Redebeitrag für den Ostermarsch Rhein-Ruhr in Dortmund am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Abrüsten statt Aufrüsten

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es ist etwas ganz Besonderes, und ich freue mich, an diesem Ostermontag hier auf dem Dortmunder Friedensplatz zu Euch zu sprechen.

"Unser Marsch ist eine gute Sache, weil er für eine gute Sache steht.“ Mit diesem Lied von Hannes Stütz auf den Lippen sind wir seit über 60 Jahren unterwegs. Wer weiß das besser, als unser Kollege und Freund Willi Hoffmeister, der von Anfang an hier in Dortmund dabei ist?

Nicht nur dabei, sondern immer vorneweg!

Auch in seinem hohen Alter!

Hier im Revier, gehören Arbeiter- und Friedensbewegung zusammen.

Nur gemeinsam können wir erreichen, dass unsere Welt friedlicher und gerechter wird. Wir wollen das gemeinsam erreichen.

Dir, lieber Willi, vielen Dank für dein unermüdliches Engagement in all diesen Jahren! – und einen besonderen Applaus –!

Wir lassen uns nicht beirren. Noch davon, ob „Frieden“ gerade Konjunktur hat. Oder nur ein paar hundert Friedensfreunde die blaue Fahne mit der Friedenstaube von Picasso hochhalten.

Gegen eine scheinbar übermächtige Mehrheit.

Unser „Marsch der Minderheit“ ist vielmehr ein Marsch der Mehrheit.

Wir sagen NEIN zu Krieg, Atomrüstung und innerer Militarisierung.

Wir sagen JA zur zivilen Lösung der Zukunftsprobleme.

"Wir marschieren für die Welt, die von Waffen nichts mehr hält, denn das ist für uns am besten!“

Verbot der Atomwaffen

 

Kolleginnen und Kollegen, liebe Friedensfreunde,

der 1. Ostermarsch vor über 60 Jahren stand unter dem Motto „Kampf dem Atomtod!“. Das ist heute leider immer noch aktuell.

In Deutschland und um Deutschland herum lagern immer noch Atomsprengköpfe. Die Zahl der Atommächte ist gestiegen, und sie steigt weiter.

Am 1. Juni 1988 trat der im Dezember 1987 von US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow unterzeichnete Vertrag über die „Intermediate-range Nuclear Forces“ (INF) in Kraft.

Beide Seiten verpflichteten sich zur Vernichtung ihrer atomaren Mittelstreckenwaffen, womit die Bedrohung Europas und großer Teile Russlands durch einen Atomkrieg abnahm.

Viele von uns haben damals gehofft, dass diese und weitere Abrüstungsschritte den Weg frei machen für ein umfassendes Verbot und die Vernichtung sämtlicher atomarer Massenvernichtungswaffen.

Aber Anfang Februar dieses Jahres kündigte US-Präsident Donald Trump den INF-Vertrag.

Der russische Präsident Wladimir Putin setzte ihn daraufhin ebenfalls aus.

Nach der sechsmonatigen Kündigungsfrist droht dem INF-Vertrag im August 2019 die endgültige Auflösung:

Es droht die Gefahr eines neuen Wettrüstens.

Die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in Europa wäre möglich. Dabei wird schon seit Jahren geplant, u.a. die in Büchel gelagerten Atomwaffen aufzurüsten.

Wenn es den USA, Russland und anderen Atomwaffenstaaten ernst wäre mit ihrem Anspruch, ihre Länder und die Welt sicherer zu machen, dann würden sie endlich über Abrüstung reden – über echte Abrüstung!

122 Staaten haben im Juli 2017 vorgemacht, wie das geht. Sie haben den »Vertrag über das Verbot von Kernwaffen« vereinbart.

Mittlerweile haben 70 Staaten den Vertrag unterzeichnet – die USA, Russland, China oder die NATO-Staaten gehören nicht dazu. Auch die Bundesregierung lehnt den Vertrag ab.

