Redebeitrag für den Ostermarsch Berlin am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

WO WARST DU, ALS… Worte zum Ostermarsch 2019 in Berlin

 

Liebe Freundinnen und Freunde!

Als Pete Seeger 1967 zum ersten Mal in der DDR auftrat, lernte ich von ihm ein Lied. Es heißt „My Name Is Lisa Kavelage“, und es erzählt die authentische Geschichte einer jungen Frau aus Nürnberg, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA auswandern wollte. Aber man verweigerte ihr die Einreise mit der Begründung, sie habe sich nicht kritisch genug mit der Nazi-Tyrannei auseinandergesetzt.

Später lernte sie ihre Lektion und durfte in die USA auswandern, wo sie sich in die wachsende Bewegung gegen den Vietnam-Krieg einreihte. Sie wurde verhaftet. Und vor Gericht befragt, warum sie sich mit diesem unpatriotischen Klüngel eingelassen habe, antwortete sie: Um nicht noch einmal in eine Massenschuld verwickelt zu sein. Und um auf die Frage der Nachgeborenen „Wo warst du, als…?“ mit Anstand antworten zu können: Auf der Seite der Würde, der Seite der Menschlichkeit. Ich war auf der Seite des Friedens!

„Wo warst du, als…?“ ist und bleibt eine bohrende Frage der Jüngeren an uns alle – und, wenn wir ehrlich in den Spiegel schauen, eben auch eine immerwährende Selbstbefragung. Und die ist konkret: Wo warst du, als...

NATO-Bomben auf Belgrad jedes Völkerrecht brachen und das multipel aufgeblasene Deutschland wieder Kriegspartei wurde? Was war das für eine Schande 44 Jahre nach dem Untergang der Hitlerreichs: Deutschland wieder Kriegspartei!

Oder als die USA und ihre „Willigen“ für Öl und Vorherrschaft den Irak verwüsteten und den Staat Libyen faktisch auslöschten?

Oder als bundesdeutsches Kriegsgerät vor den Westgrenzen Russlands in Stellung gebracht wurde, wissend, dass auf der anderen Seite die Trauer über 27 Millionen sowjetische Kriegsopfer unvergessen ist? War das der Dank für unsere Befreiung vom Hitlerfaschismus?

Oder als die USA den INF-Vertrag einseitig aufkündigten, die Modernisierung ihres nuklearen Potentials samt Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa kalkulierten und aus überseeischer Deckung heraus auch Deutschland als ein zentrales Feld künftiger Scharmützel auserkoren haben? Deutschland unter nuklearer Bedrohung? Das dürfen wir uns nicht bieten lassen!

Oder als die US-Administration Deutschland zur Verdopplung seiner Rüstungsausgaben zwingen wollte und ihr Botschafter in Berlin wie ein arroganter Gouverneur die Erfüllung der Trumpschen Twitterbefehle  einforderte, als wäre Deutschland ein amerikanischer Hinterhof, eine Bananenrepublik? Und eine Bundesministerin knickst noch dazu! Was soll das überhaupt heißen, die Amerikaner könnten Deutschland sonst nicht mehr beschützen? Ich dachte immer, Schutzgelderpressungen gibt’s nur bei der Mafia. Und wenn wir schon beim Geld sind – vielleicht sollten wir dem Weißen Haus mal vorrechnen, was die von den USA angezettelten Kriege die Welt bis auf den heutigen Tag kosteten und noch immer kosten. Die Herren der Kriege verwüsten, und die Völker sollen die Zeche bezahlen - was ist das für eine perverse Rechnung?

Oder als Trump kürzlich sein Dekret zur Schaffung von Weltraumstreitkräften unterzeichnete, wodurch die neue Space Force zum sechsten Teil der US-Streitkräfte avanciert? Jetzt also den Krieg noch ins All tragen? Haben die in Washington den Verstand verloren?

In der Schicksalsfrage „Krieg oder Frieden?“ erlebt unser erschütterter Planet eine herausfordernde Bipolarität. Dort die auf Aggression, zügelloses Wettrüsten und Destabilisierung der spärlichen Friedensgerüste gepolten Kräfte. Die pfeifen auf das soziale Wohl der Völker und sind auch bereit, die fragilen ökologischen Wurzeln unserer Welt zugunsten ihrer Vorherrschaftsinteressen zu kappen.

Auf unserer Seite der Kräftepol der Kriegs- und Aufrüstungsgegner, der engagierten Streiter in der deutschen und globalen Friedensbewegung. Wir werden von unser Hoffnung nicht lassen, und nicht von der Überzeugung: So gefährdet, wie die Welt ist, darf sie nicht bleiben. Wir müssen stärker werden! Gut so, dass der alte westdeutsche Ostermarsch-Vers zu einem gesamtdeutschen Evergreen wurde:  „Unser Marsch ist eine gute Sache, weil er für eine gute Sache geht.“ Und wer mit uns geht, der weiß auch eine geschichtsbewusste Antwort auf die Frage: „Wo warst du, als…“ Und auf das, was ich jetzt singen will: „Sag mir, wo du stehst!“