Redebeitrag für die Antikriegstagveranstaltung am 5. September 2020 in Tier

 

- Sperrfrist: 5.9. Redebeginn: ca 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das Jahr 1996 werde ich nie vergessen, denn es wurde zu einem Schlüsselerlebnis, das mein Leben komplett veränderte. Denn in diesem Jahr musste ich erfahren, dass ich bereits seit vielen Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft von US-Atombomben lebte ohne es zu wissen. Ich las in der Zeitung, dass eine Handvoll Menschen gegen die in Büchel stationierten US-Atombomben demonstrierten. Die Überschrift war: „Die vergessenen Bomben“. Ich war zu der Zeit Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, hatte mit dem damaligen Ministerpräsidenten Beck sogar den Fliegerhorst besichtigt, war aber wie 99% der Deutschen der Meinung, dass alle Atombomben zum Ende des Kalten Krieges aus Deutschland abgezogen worden waren. Ich war entsetzt und empört und schloss ich mich sofort den Protesten an. Bereits im folgenden Jahr fand eine größere Demonstration statt und seither stehe ich an vielen Tagen im Jahr am Tor, um gegen diese unsäglichen Waffen zu demonstrieren. Damals dachte ich: ein paar Jahre demonstriert und die Bomben sind weg, aber das sollte sich als Irrtum erweisen. Im Jahr 1998 sprach mich ein Mitglied der zivilen Wachmannschaft an, die mit Hunden und einer Pistole im Gürtel das Atombombenareal bewachen. Er selbst war bereits an Krebs erkrankt und ihm sei aufgefallen, dass auch etliche Kollegen eine Krebserkrankung haben oder hatten. Zunächst holte ich in der Atomenergiebehörde in Wien Informationen ein. Ein Atombombenunfall ohne, dass man in der Umgebung etwas bemerkt hätte, sei zwar sehr unwahrscheinlich, so die Auskunft. Aber schließlich handele es sich bei den B61-3 Bomben, wie sie in Büchel liegen, um Wasserstoffbomben und dabei könnte evtll. ein Druckbehälter undicht geworden und radioaktiver Wasserstoff ausgetreten sein. Auf jeden Fall war die Zahl der erkrankten Wachleute auffällig erhöht. Obwohl meine Anfragen bei diversen Stellen bald einen ganzen Ordner füllten, konnte ich den Sachverhalt letztlich nicht klären. Auch waren die meisten Familien der Erkrankten nicht bereit für zusätzliche medizinische Untersuchungen, mögliche Schadenersatzprozesse und so weiter. Sie hätten mit der Erkrankung ihres Angehörigen schon genug Probleme, so ihre Einstellung ...

Auch wenn wir damals einen möglichen Zwischenfall nicht aufklären konnten, so steht doch fest, dass es seit den fünfziger Jahren weltweit 46 nachgewiesene Unfälle bzw. Zwischenfälle mit Atombomben gab!

Und eine Atombombe tötet nicht erst, wenn sie gezündet wird! Auch Atomtests kosten Menschenleben! Nach einer Schätzung der Ärzteorganisation IPPNW sind die von 1945 bis 1980 durchgeführten oberirdischen Atomtests für zusätzlich 3 Millionen Krebstote verantwortlich. Meist wurden diese Tests durchgeführt weit weg von denen, die sie angeordnet haben, z.B. in der Wüste von Neu-Mexiko, in der Pazifik-Region oder im russischen Semipalatinsk. Aber auch in Algerien hat allein Frankreich 17 Atomtests durchgeführt. Wir können davon ausgehen, dass viele Teile der Erdoberfläche irgendwann radioaktiv verseucht wurden und wir heute noch mit diesen Strahlen leben müssen. Aber schon der Uranabbau kostet Menschenleben! In Kanada, Kasachstan, Usbekistan, Niger, Namibia und den USA wird noch Uran abgebaut, am meisten jedoch in Australien. In der größten australischen Mine mit dem zynischen Namen: Olympic Dam Honeymoon wird es unterirdisch nach dem Lösungsverfahren erschlossen. Dabei wird das Uran zunächst mit Schwefelsäure ausgelöst und dann mit Ammoniak wieder ausgefällt, so dass der sogenannte Yellow-Cake entsteht. Man kann sich vorstellen, dass dabei nicht nur die Grubenarbeiter einem unsäglichen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind, sondern auch die Umweltverschmutzungen ein riesiges, unbeherrschbares Ausmaß annehmen.