Die internationale Kampagne für die Abschaffung aller Atomwaffen, ICAN, hat dafür zurecht 2017 den Friedensnobelpreis erhalten.

Ein neues Bündnis von Städten weltweit setzt alle Regierungen unter Druck, jegliche Beteiligung an der atomaren Abschreckung und jegliche Verstrickung in Atombombengeschäften zu unterlassen.

In der Begründung zu dem entsprechenden Beschluss in Dortmund, heißt es unter anderem, ich zitiere:

„Alle Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartner nehmen diese Bedrohung in Kauf und sehen den Einsatz von Atomwaffen als legitime Verteidigungsstrategie.
Damit setzen diese Staaten ihre Bürger und Bürgerinnen der Vernichtungsgefahr aus. Immer wieder sind wir in der Vergangenheit an einem Atomkrieg vorbeigeschrammt.
Städte tragen eine besondere Verantwortung für den Schutz ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie sich gegen Atomwaffen aussprechen.“

435 Abgeordnete aus dem Europaparlament, dem Bundestag und den Landtagen haben die ICAN-Erklärung unterzeichnet, mit der sie sich für den Verbotsvertrag einsetzen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist Zeit für eine neue Entspannungspolitik!

Von den USA und Russland fordern wir:

  • Erhalten Sie den INF-Vertrag einschließlich der Überprüfungs- und Überwachungsmaßnahmen.
  • Verlängern Sie den 2021 auslaufenden New-START-Vertrag mit Obergrenzen für strategische Atomsprengköpfe und Trägersysteme.
  • Treten Sie und damit alle anderen Atommächte dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag bei.

Wir fordern von der Bundesregierung:

  • Deutschland muss die USA zum Abzug der Atomwaffen aus Büchel auffordern!
  • Deutschland darf auf keinen Fall einen neuen Atombomber anschaffen!
  • Deutschland darf nicht zulassen, dass neue Atomwaffen nach Büchel oder einem anderen Stationierungsort kommen!
  • Deutschland muss unmissverständlich klarmachen, dass es keiner Stationierung neuer Raketen in Europa zustimmen wird!
  • Deutschland muss seine Haltung zum Atomwaffenverbot überdenken und dem Vertrag beitreten, möglichst rasch!

Unsere Botschaft an die Bundesregierung ist knapp und einfach zu verstehen: Abrüstung schafft Sicherheit!

Für ein Europa des Friedens und der Abrüstung

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde,

in Deutschland sind wir nach der Befreiung vom Faschismus vom Krieg verschont geblieben.

Unsere Hoffnungen auf eine friedlichere Welt insgesamt, ohne Kriege, haben sich aber leider nicht erfüllt.

In wenigen Wochen, am 26. Mai, wählen wir das Europäische Parlament.

Bei aller Kritik an dem heutigen Zustand der Union:

Das geeinte Europa war und ist ein Friedensprojekt, das aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts erwachsen ist.

Ohne Frieden ist alles andere nichts!

Deshalb darf sich Europa nicht in eine neue Aufrüstungsspirale zwingen lassen und muss seinem Gründungsversprechen als Friedenprojekt treu bleiben.

Was wir brauchen, ist ein Europa, das auf der Weltbühne Konfliktprävention betreibt, humanitäre Verantwortung übernimmt und für soziale Gerechtigkeit eintritt.

Was wir nicht brauchen, ist ein Europa, das sich an dem Wahnsinn des internationalen Rüstungswettlaufs beteiligt.

Wir sagen NEIN zur Rüstung und JA zu einem Europa des Friedens, Kolleginnen und Kollegen!

Abrüsten statt Aufrüsten

Unser Traum von einer gerechteren Welt in Frieden – unser Ideal – ist und bleibt beständig.

Aber es erscheint uns heute so fern – angesichts der vielen Kriege und Konflikte in dieser Welt.

Angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen.

Angesichts des Hungers und der Entrechtung in vielen Ländern.

Verursacht durch die abgründigen Interessen und die Macht global agierender Konzerne und autokratischen Politikern.

