Redebeitrag für den Ostermarsch Mainz am 20. April 2019

 

- Sperrfrist: 20. April 2019, Redebeginn: 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Nein zu militärischen und zivilen Zwangsdiensten!
Keine Reaktivierung, sondern Abschaffung der sogenannten Wehrpflicht!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

2011 ist in Deutschland die sogenannte Wehrpflicht ausgesetzt worden. Viele glauben seitdem, dass das Problem erledigt sei, und dass niemand mehr in Kasernen und Gefängnissen eingesperrt oder zu Musterungen, Gewissensprüfungen oder Ersatzdienst gezwungen werden kann, dass der Staat keine Menschen mehr auf Schlachtfelder und in den Tod schicken darf. Dass die AfD und Teile der CDU sich das zurückwünschten, galt als unwichtig. Doch seit Sommer 2018 häufen sich die Rufe nach Reaktivierung der sogenannten Wehrpflicht, in Verbindung mit einer Dienstpflicht für Jugendliche beiderlei Geschlechts. Kramp-Karrenbauer, die Vorsitzende der CDU, will sogar Flüchtlinge zwangsverpflichten. Solche Forderungen kamen nicht nur von AfD und CDU, auch von Enthüllungsreporter Günter Wallraff, Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung und einer marxistischen Autorin der Wochenzeitung Jungle World.

Warum sage ich sogenannte Wehrpflicht? Wehrpflicht und Wehrdienst und davon abgeleitete Begriffe suggerieren bezüglich des zwischenstaatlichen Verhältnisses, dass das Militär der Verteidigung diene. Allerdings führen sogenannte Wehrdienstleistende auch Angriffskriege. Im Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat ist der Begriff ebenfalls abwegig. Wehrdienst leisten gerade diejenigen, denen es nicht gelingt, sich erfolgreich gegen die Rekrutierung zum Militär zu wehren. Deshalb verwende ich diese sachlich unzutreffenden Propagandabegriffe nicht.

Aussetzung bedeutet, dass in Deutschland Männer laut dem nach wie vor gültigen Wehrpflichtgesetz weiterhin zum Kriegsdienst verpflichtet sind, dass aber zurzeit niemand zwangsweise gemustert oder einberufen wird. Zur Reaktivierung genügt eine einfache Mehrheit des Bundestags oder die Verkündung des Spannungs- und Verteidigungsfalls.

Seit Anfang der 1990er hatten immer mehr Staaten in Europa die sogenannte Wehrpflicht entweder abgeschafft oder ausgesetzt, 2011 mit großer Verspätung auch Deutschland. 2014 kehrte sich dieser Trend um. In Norwegen wurde die Zwangsrekrutierung nicht nur nicht abgeschafft, sondern auf Frauen ausgedehnt. Angesichts des Ukraine-Konflikts kehrten die Ukraine, Litauen und Georgien zum Kriegsdienstzwang zurück, 2018 auch Schweden, wo auch Frauen militärdienstpflichtig sind.

Im Sommer 2019 soll in Frankreich der Service national universel, der Allgemeine Nationale Dienst, starten, ein zivil-militärischer Zwangsdienstmonat für Jugendliche beiderlei Geschlechts zwischen 15 und 18 mit morgendlichem Antreten zur Flaggenhissung und zum Absingen der Nationalhymne. Später sollen die Jugendlichen einen längeren freiwilligen zivilen oder militäri­schen Dienst ableisten. In Frankreich wird der Dienst kritisiert als Freiheitsberaubung, die dazu dient, „zu überwachen und zu unterwerfen“, dass diejenigen anvisiert werden, die sich aufgrund ihres Alters kaum wehren können und dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht gilt. Französische Jugend- und Friedensorganisationen sagen Nein zu diesem Zwangs- und Kriegsdienst.

Es wird gewaltig aufgerüstet. Dafür werden auch Menschen gebraucht. Militär und Heldentod fürs Vaterland sind aber nicht mehr gut angesehen. Deshalb wird die Forderung nach Zwangsmilitärdienst verpackt in den Ruf nach einer Dienstpflicht, die als gesellschaftlich nützlich propagiert wird. Geschickt ist es, als Opfer der Pflichtdienste diejenigen ins Visier zu nehmen, die sich am wenigsten wehren können: Flüchtlinge und momentan noch jüngere Jugendliche, die kaum ermessen können, was auf sie zukommen kann. „Dienstpflicht - Ein Angriff auf die Jugend“ hieß es in der Zeitschrift Cicero.

