Redebeitrag für den Ostermarsch Rhein-Ruhr in Duisburg am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Kriege enden nicht im Frieden!

 

Liebe Friedensfreundinnen und liebe Friedensfreunde!

Wir stehen hier stellvertretend für viele, die - wie wir - Sorgen haben. Wir sind hier, weil wir immer noch hoffen, weil unser Engagement für das Leben immer dringender wird.

Wir schlagen Alarm angesichts der Gefahr eines nuklearen Infernos und angesichts des ökologischen Damoklesschwerts über jedem unserer Schritte und Atemzüge hier und heute. Die einseitige schwarz-weiß-Propaganda der guten Nato und der bösen Gefahren im Osten vergiftet das Denken und Handeln vieler Menschen im Sinne des Militarismus und des Rassismus, der aktuell auf alles Russische ausgedehnt wird.

Die Friedensbewegung ist weltweit und ein breites Bündnis für die Abwendung der ökologischen und militärischen Zukunftsgefährdungen. Wir stehen hier für die Umsetzung der Vorgabe des Vertrages zur Deutschen Einheit von 1990, der von unserem Land verlangt, dass es sich für eine Friedensordnung einsetzt, die die Sicherheit „eines jeden“ gewährt statt auf Abschreckung und Gewalt zu setzen.

Uns geht es um die Aktivierung möglichst „eines jeden“. Wir verurteilen nicht nur die Invasion Russlands in die Ukraine, sondern auch den durch die Nato-Osterweiterung vollzogenen Bruch völkerrechtlicher Texte im Sinne einer Friedensordnung der gemeinsamen und somit gegenseitigen Sicherheit in Europa. Und wir verlangen eine solche Weltfriedensordnung der Kooperation zur Lösung der Menschheitsfragen. Die völkerrechtswidrigen Kriege, die die Spannungen nicht nur in Osteuropa, sondern auch im Balkan, in Afrika und Westasien steigern, untergraben die Aussicht für die Zivilisation auf eine Zukunft, die mit Abschreckung, nuklearer Drohung, Gewalt und Vormachtstreben unvereinbar ist – die Weltfriedensordnung, die alleine den Weg in die Zukunft weist, baut auf Kooperation auf. Zukunft heißt Abrüstung, Ökologie, Frieden, Diplomatie und Verhandlungen zur Lösung der globalen Herausforderungen.

Ich sage dies, während wir alle uns nach den kritischen Nuklearwissenschaftlern auf der Eskalationsleiter bei eineinhalb Minuten vor Zwölf befinden. Es bedarf wenig Phantasie, sich vorzustellen, wie die Stunde null in symbolischen 90 Sekunden aussieht.

Die Kräfte des militärisch-industriellen Komplexes in Staat und Wirtschaft, vor allem in den Rüstungskonzernen wie Lockheed Martin, General Atomics, Rheinmetall, Thyssen-Krupp und Kraus Maffei führen die Welt in ein selbstmörderisches Himmelfahrtskommando. Mit ihrem irrationalen Narrativ von Militär, Rechtsbrüchen, der Macht des Stärkeren und von Waffengängen in mehreren Schlachtfeldern unserer heutigen Welt steigern sie die Gefahr unkalkulierbarer militärischer und ökologischer Katastrophen am Rande des Abgrunds.

Eine weltweite Kooperation von sowjetischen und westlichen Wissenschaftlern erbrachte vor vierzig Jahren die Erkenntnis, dass die Menschheit schon einen kleinen, begrenzten Nuklearkrieg nicht überlebt: Der Rauch brenneder Städte verdunkelt den Himmel weltumspannend, sodass mit dem Pflanzenabsterben die Nahrungsversorgung zusammenbricht und zumindest ein Großteil der Menschheit stirbt. Das zu riskieren hat niemand das Recht.

