Redebeitrag für den Ostermarsch Hannover am 20. April 2019

 

- Sperrfrist: 20. April 2019, Redebeginn: 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Handelspolitik der EU: Konzernmacht oder Menschenrechte?

 

Liebe Friedensfreund*innen,

anfang der Woche rechnete die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD schonungslos mit der gegenwärtigen neoliberalen Globalisierung ab.

In ihrem Bericht führt  sie aus, dass die Macht internationaler Konzerne, globaler Banken und ihrer Verbündeten in den Regierungen eine neoliberale Weltordnung geschaffen haben, die für die Vielfachkrise (Bildung, Demokratie, Energie, Ernährung, Umwelt) und steigende Ungleichheit verantwortlich ist. (http://www.bu.edu/gdp/a-new-multilateralism-for-shared-prosperity)

Damit bestätigt die UNCTAD die Kritik von  Hunderttausenden, die z.B. gegen ungerechte Handelsabkommen wie TTIP, das ehemals geplante Abkommen der EU mit den USA, gegen CETA, das Abkommen mit Kanada, EPAs  und weitere Freihandelsverträge protestieren und eine grundlegend andere, eine gerechte Handelspolitik fordern.

Unbeeindruckt verfolgt die EU jedoch ihre neoliberale Wirtschafts- und Handelspolitik. Eine Politik, die es dem Finanzsektor und Konzernen ermöglicht, ihre Profitinteressen grenzenlos (auch auf ehemals öffentliche Bereiche) auszuweiten.

Freihandel sei für alle gut, wird wie ein Mantra verkündet,

Freihandel sei  ein Beitrag zum globalen Frieden,

beseitige Armut und Hunger,

fördere die Wettbewerbsfähigkeit,

trage zur Entwicklung der Wirtschaft bei,

schaffe Arbeitsplätze und steigere den Wohlstand aller.

Wie angenehm klingen diese Botschaften!

Es mag zutreffen, dass der Wohlstand durch Freihandel steigt - allerdings  höchst ungerecht verteilt.

Und es mag zutreffen, dass durch den globalisierten Handel mehr Arbeitsplätze entstehen - allerdings sind viele prekär und von Ausbeutung geprägt.

Freihandel gut für alle?

Nein, Freihandel ist vorteilhaft für wirtschaftlich hoch entwickelte Länder. Und Freihandels- und Investitionsschutzabkommen sind das Instrument, ihre Wirtschaftsvormacht zu festigen und auszubauen.   Denn diese Abkommen zielen vorrangig auf möglichst unbegrenzte  Marktöffnungen, also die Freiheit für den Waren-, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehr. 

Mit anderen Worten: der EU geht es darum, mit dem Instrument Freihandels- und Investitionsschutzabkommen der „wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt“ zu werden.

Kooperation - Ressourcenschonung - ein gutes Leben für alle als Ziel von Handelsverträgen? Fehlanzeige!

Besonders problematisch in Freihandels- und Investitionsschutzabkommen ist die Investor-Staat-Streitbeilegung  (ISDS, Investor State Dispute Settlement). Durch dieses System der Konzernklagerechte bekommen Konzerne und Investoren das Recht, Staaten vor Schiedsgerichten auf Entschädigungszahlungen zu verklagen, wenn sie ihre Profite gefährdet sehen - sei es durch Gesetze oder Regulierungen zum Schutz von Umwelt oder Menschenrechten, zum Gesundheits- oder Verbraucherschutz oder zur Stärkung von Arbeitnehmerrechten.

International tätige Konzerne nutzen dieses Instrument zunehmend, mehr als 940 Klagen sind bekannt geworden. Schamlos stellen sie Schadensersatzforderungen bis zu mehreren Milliarden Euro. Verliert der beklagte Staat, müssen seine Steuerzahler*innen für die Entschädigungen aufkommen.

Ja, aus Angst vor Klagen und hohen Entschädigungssummen ziehen Regierungen sogar Gesetzesentwürfe zurück oder verwässern sie im Konzerninteresse.

Einige Beispiele:

Der kanadische Energiekonzern Lone Pine nutzt eine Tochterfirma in den USA, um vor einer internationalen Schiedsstelle ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes) gegen die Provinz Quebec zu klagen und 250 Millionen K-Dollar Schadensersatz zu fordern.

Warum? Quebec hat ein Fracking-Moratorium verhängt, das eine Gasförderung unter dem St. Lorenz-Fluss untersagt, bis eine ausführliche Analyse zur Umweltverträglichkeit erstellt ist.

Bei seiner Klage beruft sich der Konzern auf das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA). Darin enthalten sind Klauseln, die Investoren eine faire und gerechte Behandlung und Schutz vor Enteignung garantieren, diese Klauseln habe Kanada verletzt.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall klagt vor einer internationalen Schiedsstelle ICSID gegen Deutschland und fordert 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz.

Warum? Die Bundesregierung hatte nach der Atomkatastrophe von Fukushima den Atomausstieg beschlossen. Vattenfall klagt wegen der endgültigen Abschaltung seiner beiden Atommeiler Krümmel und Brunsbüttel.

Bei seiner Klage beruft sich Vattenfall auf die "Europäische Energiecharta". Auch dieser Vertrag enthält  die Klauseln zur fairen und gerechte Behandlung von Investoren und zum Schutz vor Enteignung, dagegen habe Deutschland verstoßen.

Der französische Konzern Veolia klagte 2012 vor einer internationalen Schiedsstelle ICSID gegen Ägypten und forderte 174 Millionen € Entschädigung.