Manche meinen, dass sich die CDU nur gegenüber der AfD als autoritär, militaristisch und flüchtlingsfeindlich profilieren möchte. Die Regierung will offensichtlich keine Rückkehr zur vorherigen Massenrekrutierung. Schließlich wurde sie ausgesetzt, weil die Bundeswehr drastisch verkleinert und zu einer weltweit einsetzbaren Interventionstruppe umgebaut wurde. Doch die Bundesregierung schickt in ihrem Drang nach militärischer Weltgeltung die Bundeswehr in Kriege und nach Osteuropa. Gleichzeitig fällt es der Bundeswehr schwer, ihre Rekrutierungsziele zu erreichen. Die Zwangsrekrutierung wurde bewusst nur ausgesetzt, nicht abgeschafft, um sie jederzeit reaktivieren zu können.

Von etwaigen Zwangsdiensten in Deutschland werden Frauen kaum verschont bleiben. Das zeigt die Entwicklung in Israel, Eritrea, Nordkorea, Norwegen, Schweden, den Niederlanden und Tschechien und die Debatte in Finnland und den USA.

Zu einer Massenverpflichtung ganzer Jahrgänge ist die Bundeswehr ist kurzfristig strukturell nicht in der Lage. In Schweden wird praktiziert, was für Deutschland diskutiert wird. Das schwedische Militär will vier Prozent eines Jahrgangs einzuberufen, abhängig von Qualifikation und Dienstbereitschaft. Nach diesem Modell könnte die Bundeswehr flexibel immer nur so viele Personen einberufen, für die sie gerade die Kapazitäten hat. Nebenbei könnte ein allgemeiner Zwangsdienst aufgebaut werden.

Rechtlich sind Sklaverei und Zwangsarbeit verboten, allerdings mit Ausnahme von Militärdienst und Militärersatzdienst. Eine Dienstpflicht ohne Bezug zu Militärdienstpflicht ist verfassungs- und völkerrechtswidrig. Es ist skandalös, dass ausgerechnet für Krieg Zwangsarbeit erlaubt ist. Pervers ist, dass nun einige, statt diese Ausnahme vom Verbot zu streichen, das Verbot der Zwangsarbeit noch mehr aufweichen wollen.

Warum soll überhaupt irgendein Mensch für seine Arbeit nicht adäquat bezahlt werden? Warum sollen ausgerechnet Jugendliche und Flüchtlinge fast unbezahlt und in Unfreiheit arbeiten? Möglicherweise sogar Flüchtlinge, die gerade vor Zwangsrekrutierung geflohen sind? Und das in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander geht und nicht nur Jugendliche mit unbezahlten Praktika, befristeten und prekären Arbeitsplätzen konfrontiert sind. Für diejenigen, die wirklich einen Freiwilligendienst leisten möchten, gibt es vielfältige Angebote.

Gerade in der Pflege sollen wegen des Personalmangels Dienstpflichtige eingesetzt werden. Der Personalmangel ist ein Resultat der miserablen Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen. Billige Zwangsdienstleistende würden Arbeitsplätze gefährden und das Lohnniveau sinken lassen. Menschen, die gepflegt werden, sollten interessiert sein, von qualifizierten und gut bezahlten Menschen versorgt werden und nicht von ungelernten Dienstverpflichteten. Der vermeintlich so soziale Zwangsdienst ist antisozial und volkswirtschaftlich unsinnig.

Zwangsdienst ist eine totalitäre Idee, passend zum sich gerade ausbreitenden Faschismus. Zwangsdienst ist eine Menschenrechtsverletzung und ein Akt der Gewalt. Zwangsdienste passen nicht zur Demokratie und sind zutiefst unfriedlich.

Keine Zwangsdienste, weder militärisch noch zivil!

Keine Reaktivierung der sogenannten Wehrpflicht!
Stattdessen Abschaffung des Kriegsdienstzwangs!

Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung!

Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern und Kriegsdienstverweigerinnen in aller Welt!

Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Kriegsdienstverweigerinnen, Deserteure und Deserteurinnen!

 

Dr. Gernot Lennert ist Landesgeschäftsführer der DFG-VK Rheinland-Pfalz für den Mainz-Wiesbadener Ostermarsch in Mainz 2019.

 

Anmerkung:
Aussführlicher dazu: Gernot Lennert: Wiederkehr der Zwangsdienste? In: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Aus­gabe September 2018, S. 17-25, www.dfg-vk-hessen.de/fileadmin/Dokumente/Hessen/2018/Wiedzwan.pdf