Redebeitrag für den Ostermarsch Rhein-Ruhr in Bochum am 9. April 2023

 

 - Friedensrede wegen Krankheit zur Verlesung -

 

"No Peace – no Future“

Ohne ein neues Weltfriedensgefüge wird die menschliche Gattung auf diesem Planeten scheitern – die allgegenwärtige Militarisierung führt hinein in die Barbarei und unermessliche Leiden der nach uns kommenden Generationen

 

Liebe Freundinnen und Freunde in der Friedensbewegung, liebe Mitmenschen,

das Programm Krieg ist keine ewige Naturerscheinung, die immer schon bestanden hat und unabänderlich wäre. Es gehört vielmehr zu einer gewalttätigen Zivilisationsentwicklung von nur wenigen Jahrtausenden, die im Spätstadium die Lebensgrundlagen auf der Erde zerstört und sich unfähig zeigt, der ökologischen Katastrophe gegenzusteuern.

Im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung entscheidet sich das Schicksal der menschlichen Gattung: Heute! Ohne ökologischen Lebensschutz und eine durchgreifende Antwort auf die Kriegsfrage wird der Homo sapiens scheitern. Und zwar infolge eines kollektiven Selbstmordprogramms.

Der Wirklichkeitsverlust im öffentlichen Raum kennt keine Grenze mehr

Doch die wirtschaftlich-politisch-militärische Symbiose des aggressiven Zivilisationsmodells gipfelt dieser Tage in einen Irrationalismus sondergleichen. Zuletzt haben „zwei Jahrzehnte Afghanistan“ den Totalbankrott des „Lösungsprogramms Krieg“ offenbar gemacht. Der militärische Heilsglaube bleibt aber immun gegenüber allen Fakten und wird feuriger denn je auf sämtlichen Kanälen gepredigt. Wer sich dieser Esoterik des ewigen Patriarchats nicht fügt, den führen selbsternannte Inquisitoren als Ketzer vor. Die allgegenwärtige Militarisierung will man uns sogar dreist als „feministisch“ oder „links“ verkaufen.

Die Schwätzer der Talkrunden fachsimpeln über Waffengattungen und Strategien des „Abnutzungskrieges“ – kompromisslos bis zum bitteren Ende. Offenbar ist ihnen kein Leichenberg zu groß, um am Ende eine „Siegesfahne“ darauf aufstellen zu können. Nationalistische „Helden“ müssen nur auf der „richtigen Seite“ stehen, dann übersieht man gerne faschistische Embleme auf ihren Uniformen.

Derweil wird das Gedächtnis der Millionen Kriegsopfer dieses noch jungen Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart so sehr verzerrt von einer breiten Querfront der Bellizisten, dass ein zynisches Weltbild des Rassismus zum Vorschein kommt. Es gibt auch keine Aufklärung über die real existierende Verteilung der Waffenbudgets und die Karte der Militärstützpunkte auf dem Globus. Das spricht Bände. Mit Hilfe „Künstlicher Intelligenz“ erreichen die Revolutionen der militärischen Todestechnologie ein totalitäres Niveau, das jede Hoffnung auf ein mehr demokratisches Gefüge der Völkerwelt schwinden lässt. Die Aktien der Totmachindustrien steigen steil in die Höhe. Die Profiteure dürfen sich als Retter der Unterdrückten feiern lassen.

Die herrschende Politik hält unverdrossen an der Religion des Neoliberalismus fest, betrachtet die Machtakkumulation durch Geldvermehrungsapparate als unantastbar und erweist sich als Dienstleister der Rüstungsindustrie. Selbst Maßnahmen gegen den Klimawandel, die gar nichts kosten oder offenkundige wirtschaftliche Vorteile für die Allgemeinheit bringen, werden nicht umgesetzt. Niemand sollte sich darüber wundern. Denn die Parole lautet: „Freie Fahrt für den Wahnsinn. Vorfahrt für das Programm Militär. Die Umwelt muss warten!“ So war es schon im Jahr 2000, als Al Gore eine Klimawende einleiten wollte und dann ein endloser Krieg kam.

Die Nachrichtensender informieren folgerichtig nicht über die jüngste Kette der Umweltkatastrophen in fernen Erdregionen. Der vergleichsweise noch moderate Klimakatastrophen-Alarm auf Ebene der Vereinten Nationen zeigt, dass vielleicht schon in Kürze gefährliche Kipppunkte erreicht sind. Doch das ist in diesen Tagen keine Schlagzeile wird. Bedrohlicher könnte der Realitätsverlust im öffentlichen Raum nicht mehr ausfallen.

Der dritte Weltkrieg als Pokerspiel und die „Barbarei“

Dem Publikum soll weisgemacht werden, die rasante Militarisierung sei ein „Feldzug für die Freiheit“. Es handelt sich aber um die Schnellstraße für einen autoritären Kapitalismus, die nicht hinein in „Freiheit“ führt, sondern in einen Abgrund. Eine Politikerkaste, die sich von allen Erfahrungen der Alten abgekoppelt hat, pokert damit, dass der dritte Weltkrieg in den nächsten Legislaturperioden noch nicht kommt. Doch sie findet nichts daran, eine Hochrüstung – samt neuer Atombombenkomplexe – voranzutreiben, die – wenn wir sie nicht stoppen – im Verlauf dieses Jahrhunderts todsicher in einen neuen, womöglich letzten Weltenbrand mündet.

