Redebeitrag zum Flaggentag 2023 in Darmstadt auf dem Luiseplatz am 8. Juli

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Auszug aus dem Gedicht »Die atomare Wüste« von Sumako Fukuda. Sie starb im April 1974 im Alter von 52 Jahren nach langem Leiden an den Nachwirkungen der Bombe, die am 9. August 1945 über Nagasaki abgeworfen wurde. Vorgelesen von Hartmut Vinçon:

 

9. August

 

Vierzig Jahre sind vergangen.
Die Menschen leiern sinnlose Friedensgebete,
Währenddessen hat das Wissen, das Euch als Trittstein benutzte,
Waffen erfunden,
Vor denen selbst die Götter sich angstvoll ducken,
Und es hat die menschliche Rasse
Noch weiter hinabgestoßen auf dem Weg zur Vernichtung.

 

Sehr geehrter Oberbürgermeister Benz,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Regina Hagen. Ich bin eine Ko-Sprecherin der bundesweiten Kampagne »Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt« und Mitglied im Darmstädter Friedensforum, für das ich hier stehe.

Wir zeigen heute in Darmstadt, Sie haben es von Oberbürgermeister Benz eben gehört, so wie viele Dutzend deutscher Städte Flagge für eine atomwaffenfreie und friedliche Welt.

Der internationale Vorstand der »Mayors for Peace«, der »Bürgermeister für den Frieden«, schrieb vor dem Gipfeltreffen der G7 in Hiroshima im Mai einen offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der »Gruppe der Sieben«. Darin schrieben die Bürgermeister: „Wir fordern die Staats- und Regierungschefs aller atomar bewaffneten Staaten auf, ihre positive Einstellung zur Theorie der nuklearen Abschreckung zu ändern, als ob sie sich [auf nukleare Abschreckung] verlassen müssten, um ihrer nationalen Verantwortung zum Schutz von Leben und Eigentum ihrer Bevölkerung gerecht zu werden. In Wirklichkeit ist der einzige Weg, [die Bevölkerung] zu schützen, die vollständige Abschaffung der Atomwaffen.“(1)

Das sagen die »Bürgermeister für den Frieden«, und das sage ich auch: Der einzig richtige Weg, die Menschheit vor einem Atomwaffeneinsatz zu schützen, ist nicht Abschreckung, sondern die vollständige Abschaffung von Atomwaffen!

Leider sieht die Bundesregierung das anders. Vor drei Wochen erklärte sie in der »Nationalen Sicherheitsstrategie«(2) erneut, Atomwaffen und nukleare Abschreckung seien wichtige Pfeiler der deutschen Sicherheit. Deshalb wird in Deutschland auf dem Fliegerhorst Büchel – der liegt oberhalb von Cochem in der Eifel – die so genannte nukleare Teilhabe praktiziert. Auf diesem Stützpunkt der deutschen Luftwaffe stehen deutsche Tornado-Jets bereit, mit denen deutsche Piloten nach einem entsprechenden Einsatzbefehl US-Atomwaffen laden und über dem vorgegebenen Zielort abwerfen würden. 15-20 US-Atombomben werden in Büchel vorgehalten, jede mit der vielfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Das ist der deutsche Anteil an der nuklearen Abschreckung der NATO.

Es ist aber so: Nukleare Abschreckung ist die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen – und das widerspricht dem Völkerrecht. Das hat der Internationale Gerichtshof (IGH) am 8. Juli 1996 festgestellt,3 heute vor 27 Jahren. Wir sollten uns nicht abfinden mit diesem Bruch des Völkerrechts!

SIPRI-Direktor Dan Smith betonte kürzlich bei der Vorstellung der neuesten weltweiten Atomwaffenzahlen, die Welt schlittere in eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte.

Mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen ist einfach, ändert aber nichts. Schon gar nicht, wenn derjenige, der mit dem Finger zeigt, selbst an der nuklearen Aufrüstung beteiligt ist. Auf Deutschland trifft dies zu:

  • Die Bundesregierung hat den Kauf von US-Jets des Typs F-35 als neuem Atombomber vereinbart – übrigens ist der Rüstungskonzern Rheinmetall fett an dem Deal beteiligt, er erstellt bei Weeze, in der Nähe von Kleve an der niederländischen Grenze, extra eine Fabrik für den Bau des F-35-Mittelrumpfes, für den deutschen und den internationalen Markt.
  • Die in Büchel gelagerten Atombomben werden durch neue, digitalisierte, lenkbare, also zielgenauere und damit vermeintlich »einsetzbarere« Atombomben des Typs B61-12 ersetzt, die demnächst in Büchel stationiert werden.

Für die nukleare Teilhabe greift Deutschland tief in die ansonsten leere Kasse:

  • Die F-35-Flugzeuge sollen zehn Mrd. Euro kosten, allerdings berichtete kürzlich »Die Welt« von einer Kostenexplosion, es wird also wohl mehr.
  • Oberst Thomas Schneider, Commodore des Luftwaffengeschwaders 33 von Büchel, teilte vor einiger Zeit mit, dass die Aufrüstung des Fliegerhorstes für den neuen Atombomber und die neuen Bomben „in den nächsten Jahren eine Milliarde Euro“ kosten werde.(4) Dazu kommen die Kosten des laufenden Betriebs, der Wartung, der Übungsflüge mit ihrem gigantischen CO2-Ausstoß ... Kein Zweifel: Atomwaffen sind schlecht für uns und für die Erde, selbst wenn sie gar nicht eingesetzt werden!

Gestern jährte sich zum sechsten Mal die wegweisende Verabschiedung eines neuen Vertrags, des Atomwaffenverbotsvertrags, durch 122 Staaten. 68 Staaten sind dem Vertrag bereits beigetreten, 24 weitere haben unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Deutschland gehört nicht dazu. Dafür haben wir kein Verständnis!

Anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen, sollte die Bundesregierung endlich für den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel sorgen!

Deutschland muss rasch dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten!

Deutschland soll endlich atomwaffenfrei werden!

Ich freue mich, dass unser neuer OB sich mit uns für eine atomwaffenfreie Welt engagiert!

Vielen Dank für’s Zuhören

 

Regina Hagen ist aktiv beim Darmstädter Friedensforum.

 

Anmerkungen:

  • (1) Bürgermeister für den Frieden (2023): G7-Gipfel - Offener Brief der Mayors for Peace. 11. Mai 2023; https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Politik/Politische-...äten/G7-Gipfel-Offener-Brief-der-Mayors-for-Peace.
  • (2) Die Bundesregierung (2023): Wehrhaft. Resilient, Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland – Nationale Sicherheitsstrategie. 14. Juni 2023; nationalesicherheitsstrategie.de.
  • (3) Internationaler Gerichtshof (1996): Rechtsgutachten – Legalität der Bdrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen. 8. Juli 1996, Allgemeine Liste 95. Übersetzung aus dem Englischen durch das Bundespresseamt. In: IALANA (Hrsg.) (1997): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof. LIT-Verlag.
  • (4) Volksfreund - Zeitung für den Landkreis Vulkaneifel (2023): Viele Beschäftigte auch aus Vulkaneifelkreis - Bund investiert eine Milliarde Euro in Fliegerhorst Büchel - Was dort geplant ist. 25.2.2023