 

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde,

wir erleben heute eine neue Phase der Aufrüstung:

Der Rüstungshaushalt soll nach dem Willen der NATO auf zwei Prozent des Volkseinkommens erhöht werden.

Das ist unverantwortlich, verschärft die weltweiten Konfliktlagen und führt zu neuem Hunger und Elend.

"Abrüsten statt Aufrüsten“ ist dagegen das Motto eines gemeinsamen Aufrufes der Friedensbewegung, den die meisten von uns sicher kennen, ja selbst unterschrieben haben.

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass er von noch viel mehr Menschen unterschrieben wird!

Wir brauchen nicht mehr Geld für Rüstung. Wir brauchen das Geld für Bildung, Infrastruktur und zivile Investitionen, gerade mit Blick auf die bevorstehende Transformation der Industrie.

Das können dann gerne auch mehr als zwei Prozent sein, die wir dafür mobilisieren!

Ich fordere deshalb von der Bundesregierung:

  • Keine Erhöhung der Rüstungsausgaben!
  • Zivile Investitionen sind das Gebot der Stunde!

Daran wollen wir sie erinnern. Daran werden wir sie messen!

Ohne Wenn und Aber!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Welt ist in einem gefährlichen Krisenmodus.

In Afrika sind Millionen Menschen vom Hungertod bedroht.

In Europa und in Deutschland nimmt die soziale Ungleichheit und Armut in einem langen nicht gekannten Ausmaß zu.

Das alles spitzt sich zu, statt die vielen Kriege und Konflikte zu deeskalieren.

Wir wollen nicht, dass das so weitergeht!

Nur ein Bruchteil der 1,7 Billionen Dollar, die weltweit für Rüstung ausgegeben werden, würde ausreichen, die wichtigsten Millenniumsziele der Vereinten Nationen zu erreichen:

Armut halbieren,

alle Menschen mit sauberem Wasser versorgen, ebenso mit Gesundheitsdiensten und Bildung.

Das wäre machbar!

 

Aber, liebe Friedensfreundinnen und Kollegen,

wir haben zurzeit mehr heiße Kriege als je zuvor auf unserer Welt.

Diesen Wahnsinn dürfen wir nicht mitmachen!

Vielmehr muss im Vordergrund das Bemühen stehen, allen Menschen ein Leben ohne Not zu sichern.

Wir wollen eine Politik der Abrüstung und Konfliktprävention, der sozialen Gerechtigkeit und der internationalen Solidarität.

Gegen Rüstungsexporte, für Konversion

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

um es drastisch, aber auch in aller Klarheit zu sagen: Der Tod ist immer noch ein Export-Weltmeister aus Deutschland.

Deutschland bleibt gegenwärtig nach den USA, Russland und Frankreich der viertgrößte Waffenexporteur der Welt. Noch vor China, das im letzten Jahr noch auf Platz 3 rangierte.

Ein erbärmlicher Spitzenplatz, liebe Freundinnen und Freunde!

Wir alle wissen: Rüstung tötet! Auch im Frieden!

Dieses Motto der Friedensbewegung, unserer Bewegung, gilt nach wie vor.

Die Exporte von Waffen und ihre unkontrollierte Weitergabe tragen weltweit dazu bei, dass Menschenrechte verletzt werden. Und: Sie halten eine Todesspirale in Gang.

Momentan sehen wir das besonders im Jemen. Dort führt das auch mit deutschen Waffen hochgerüstete Saudi-Arabien einen schmutzigen Krieg gegen die Bevölkerung.

Die Vereinten Nationen charakterisieren diesen Krieg, der seit 2015 tobt, als derzeit schlimmste humanitäre Katastrophe weltweit.

Erst Ende letzten Jahres hatte die Bundesregierung alle Waffen-Lieferungen an Saudi-Arabien gestoppt: „Zeitlich begrenzt“ und nun um ein halbes Jahr bis Ende September verlängert.