Warum? Veolia betreibt in Kairo und Alexandria die Müllabfuhr und fand die Erhöhung des monatlichen Mindestlohns nach einem neuen Arbeitsgesetz unakzeptabel. Veolia klagte mit dem Argument, das neue Arbeitsgesetz habe seiner Investition Schaden zugefügt.

Bei seiner Klage berief sich Veolia auf ein Handelsabkommen zwischen Frankreich und Ägypten von 1974.

2018 hat das Schiedsgericht die Klage abgewiesen. Zahlen muss Ägypten dennoch: Rechtskosten von mindestens 8-10 Millionen Dollar. https://isds.bilaterals.org/?veolia-loses-isds-case-against

Und wie schützt die EU Mensch und Umwelt vor den Konzernen?

Zwar müssen alle Handelsabkommen der EU zur Förderung der Menschenrechte, der Armutsbekämpfung und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, (EU-Verträge (21.2EUV) (AEUV 207)

Jedoch die Realität sieht anders aus.

Die neoliberale Ausrichtung der Wirtschafts- und Handelspolitik verletzt Menschenrechte und schädigt die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Schwere Menschenrechtsverletzungen entlang den globalen Produktions- und Lieferketten gehören zum Alltag der globalisierten Wirtschaft. Konzernprofite speisen sich systematisch daraus.

Aber: Da gibt es doch Nachhaltigkeitskapitel in den „modernen“ Handelsabkommen der EU? - Sie sind reine Augenwischerei:

Beispiel Indonesien. Palmöl steckt in Lebensmitteln, Süßigkeiten Kosmetika, Agrodiesel u.v.m. Dafür werden in Indonesien riesige Regenwaldflächen niedergebrannt, Indigene vertrieben, Kleinbauern um ihr Land gebracht, Protestierende eingeschüchtert. Dazu kommen erbärmliche Arbeitsbedingungen sowie gesundheitliche Gefährdung durch massi­ven Pestizideinsatz.

Dennoch: Die EU verhandelt ein Freihandelsabkommen mit Indonesien.

Beispiel Kolumbien: Energiekonzerne aus Deutschland verstromen weiterhin Kohle aus Kolumbien. Der Steinkohletagebau bedroht die Existenzgrundlage der Menschen vor Ort , sie werden vertrieben, enteignet, eingeschüchtert, gefoltert und auch ermordet.

Dennoch: Das EU-Kolumbien Freihandelsabkommen wird seit ca. 6 Jahren vorläufig angewendet.

Beispiel Pakistan, Bangladesh, Vietnam, Äthiopien: Zahllose Sweatshops für Kleidung beuten die ArbeiterInnen unerbittlich aus und schikanieren sie, viele Betriebe vernachlässigen auch Sicherheitsstandards. Traurige Berühmtheit erlangte am 24. April 2013 Sabar in Bangladesch, als dort der  mehrstöckige Gebäudekomplex Rana Plaza einstürzte, 1135 Menschen kamen ums Leben und mehr als 2400 Menschen wurden teils schwer verletzt, verstümmelt, erwerbsunfähig.

Dennoch: das Abkommen der EU mit Vietnam steht vor der Unterzeichnung, zu Pakistan, Bangladesh,  Äthiopien pflegt D gute bilaterale Beziehungen, u.a. bestehen Investitionsschutzabkommen..

Trotz aller schönen Worte in den EU-Verträgen und in freiwilligen Vereinbarungen der Konzerne: Kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag verpflichtet Konzerne zur Achtung der Menschenrechte und der grundlegenden Umweltstandards.

Aber: Seit 2014 wird über ein verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (Binding Treaty) verhandelt. Das Abkommen soll sicherstellen, dass Unternehmen entlang ihrer Produktions- und Lieferketten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen. Von Menschenrechts- verletzungen Betroffene sollen nicht nur in ihren Ländern, sondern auch in den Herkunftsländern der Unternehmen ihre Rechte einklagen können.

Die EU und viele ihrer Mitgliedsstaaten weigern sich, sich an den Sitzungen der UN-Arbeitsgruppe inhaltlich zu beteiligen und wollen Pflichten für ihre Konzerne um jeden Preis verhindern.

Gerechter Welthandel geht anders!

Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos (22.1. 2019) starteten über 150 NGOs aus 23 EU-Mitgliedsstaaten die Kampagne Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!

Eine Waage symbolisiert, dass sich das Weltwirtschaftssystem in einem unheilvollen Ungleichgewicht befindet, bei dem die Rechte von Konzernen schwerer wiegen als die Rechte für Menschen und Umwelt.

In einer Petition fordert das Kampagnebündnis  die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, Konzernprivilegien und  die  Straflosigkeit von Konzernen zu  beenden und  von Menschenrechtsverstößen  Betroffenen Zugang zu Gerichten zu geben.

https://www.attac.de/kampagnen/menschenrechte-vor-profit/jetzt-unterzeic...

Konzerne haben zu viel Macht.

Menschenrechte müssen Vorrang vor Handels- und Investitions-Abkommen erhalten.

Werdet aktiv für einen gerechten Welthandel, für eine gerechte Welt.

Macht mit! 

Menschen brauchen mehr Rechte, Konzerne nicht!

Unterschriftenlisten liegen aus.

 

Hanni Gramann ist aktiv bei der attac Gruppe Hannover und ist Mitglied im Rat von Attac Deutschland.