Doch nun zurück nach Büchel: Was dort stattfindet, nennt sich nukleare Teilhabe im Rahmen der NATO. In Wirklichkeit kann aber nur der amerikanische Präsident den Einsatz dieser Bomben befehlen. Er entscheidet, wann und wo deutsche Tornado-Piloten die US-Atomwaffen ans Ziel fliegen und dort abwerfen. Dies ist zwar Konsens in der NATO, widerspricht aber ganz klar mehreren internationalen Verträgen. So ist Deutschland bereits 1977 dem sogenannten Atomwaffensperrvertrag beigetreten und hat sich damit verpflichtet, keine eigenen Atomwaffen zu besitzen, aber auch von keinem anderen Staat Atomwaffen anzunehmen. Auch im 2+4 Vertrag, der zur deutschen Wiedervereinigung beschlossen wurde, ist von einem atomwaffenfreien Deutschland die Rede, allerdings hat nur Russland seine Atomwaffen aus der ehemaligen DDR abgezogen. Und schließlich hat der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten von 1996 festgestellt, dass der Einsatz und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen dem Internationalen Völkerrecht wiedersprechen, da sie ja nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheiden können. Zudem hatte der Deutsche Bundestag im März 2010 mit großer Mehrheit beschlossen, dass sich die Bundesregierung für den Abzug der US-Atomwaffen einsetzen solle. Auf Antrag der CDU allerdings im Einvernehmen mit der NATO. Was daraus geworden ist, wissen wir: nämlich nichts! Im Gegenteil hat dann der damalige Verteidigungsminister de Maziere bei einer der folgenden NATO-Sitzungen zugestimmt, dass die US-Atombomben sogar aufgerüstet werden dürfen. D.h. sie sollen mit einer geringeren Sprengkraft versehen werden und eine satellitengestützte Lenkung bekommen, so dass sie nach dem Ausklinken selbstständig weiterfliegen können. Das erhöht die Möglichkeit ihres Einsatzes enorm und genau das macht uns Angst!

Eine deutsche Teilhabe an solchen Verbrechen wollen wir nicht!

Aber warum tut sich die jeweilige Bundesregierung so schwer, sich von den US-Atomwaffen zu verabschieden? Dazu muss man wissen, dass die Bundesrepublik trotz des Ausstiegs aus der zivilen Nutzung der Atomenergie noch sehr stark in die Atomenergie eingebunden ist und immer noch kräftig daran verdient wird. So ist nach wie vor die Urananreicherungsanlage in Gronau in Betreib. Die Firma Urenco ist ein Konsortium aus britischen und niederländischen Firmen sowie den Energieriesen RWE und EON. Die Anlage ist so groß, dass sie fast ein Zehntel des Weltmarktes für angereichertes Uran produziert, die Hälfte davon geht in die USA. Die dabei benutzten Zentrifugen wären in der Lage, auch atomwaffenfähiges Uran zu produzieren. Das gleiche passiert im Forschungsreaktor Garching, der die gültige Betriebs-Genehmigung, nach der er das Uran nur bis zu 50% anreichern darf, bis heute unterläuft. Angeblich dient alles nur der medizinischen Forschung. Doch es gibt auch Lieferverträge mit Russland, die wiederum die Urananreicherung dort ankurbeln können.

Und auch die deutschen Banken mischen in diesem schmutzigen Geschäft fleißig mit! In den Jahren 2017 bis 2018 bekamen die Firmen, die Atomwaffensysteme herstellen wie z.B. Northorp Grumman, Honeywell, Boeing und Airbus, insgesamt 10,36 Milliarden Euro von Finanzdienstleistern aus Deutschland. Allen voran die Deutsche Bank investiert kräftig! Zwar hatte sie im Mai 2018 noch versprochen, aus diesem Geschäft auszusteigen, aber dennoch haben sich ihre Investitionen seither erhöht. Aber auch die DZ-Bank als Zentrale der Genossenschaftsbanken und die Commerzbank investieren immer noch kräftig.

Und das ist ein Punkt, an dem jeder von uns tätig werden kann: fühlt Eurer Bank auf den Zahn, macht Druck und verlangt, dass sie nicht mehr in Atomtechnologie investiert!

Und es gibt Lichtblicke: am 7.Juli 2017 wurde an der UN der Atomwaffenverbotsvertrag von 122 Staaten beschlossen. Bis heute haben 44 Staaten diesen Vertrag bereits ratifiziert, es fehlen nur noch 6 Staaten, damit er in Kraft treten kann. Zwar wird dieser Vertrag von den Atomwaffenstaaten boykottiert und sie üben auch großen Druck auf andere Länder aus, diesen nicht zu ratifizieren. Aber die große Mehrheit der Menschen weltweit begrüßt diesen Vertrag und erwartet, dass er die gleiche Wirkung entfaltet wie der Verbotsvertrag von biologischen und chemischen Waffen oder der Verbotsvertrag von Landminen. Staaten, die diese Verträge missachten, werden quasi zu Schurkenstaaten gemacht, weil sie das humanitäre Völkerrecht mit Füssen treten. Fordern wir also von der zukünftigen Bundesregierung, die wir ja im nächsten Jahr wählen werden, dass sie den Atomwaffenverbotsvertrag ratifiziert, sich von der Nuklearen Teilhabe in der NATO verabschiedet und die US-Atomwaffen zur Verschrottung an die USA zurück schickt! Und ich hoffe: Wir sehen uns demnächst in Büchel!

Zum Beispiel laden wir am Freitag, den 11.September um 17:00 Uhr zu einem ökumenischen Gebet auf unsere Friedenswiese in der Nähe zum Haupttor des Fliegerhorstes Büchel ein.

Vielen Dank.

 

Dr. Elke Koller ist aktiv beim Initiativkreis gegen Atomwaffen.