Redebeitrag für die Ostermarsch-Mahnwache Jagel am 10. April 2020

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnnen und Freunde,

Jahreswechsel 1959/60: Kalter Krieg, Gleichgewicht des Schreckens, Strategien der massiven Vergeltung. Die Bundesregierung nachwievor wild auf die Verfügung über eigene Atomwaffen. Die große Kampagne „Kampf dem Atomtod“ durch Entscheidungen von SPD und Gewerkschaften in sich zusammengebrochen. Dann am 6. Dezember Meldung der Hamburger Morgenpost: 30 km von hier entfernt in Bergen-Hohne Übungen der Bundeswehr mit Honest-John-Raketen, die Zerstörungskraft ihrer Sprengköpfe wie die der Hiroshima-Bombe. Ein neues Todeszentrum neben dem ehemaligen Mordlager Bergen-Belsen. Wir waren entsetzt. Das musste in die Öffentlichkeit. Wir würden protestieren. 

Wir: der Aktionskreis für Gewaltlosigkeit im Verband der Kriegsdienstverweigerer, 16 junge Leute, 18 bis 27 Jahre alt. Unsere erste Aktion zwei Jahre vorher nach der großen Kampf-dem-Atomtod-Demo vor dem Hamburger Rathaus war eine 14-tägige Tag-und-Nacht-„Mahnwache“, der Begriff stammt von einem von uns.

Wir nahmen Kontakt auf zu unseren pazifistischen Freunden in Bremen, Hannover und Braunschweig und stießen sofort auf Zustimmung.   

Zu unserem Schmerz und unserer Empörung über diese Übungen mit atomaren Waffen jetzt vier Punkte.

1. Wie sah Eure Reaktion aus?

Wir verabredeten uns zu einem Sternmarsch und der Abschlusskundgebung am Ostermontag. Während die Demonstrationszüge aus Süden und Westen am Sonnabend aufgebrochen waren, hatten wir Hamburger uns bereits am Karfreitag für einen viertägigen Marsch getroffen. Als es los ging, waren wir 120 Leute, darunter elf Engländer der Campaign for Nuclear Disarmament. Zur Abschlusskundgebung am Truppenübungsplatz fanden sich über 1000 Menschen ein.

Als einer der vorgesehenen Redner vor Bewegtheit nicht sprechen konnte, sprang ich ein. Ich habe von Anstrengungen im Kampf gegen die Atomwaffen-Rüstung und von langem Atem geredet. So begann die Kampagne für Abrüstung.  

2. Worum genau ging es?

Der Focus unserer Demonstration lag auf der Aussage:  „ Jede Herstellung, Erprobung und Lagerung von Atomwaffen ist die größte Gefährdung der Menschheit.“ Wir demonstrieren „gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation“. Auf unseren Flugblättern in der Atomwarnfarbe gelb stand: „Vertrauen Sie in die Macht des Einzelnen.“ „Sorgen Sie, dass aus einer entschiedenen Minderheit eine kraftvolle Mehrheit wird.“ Eins der von uns für alle norddeutschen Marschgruppen vorbereiteten Plakate lautete: Unser Nein zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie.  

3. Gab es unerwartete Schwierigkeiten?

Ja. Wir hatten in einer Gastwirtschaft an der Straße  120 Mittagessen bestellt. Wir fanden das Lokal aber verschlossen. Freundliche Herren hatten vor uns gewarnt. Wir wussten damals noch nicht, dass es behördliche Schikanen gibt, wie im folgenden Jahr, als auf dem Düsseldorfer Flughafen ausländische Demonstranten an der Einreise gehindert wurden, als in einigen Regionen bestimmte Straßen nicht benutzt werden durften und uns zwei Plakat-Slogans verboten wurden:  Ausbildung an Atomwaffen ist Ausbildung zum Massenmord / Ko-Existenz ist besser als No-Existenz.

Die zweite Schwierigkeit betraf die Berührungsängste zwischen uns bürgerlichen Pazifisten und den Mitstreitern aus der Arbeiterbewegung; wir waren noch nicht daran gewöhnt, uns gegenseitig im Kampf für die gemeinsame Sache zu respektieren. Zum Glück sind diese beiden Belastungen im Laufe der Jahre zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. 

4. Was bleibt?

  • Unsere Aktion hat dazu beigetragen. dass die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts als Element kritischer Mitverantwortung hierzulande selbstverständlich wurde.
  • Viele Menschen haben durch unsere Märsche am eigenen Leib erfahren, dass es sinnvolle Möglichkeiten des politischen Engagements außerhalb der Großorganisationen gibt, wir haben den Boden bereitet für das Aufkommen der vielen Bürgerinitiativen in den 60er und späteren Jahren.                   
  • Die weltweiten Proteste hatten Anteil an der Entwicklung zum Atomwaffensperrvertrag von 1968. Und:
  • Wir haben trotz mancher weltpolitischen Rückschläge mithelfen können, dass Deutschland bis heute nicht über eigene Atomwaffen verfügt.  

Ein Letztes: Mir kommt die Echternacher Springprozession in den Sinn: Drei Schritte vor, zwei zurück und wieder drei Schritte vor, bis das Ziel erreicht ist. Lasst uns derart geduldig weiter gegen die Bedrohungen unterwegs bleiben! Lasst uns ohn Unterlass – hier in Unterlüss und überall - für die Abrüstung wirken, mit Mut, mit Lachen und mit Phantasie - so dass sich immer wieder neu junge Leute angespornt fühlen: Das ist überzeugend, da mach ich mit!