Die neue CDU-Chefin macht – wie die Waffen-Lobby – Druck auf den Koalitionspartner, die im Koalitionsvertrag vereinbarten strengen Regeln für den Waffenexport aufzuweichen.

Und sie macht den Beschäftigten Angst, ihre Arbeitsplätze wären sonst gefährdet, wenn wir nicht die Profitinteressen der mittlerweile europäisch verflochtenen Rüstungsindustrie an oberste Stelle setzen.

Wir fordern die SPD auf, hier nicht nachzugeben!

Natürlich haben wir als Gewerkschaften immer auch die Ängste und Sorgen unserer Kolleginnen und Kollegen im Blick, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, wenn die Nachfrage nach Kriegsmaterial nicht mehr bedient werden kann.

Aber wir lassen uns nicht vor den Karren einer Wirtschaftslobby spannen, die ihren kurzfristigen Profit im Geschäft mit Waffen und Kriegsgerät sucht, ohne Rücksicht auf die Opfer der kriegführenden Mächte!

Ihnen allen sei gesagt:

Gesamtwirtschaftlich betrachtet, machen Rüstungsexporte weniger als 0,3 Prozent des gesamten deutschen Exports aus.

Wohlstand und Arbeitsplätze hängen in diesem Land nicht von der Rüstungsindustrie und dem Export von Waffen ab.

Was fehlt, ist der entschiedene Wille der Politik, Rüstungskonversion wirklich ernsthaft zu betreiben und zu begleiten.

Da müssen wir dicke Stahlplatten aufbohren, Kolleginnen und Kollegen!

Aber eines ist hoffentlich allen klar: Metallerinnen und Metaller, die heute noch Waffen oder anderes militärisches Gerät bauen, würden lieber heute als morgen zivile Güter herstellen.

Wenn eine Reduzierung oder gar der Ausstieg aus der Rüstung angesteuert wird, sind aber zeitliche Übergänge, Mittel für Qualifizierung sowie für Forschung und Entwicklung notwendig.

Für die IG Metall ist klar: Der Weg, hin zu Konversion und zu zivilen statt militärischen Gütern, kann nur mit den Beschäftigten, nicht gegen sie entwickelt werden.

Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen! Lasst uns gemeinsam weiter eintreten für die Umstellung von militärischer in zivile Produktion.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben unsere Geschichte gelernt:

Am 1. September werden wir wieder für den Frieden demonstrieren.

An diesem Tag jährt sich der Überfall auf Polen, mit dem Nazideutschland vor 80 Jahren den Zweiten Weltkrieg begonnen hat.

Dieser Krieg hat unermessliches Leid über die Welt gebracht.

60 Millionen Tote waren die Folge der menschenverachtenden Politik eines übersteigerten Nationalismus gepaart mit Militarismus und Rassismus.

Diese ungeheure Zahl übersteigt das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen.

Und je weniger Zeitzeugen es noch gibt, desto größer ist die Gefahr, dass das Grauen dieses Krieges nur noch als abstrakter Superlativ in den Köpfen der Menschen präsent ist.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir immer wieder daran erinnern und diese Botschaft auch an die nächsten Generationen weitergeben:

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Ich bin überzeugt:

Wir können die Probleme auf unserer Erde nur zivil lösen.

Dafür müssen wir das Militärische stoppen, und zwar überall!

In den Köpfen, in den Medien und in der Politik.

Ich weiß, dies ist ein langer und mühsamer Weg.

Und wir – als Gewerkschaften – können diesen Weg nicht alleine gehen.

Deshalb Danke, dass ihr heute hier seid.

Danke, dass ihr aktiv seid. Für und in der Friedensbewegung.

Für ein friedliches Europa ohne Krieg, Ausgrenzung, Hass und Nationalismus.

Lasst uns weitermarschieren:

„Wir marschieren für die Welt,
die von Waffen nichts mehr hält,
denn das ist für uns am besten.“

 

Vielen Dank.

 

Wolfgang Lemb ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.