Es kommt einem Wunder gleich, dass wir bisher überlebt haben und dass wir heute hier sein können. Wenn die Menschheit überlebt, dann ist das auch ein Erfolg der Friedenskräfte weltweit, also auch von uns hier. Unsere Antwort auf Abschreckung, Nuklear- und Hochrüstung, auf Naturvernichtung und auf die Lüge eines nuklearen Schutzschirms ist die weltumspannende Kooperation zur Abwendung des Artensterbens, der Naturvernichtung und Erderwärmung nur dann gibt es Zukunft. Sicherheit gibt es heute nicht gegen andere sondern nur noch gemeinsam mit allen Teilen der Menschheit. Das ist unsere letzte verbliebene Chance im 21. Jahrhundert.

Wir senden diese Botschaft aus dem stark von der Arbeiterbewegung geprägten Ruhrgebiet für und mit vielen Menschen, die der Gewerkschaftsbewegung anhängen. Auch ich bin Mitglied von Verdi und der Lehrergewerkschaft GEW. Mit den Worten des Aufrufs des DGB zu den diesjährigen Ostermärschen verurteilen wir „alle Regierungen, die …Gewalt …als Mittel der Politik … einsetzen!“ Im Aufruf heißt es weiter: „Wir sind der Überzeugung, dass immer mehr Waffen nicht automatisch zu einem schnelleren Ende des Krieges führen. Im Gegenteil! Es ist unerträglich, mit welcher Leichtfertigkeit in vielen Medien und von vielen in der Politik wahllos nach immer mehr Waffen für die Ukraine gerufen wird.“

Wir Friedenskräfte berufen uns aufs Friedensgebot des Grundgesetzes, wenn wir gegen die Kriegstrommler für die Zukunft des Lebens demonstrieren. Wir protestieren gegen Kriegstrommler, die z.B. diese Woche zur Hauptsendezeit in einem ARD-Film grundgesetzwidrig Stimmung mit diesen Fragen machten: "Können wir Krieg?" und:“ Wie kriegstauglich ist die Bundeswehr heute?“ (https://programm.ard.de/TV/daserste/koennen-wir-krieg-/eid_281064000908192) Unsere Hoffnung besagt, Frieden und Zukunft entspringen der Diplomatie und nicht dem Krieg. Dies gilt heute mehr denn je, da das Leben auf einem Planeten mit mehreren Hundert Atomreaktoren auch ohne Nuklearschläge zum nuklearen Inferno zu werden droht.

Wir verteidigen mit gewaltfreien Mitteln nicht nur hier und heute die Zivilisation gegen Kriegspropaganda und Diffamierung der Friedenskräfte. Wir verteidigen die UNO-Charta, das Grundgesetz und die Vision einer überlebensfähigen Welt gegen die Militärlobby.

Wir wenden uns ebenfalls gegen die Kampagne gegen die Friedensbewegung, der zufolge sie rechtsoffen sei. Zum einen ist setzt sich die Friedensbewegung für Internationalismus ein, gegen Militär und Militarismus gegen Rassismus in allen Formen und für die demokratischen Grundrechte aller Menschen. Demgegenüber ist rechts nationalistisch, gewaltbefürwortend und militaristisch, rassistisch und undemokratisch. Wenn zum Beispiel die AfD gegen Waffenlieferungen ist, dann deshalb, weil sie in ihnen eine „Ausplünderung der Bundeswehr“ sieht. Diese Begründung ist das Gegenteil eines friedenspolitischen Motivs.

Wir sind auch nicht nur gegen den einen Krieg in Osteuropa, auch wenn wir dahin manipuliert werden, alles andere auszublenden. Wir sind gegen weltweit alle Kriege unserer Zeit, darunter ist auch der Jemenkrieg der Waffenkunden der Nato aus Katar und Saudi-Arabien. Wir werden hier gleich in der Demonstration Kreuze mit Angaben zu Todeszahlen aus vielen Kriegen unserer Epoche mittragen, um die Tragödie dessen visuell deutlich zu machen, wegegen wir uns engagieren. Unser Nein zum Krieg entspringt einem Ja zum Leben.