Nach innen präsentiert sich Europa als „Bollwerk der Liberalität“, während an den Grenzen und im Mittelmeer die ungeliebten Armen aus anderen Erdteilen umkommen. Die Menschenrettung auf See würde nur einen winzigen Bruchteil der Aufrüstungsprogramme kosten. Doch das – ganz „regelbasierte“ – Absaufen von Migranten ist gewollt. Es soll durch Abschreckung die Privilegien einer reichen Erdregion sichern und entspricht völlig der Logik geltender Militärdoktrinen.

Wer eine vernunftgemäße und durchgreifende ökologische Transformation des Erdkreises verweigert, der muss sich in der Tat für brutale Militärprogramme an den eigenen Außengrenzen rüsten. Das gegenwärtige Flüchtlingselend ist überaus traurig. Doch wenn wir beim ökologischen Kamikaze-Kurs nicht einlenken, wird man an den Mauern einstweilen noch begünstigter Zonen in Zukunft mit einer ganz und gar anderen Dimension der Klimaflucht konfrontiert sein.

Was schon die AfD-Gründergeneration der neuen Deutschnationalen und Nazis z.T. ganz offen gefordert hat, wird dann als Aufgipfelung der Barbarei auf der Tagesordnung stehen: zunächst heimlich, sodann offensiv aufgestellte Massenmordtechnologien zur Abschottung des eigenen Lebensraums gegen viele, sehr viele Millionen von „Unerwünschten“. Die Ersetzung von Umweltbudgets gegen den Klimawandel durch astronomische Militärbudgets hat ihre eigene – widerwärtige – „Logik“.

Eine Bündnisfrage? Militarismus ist rechts!

Angesichts der durchsichtigen aktuellen Kampagnen zwecks Kaltstellung der Friedensbewegung sei eine Zwischenbemerkung zur Bündnispolitik gegen den Krieg erlaubt. Selbstredend sollten Pazifist:innen in einen Dialog treten mit nachdenklichen Konservativen wie etwa dem Hamburger Sozialdemokraten Klaus von Dohnanyi oder erfahrenen Militärs, die beunruhigt sind wegen des gefährlichen Eskalationskurses der Regierungspolitik.

Nicht denkbar sind aber Bündnisse mit Kräften, die Militärdoktrinen zur Sicherung nationaler Wirtschaftsinteressen, freier Märkte, geostrategischer Machtkonzepte etc. oder zur Abschottung von Wohlstandszonen anhängen. In genau diesem Zusammenhang sind auch jene Kreise bzw. Aktionsgruppen zu nennen, die sich von Fall zu Fall „Friedensfahnen“ basteln, derweil aber jederzeit zu den Waffen rufen würden, wenn es dem „nationalen Paradigma“, wie sie es vertreten, dienlich wäre. Mit diesem Lügenpack können sich Pazifist:innen bei Bündnisaktivitäten ebenso wenig einlassen wie mit Leuten, die ukrainische Faschisten hofieren oder – auf der Gegenseite – die Administration von Wladimir Putin für eine Sachwalterin von Völkerrecht und Weltfrieden halten. Pazifismus ist heute zwingender denn je immer Internationalismus.

Glaubwürdig sind wir als Friedensbewegung, weil wir als „Hegemon“ allein die unteilbare Menschheitsfamilie anerkennen, uns mit keinem Kriegsakteur gemein machen und nicht der Illusion verfallen, es gebe so etwas wie die „Guten“ oder „Besseren“ im massenmordbereiten imperialen Ringen. Der Kriegsgottheit huldigen die Herrschenden in Moskau, die Eliten der demnächst abdankende „Supermacht Nummer Eins“, die autokratischen Bündnispartner des westlichen Militärbündnisses, die dem Waffenkult verschriebenen „christlichen Faschisten“ jenseits des Atlantiks, die Antiliberalen in Osteuropa wie alle Populisten – seien sie „Putinisten“ oder „Antiputinisten“ – und nicht minder die gewaltbereiten Prediger einer „liberalen Moderne“, die als „lupenreine Demokraten“ einer Heiligsprechung entgegenstreben.

Die von so unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Akteuren betriebene Militarisierung ist Folge einer Verschiebung des gesamten politischen Gefüges nach Rechts. Keiner soll sich irremachen lassen. Es ist ehrenwert und Erweis eines intakten Denkvermögens, zur antimilitaristischen und pazifistischen Minderheit gegen Rechts zu gehören – auch gegen jene Militärgläubigen, die sich für „links/linksliberal“ halten, in Wirklichkeit aber eine Agenda der Rechten befördern.

