindustrie, die Aufrüstung für einen geeigneten Weg hielt, um die Wirtschaft anzukurbeln. Aber dazu gehörte auch eine Bevölkerung, die entweder jubelte oder den Aufstieg der Nazis geschehen ließ - aus Gleichgültigkeit oder weil die Menschen einen Vorteil für sich selbst darin sahen. Beides führte zum gleichen Ergebnis: Deutschland zettelte einen Krieg an, der ganz Europa in Schutt und Asche legte und Millionen Menschen das Leben kostete. Deutsche zogen mit der Naziflagge erst nach Polen und dann nacheinander in alle europäischen Länder. Sie begingen dort Massenmord an den Einwohnern in einem vorher noch nicht gekannten Ausmaß.

Das ist das Ergebnis dieser Mischung aus Nationalismus, Rassismus, Gier, Überheblichkeit, Ignoranz, aber auch einfach Gleichgültigkeit, ein Ergebnis, zu dem wir nie wieder zurück wollen. - Vor einigen Jahren hätte ich jetzt gedacht, das braucht man nicht mehr zu sagen, das ist wohl gesellschaftlicher Konsens - inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Wie oft noch wird man wohl noch „Nie wieder“ sagen müssen?

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Geschichtsvergessenheit und Nationalismus.

Das ist der Zusammenhang zwischen Ausgrenzung von Minderheiten und der Verrohung von Gesellschaften.

Im Hotel Silber wird dargestellt, wie schnell ein so genanntes Staatsschutzorgan, die politische Polizei, wenn mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet, zum Terrorinstrument eines autoritären Regimes werden kann. Aber auch hier braucht es Individuen, Personen, die dazu bereit sind, ein autoritäres Regime zu installieren. Es wird auch gezeigt, wie die Ausgrenzung und Hetze gegen Minderheiten und die Verrohung der Gesellschaft sich gegenseitig bedingen und steigern. Und wozu das führt - auch in der Polizei.

Und wenn man durch die Ausstellung eines lernt, dann ist es, dass ein rechtes Netzwerk in der Polizei, wie es gerade in Frankfurt aufgedeckt wurde oder ein Verfassungsschutz, der, auf dem Umweg über V-Leute, rechte Netzwerke finanziert, das Letzte ist, was man wollen kann.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Nationalismus und Krieg.

Am meisten Angst macht mir in diesen Tagen die „schweigende Mehrheit“ diejenigen, die sich noch nicht mal die Mühe machen es auszuspreche, dass sie mich für einen hoffnungslosen, ewig gestrigen Gutmenschen halten. (Der Ausdruck „Gutmensch“ ist übrigens auch schon in den Hassjargon der Rechten eingegangen.)

Am 26. Mai ist Europawahl.

Können wir uns in Europa zusammenschließen gegen die rechten Rattenfänger, die schon in ganz Europa Allianzen bilden? Können wir genügend Gegenkräfte mobilisieren?

Am 19. Mai wird es hier in Stuttgart eine große, hoffentlich riesengroße Demonstration geben. Wir sind eine bunte vielfältige Gesellschaft. Das wollen wir zeigen.

Mir persönlich würde das Mut machen, mir macht es auch Mut, wenn ich erfahre, dass es auch in Ländern wie Ungarn oder Polen Menschen gibt, die für Europa auf die Straße gehen.

Auch in anderen europäischen Ländern gibt es Menschen, die sich für ein gemeinsames, solidarisches Europa einsetzen.

Am 22.Mai gibt es eine Veranstaltung zu Europa im Hotel Silber – wir nennen sie „Das offene Fenster“. Dort wollen wir darüber diskutieren, was wir von der Europawahl erwarten und wie wir uns vernetzen und solidarisieren können.

Es gibt nämlich Probleme, von denen heute sicher noch öfter die Rede sein wird:

Es gibt die Kriege, die von hier ausgehen, auch wenn wir es hier in Europa seit Jahrzehnten gemütlich und friedlich haben, es gibt globale Probleme, die auf Ebene von Nationalstaaten keinesfalls lösbar sind.

Es gibt gesellschaftliche Probleme, die bestimmt nicht mit den neuen Polizeigesetzen lösbar sind, mit denen der Sache nach die „Schutzhaft“ wieder eingeführt wird - für so genannte „Gefährder“.

Und die Probleme werden auch nicht dadurch gelöst, dass bürgerliche Parteien sich die Argumente vom rechten Rand aneignen oder ausführen, was von rechts außen gefordert wird.

Verlustängste und Sicherheitsbedürfnis der Menschen werden instrumentalisiert zu einem Mix aus Nationalismus und Fremdenhass und Ignoranz -- und dieser Mix wirkt auch jetzt schon weltweit tödlich!

Bei der Gedenkveranstaltung vor dem Hintergrund 70 Jahre Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen sagte im Jahr 2015 die inzwischen verstorbene Schriftstellerin Christine Nöstlinger: Zitat: “Vielleicht ist es ja so: Über den allgemein bekannten sieben Hautschichten hat der Mensch als achte Schicht eine Zivilisationshaut. Mit der kommt er nicht zur Welt. Die wächst ihm ab Geburt. Dicker oder dünner, je nachdem wie sie gepflegt und gehegt wird. Versorgt man sie nicht gut, bleibt sie dünn und reißt schnell auf, und was aus den Rissen wuchert, könnte zu Folgen führen, von denen es dann betreten wieder einmal heißt: "Das hat doch niemand gewollt!“ Zitatende

Nie wieder!

Da - jetzt habe ich es schon wieder gesagt

Die Ostermärsche stehen für die Hoffnung auf eine wache, offene und vor allem solidarische Gesellschaft, von der kein Krieg mehr ausgeht.

Danke an Euch alle!

 

Elke Banabak ist aktiv bei der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber in Stuttgart.