Wir verurteilen aufgrund unseres historischen Blicks auch nicht nur die Invasion Russlands in die Ukraine, sondern zugleich verurteilen wir es, dass die Nato es darauf angelegt hat, dass dieser Krieg entbrennt. Die Eskalation der Spannungen in Europa in der Folge der Osterweiterung der Nato, die mit völkerrechtlichen Verträgen zum europäischen Haus bricht, denen zufolge in der Konsequenz sich die Nato, wie es US-Außenminister James Baker Michail Gorbatschow gegenüber ausdrückte, keinen Zentimeter über Deutschland hinaus ostwärts ausdehnt, macht die Kriegspropaganda vergessen, wenn sie die Schritte der Nato auf der Eskalationsleiter ausblenden, obwohl renommierte Experten genau davor gewarnt haben, was jetzt ist, darunter ist der letzte US-Botschafter in der Sowjetunion Jack Matlock und den Nato-Strategen George F. Kennan, die früh schon vor diesen gefährlichen Eskalationsschritten gewarnt hatten. Die Nato wusste aus Kenntnis des Völkerrechts und aufgrund solcher Warnungen, welches Risiko sie Europa und der Welt mit ihrer Expansion aufbürdet. Im Übrigen hält das Argument der Nato nicht Stand, dem zufolge sie mit der Aufnahme der osteuropäischen Staaten, die der Nato beigetreten sind, alleine deren Souveränität geachtet hat. Dazu erkläre ich: Wenn jemand bei mir um 16 Uhr klingelt, weil er mit mir einen Kaffee trinken will, ist das sein souveränes Recht. Ob ich ihn zu mir ins Wohnzimmer lasse, entscheide dann immer noch ich unter Abwägung meiner Beweggründe. Und wenn die Nato, was führende Staaten getan haben, die völkerrechtlichen Dokumente, die sie gezeichnet hat, respektiert, wird sie unter Verweis auf die Friedensordnung von Lissabon bis Wladiwostok die souverän angefragte Mitgliedschaft aus rechtlichen Gründen abschlägig zu bescheiden haben. Das ist unser Verständnis von Vertragstreue, von Recht.

In der Ukraine ist das Risiko von Konflikten schon wegen der 15 Atomreaktoren dort höher als in vielen anderen Staaten Europas. Trotz ihrer Existenz hat die Nato die Spannungen eskaliert und die Ukraine mit zig Milliarden Dollar aufgerüstet, statt die Friedensordnung wie einen Augapfel zu hüten.

Die Bündnisgrüne Fraktion mit Frau Baerbock und Herrn Trittin stellte im Bundestag am 25.Juni 2014 eine Anfrage im Bundestag, in dem sie auf die hier im Raum stehende Gefahr einer Kernschmelze Bezug nehmen. Zitat: „Sicher ist die Situation keineswegs. Das Risiko wird nun durch die aktuellen politischen Spannungen - vor allem in der Ostukraine - massiv verschärft.

… Am 19. Mai 2014 teilte … NATO-Generalsekretär … Rasmussen … mit, dass ein Expertenteam in die Ukraine entsandt worden ist, um die Sicherheit an den Atom-anlagen zu verstärken.“ In einer solchen Situation ist das oberste Gebot aller Politik im Sinne des Lebens Diplomatie, Verhandlungen, gemeinsame Sicherheit im Frieden.

Die Nato hat wie Russland mit ihrer Spannungseskalation sehenden Auges ein unkalkulierbares Risiko generiert und die dadurch entstandene Gefahr nimmt tagtäglich zu. Nuklearanlagen sind von einer garantiert sicheren ununterbrochenen Kühlung abhängig, sonst besteht die Gefahr einer Kernschmelze, bei der gegenüber der Tschernobyl-Havarie ein Vielfaches der Strahlenbelastung austritt, mit dem Resultat, dass sich die nächsten tausend Jahre niemand mehr in dem riesigen Gebiet der Verstrahlung – abhängig von der Windrichtung – blicken lassen darf.

Für uns war der Tag der Invasion Russlands in die Ukraine keineswegs der Tag einer Zeitenwende. Zum einen erklärte Nato-Generalsekretär Stoltenberg Mitte Februar selbst, dass der Krieg nicht am 24.2.2022 begonnen hat, sondern acht Jahre zuvor.