Pazifismus und ökologischer Internationalismus

Wir sind als Pazifisten und Antimilitaristen keine Elite, sondern Vorboten. Es gibt durchaus keine Mehrheit für das neue „Evangelium der Waffenexporte“. Immer mehr Leute begreifen, dass sich die Menschheit entscheiden muss: Wir können – unter dem Vorzeichen globaler Kooperation – eine durchgreifende Revolte für das (Über-)Leben auf dem Planeten ins Werk setzen. Dann könnte es gelingen, den künftigen Leiden ganzer Generationen gegenzusteuern. Oder wir halten fest am Konfrontationskurs eines neuen Weltkriegskomplexes. Im letzten Fall – daran kann kein Zweifel bestehen – kommen die „Barbarei“ und unermessliche Leiden, die alle bisherigen Abgründe der gesamten Menschheitsgeschichte in den Schatten stellen werden:

  • Eine Wahl ist zu treffen: Militär- und Konkurrenzlogik oder Klimaschutz-Kooperation des ganzen Erdkreises! Beides geht nie und nimmer zusammen.
  • Alle Menschen bilden schon deshalb eine Schicksalsgemeinschaft, weil sie denselben Planeten bewohnen. Unsere Spezies allein hat die ökologische Krise hervorgebracht. Unter allen Lebewesen auf der Erde vermag auch nur sie es, planmäßig nach Lösungen zu suchen und Brandherde zu löschen. Eine andere Perspektive als die des gemeinschaftlichen Handelns auf dem Globus kann es hierbei nicht geben.
  • Agenda und Unlogik der militärischen Heilslehre sind der denkbar größte Gegensatz zu einem dialogisch-kooperativen Gefüge der Weltgesellschaft, wie es allein noch Aussicht auf ein neues, lebensfreundliches Klima gewähren kann. Ohne Weltfrieden keine ökologische Weltinnenpolitik.
  • In den nächsten Jahrzehnten werden aufgrund des Klimawandels weitere Konfliktherde entstehen und zig Millionen Klimaflüchtlinge tödlich bedroht sein. Kriege um Wasser werden den Kreis der gewalttätigen Ressourcensicherung vermutlich dominieren.
  • Wider die mannigfachen Verwerfungen infolge der Erderwärmung wären völlig neuartige Ökonomien, Forschungen, Technologien und Produktionen im Dienste der Erhaltung oder Mehrung des Lebens angesagt. Derweil ziehen es die Mächtigen aber vor, ungezählte Milliarden in eine neue Atomwaffengeneration und entsprechende Trägersysteme zu investieren. Das zeugt schon in sich von der Bereitschaft, Menschen in Massen zu ermorden und zumindest Teile der Erdoberfläche gezielt unbewohnbar zu machen.
  • Die Zusammenhänge von Krieg und Klima betreffen die Richtung der maßgeblichen Forschungen, die Zweige der Produktionen und schließlich die Budgets für öffentliche Ausgaben. Jeder kann wissen, wie dringend wir Laboratorien, Industrien und Hervorbringungen zum Schutz des menschlichen Lebens brauchen. Gemästet werden jedoch Militärforschung und Rüstungskonzerne, also die Totmach-Industrien, und zwar mit astronomischen Summen.
  • Die begrenzten Ressourcen fließen an erster Stelle in die Militärapparate. Sie fehlen dann zwangsläufig in den Kassen der Klimaschutzpolitik. Kein noch so schmerzliches ökologisches Opfer für den Kriegsgötzen erscheint den vielen unverantwortlichen Entscheidungsträgern zu groß.
  • Die Rüstungsproduktionen, Rüstungsexporte sowie der Unterhalt der militärischen Infrastrukturen (samt Wartung, Übungen etc.) tragen in beträchtlichem Umfang zur Steigerung der Erderwärmung bei, auch wenn die Waffen noch gar nicht zum Einsatz gekommen sind. Wo die Schlachten dann beginnen, gibt es für das Werk der Umweltzerstörung keine Grenze mehr. Das Militär ist Spitzenreiter der Destruktion.

Wohlgemerkt: Selbst wenn sich alle Länder zur totalen Abrüstung entscheiden (Abschaffung jeglicher Kriegsindustrie) und die Waffen allüberall schweigen würden, wäre das Grauen für künftige Generationen noch nicht abgewendet. Doch Weltfrieden – darin mithin auch ein „Gemeinsames Haus Europa“ unter Einschluss von Russland – ist die unerlässliche Mindestvoraussetzung bzw. Rahmenbedingung für jede vorstellbare Lösung oder Entschärfung der ökologischen Krise. In einer von Militärlogik durchdrungenen Welt der Menschen sind nicht einmal bescheidene Weichenstellungen für einen neuen Weg – eine grundlegend andere Zivilisationsrichtung – zu bewerkstelligen.

Der Friedensbewegung kommt die Botschaft einer unverschämten Hoffnung zu: „No Peace – no Future. Vielleicht ist es nicht zu spät für eine glückliche Zukunft des homo sapiens.“

 

Peter Bürger ist Kath. Theologe.

 

(Dokumentarische Langfassung, 07.04.2023)

 

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