Er sagte, die Ereignisse waren „absehbar“, die NATO sei „vorbereitet gewesen, als es passierte“. Zitat Ende. (unser-mitteleuropa.com) In anderen Worten: Die Eskalation die auch der sozialdemokratische Spitzenpolitiker Klaus von Dohnanyi der Nato vorwirft! Wir sagen: Diplomatie statt Krieg, Ausstieg aus dem Atom!

Meines Erachtens kam es zum anderen genau morgen vor einem Jahr zur Zeitenwende: Westliche Interventionen in Kiew veranlassten die Regierung der Ukraine fast unterschriftsreife Friedensverhandlungen abzubrechen. Es war vereinbart worden, dass Russland sich auf die Positionen zurückzieht, „die es im Februar innehatte, als es die Kontrolle über einen Teil des Donbass und der Krim übernommen hatte. Die Ukraine würde ihrerseits versprechen, keine Annäherung an die NATO zu suchen. Unter anderem nachdem Boris Johnson verlangte, „keine Zugeständnisse an Putin zu machen“, riss der Gesprächsfaden ab. Viele sagen, das lag an Kriegsverbrechen, die damals bekannt wurden. Wir fragen: Seit wann sind Verbrechen im Krieg ein Grund für weitere Kriegsverbrechen, für Zerstörung am Rande des Abgrunds? Seit wann bricht man unter Verweis auf solche Verbrechen Friedensverhandlungen ab, wodurch man das Risiko weiterer solcher Gewaltakte steigert?

Seit dem Abbruch dieser Verhandlungen sind zehntausende Menschen aus der Ukraine und aus Russland umgekommen, riesige bewohnte Gebiete sind zerstört, Ernte vernichtet, Atomanlagen lagen mehrmals nahe am Kampfgeschehen, die Atomkriegsgefahr hat zugenommen.

Mit dieser Politik spielen alle Seiten mit dem Feuer.

Wir stehen in der Verantwortung, an die Forderungen der Friedensbewegung der 1980er Jahre anzuknüpfen, als Hunderttausende unter dem Motto demonstrierten „Gegen die nukleare Bedrohung gemeinsam vorgehen!“ Das ist aktueller denn je. Der Ostermarsch dieses Jahres ist deutlich kleiner als damals und zugleich ist er genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger denn je! Kriege enden nicht im Frieden, Frieden ist die Bedingung für ein Überleben der Menschheit im Treibhaus Erde!

Verhandeln statt Schießen! Abrüstung statt Abschreckung ist der Schlüssel zur Zukunft!

Die Gründungspersönlichkeit der Grünen Petra Kelly beklagte 1983, dass die Regierungen der Welt offiziell 2,3 Millionen US-Dollar je Minute für den Militärsektor ausgeben. Letztes Jahr bedeuteten die laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI 2113 Mrd. US-Dollar fast eine Verdoppelung dieser Zukunftsgefährdung. Und das in einer Zeit, in der wir nach UNO-Angaben nur noch ein Rest-Budget von 400 Gigatonnen CO2 haben, um das 1,5 Grad-Ziel der Pariser Klimakonvention einzuhalten. Die Erderwärmung schreitet schneller als befürchtet voran; wir haben jetzt alle Konzentration auf die Abwendung der Zukunftsgefährdungen zu legen. Das Klima wartet nicht während es durch Kriege weiter befeuert wird. Wenn wir nicht endlich Sicherheitspolitik als Lebensbewahrung verstehen, dann wird die Erde am Ende unbewohnbar. Das zu verhindern, dafür marschieren wir an Ostern und immer wieder aufs Neue. Wir geben nicht auf und wir räumen die Straße nicht. Wir gehen gemeinsam gegen die Zukunftsbedrohungen vor! Wir wissen, Blut kann man nicht mit Blut auswaschen und Kriege enden nicht im Frieden. Wenn wir eine Zukunft sichern wollen, und das wollen wir, dann kann das nur eine Zukunft des Friedens sein.

 

Bernhard Trautvetter ist aktiv beim Essener Friedensforum.