Eine notwendige Verbindung zu Mensch und Umwelt im Pazifik

18 Jahre Pazifik-Netzwerk

von Marion Struck-Garbe

Der Süd-Pazifik oder auch Ozeanien, wie das Gebiet heute genannt wird, mit seinen 26 unabhängigen und abhängigen Inselstaaten ist auch in Zeiten der Globalisierung eine wenig beachtete Region geblieben. Das liegt nicht bloß daran, dass das Gebiet zu weit weg und in seiner großen Vielfalt nicht leicht zu erfassen ist (allein sich Lage und Namen der vielen Inseln zu merken oder diese zu unterscheiden, ist schwierig), sondern auch daran, dass diese Inseln ökonomisch überwiegend vergleichsweise uninteressant sind: Sie bieten weder genügend große Absatzmärkte, noch gehören sie zu den Billiglohnländern oder verfügen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - über ausbeutbare Ressourcen und Bodenschätze; und als Tourismus-Destination sind die Inseln für die große Mehrzahl der Urlauber aus Europa zu teuer, zu unerschlossen und viel zu umständlich zu erreichen. Jedenfalls Deutschland kommt auf keine nennenswerten Touristenzahlen in dieser Region. So kommt es, dass bloß wenige Nachrichten von den aktuellen Geschehnissen, der politischen Situation und dem Alltagsleben aus der Inselwelt bis zu uns dringen.

 

Was wir zu hören, zu sehen und zu lesen bekommen, folgt meist den Vorstellungen, die in Europa von diesem Erdenwinkel seit langem in den Köpfen herumspukt. So wandeln wir mental weiterhin auf den offensichtlich unausrottbaren Spuren des Südsee-Mythos Bougainvilles - diesem männlichen Traum von schönen und jederzeit bereitwilligen Frauen - oder auf den Spuren der Berichte der ersten Missionare, die statt des edlen Wilden üble kannibalistische Barbaren in den Pazifikinsulanern sahen.

Keines der beiden Bilder, keine der beiden Aussagen wurde je den Menschen im Süd-Pazifik gerecht. Sie werden aber bis heute von Medien und Werbung für ihre Zwecke (aus)genutzt und festgeschrieben -wie es scheint auf Ewigkeit- oder wie Enzensberger es mit einer gewissen Ironie ausdrückte: ,,Vom Kolonialismus vernichtet, treibt Tahiti zur Strafe als ewiges Traumbild am Horizont der bürgerlichen Sehnsucht." Die Gleichung „Paradies gleich Pazifik" hat also Bestand. Aber auch die Vorstellung von Kopfjägern und Menschenfressern belebt sich immer wieder neu und findet u.a. ihren Niederschlag in der Berichterstattung über schwierige politische Situationen: jüngstes Beispiel dafür sind Darstellungen über die Konflikte auf den Salomon-Inseln.

Zu diesen quasi schon traditionellen Vorurteilen gesellen sich neue: Wissenschaftliche Abhandlungen verschiedener Coleur heben insbesondere die Unterentwicklung und Armut, die Kleinheit und Isolation der Inseln hervor und konstruieren so ein Bild von einer unvollkommenen, unzulänglichen Region. Pazifische Wissenschaftler wehren sich und setzen, indem sie andere Maßstäbe anlegen, eine neue Konstruktion dagegen: Sie sagen, sie leben in einem Ozean von Inseln und dieser Ozean ist weit, freundlich, großzügig und verbindet alle. Es ist das Herzstück der Arbeit des Pazifik-Netzwerks, durch lebendige Verbindungen zu dieser Weltgegend und durch Öffentlichkeitsarbeit zur Dekonstruktion von vorurteilsbeladenen Vorstellungen (Imaginationen) beizutragen und eine realistischere und umfassendere Betrachtung zu fördern.

Was ist das Pazifik-Netzwerk?

Das Pazifik-Netzwerk ist ein Zusammenschluss von örtlichen und regionalen Pazifik-Gruppen Deutschlands und von am Pazifik interessierten Einzelpersonen, die sich in einem Verein organisiert haben. Das Netzwerk ist als gemeinnützig anerkannt, parteiunabhängig und konfessionsübergreifend tätig. Es ist dem European Pacific Solidarity Network (EPS) angeschlossen; in dem sich Pazifikgruppen aus jetzt sieben europäischen Ländern zusammengetan haben. Die Koordination der gemeinsamen Aktivitäten erfolgt durch das European Centre on Pacific Issue (ECSIEP), das in Utrecht in den Niederlanden seinen Sitz hat.

Völkerverständigung ist die Basis des Netzwerks. Durch Aufklärung, Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit soll den Problemlagen des Pazifiks mehr Raum gegeben und eine bessere Meinungsbildung erreicht werden. Durch Lobbying sollen konkrete Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen angestoßen werden. Eine Homepage, Publikationen, Vorträge und Seminare des Vereins unterstützen dies.

Gegründet wurde das Pazifik-Netzwerk einst von Solidaritäts- und Aktionsgruppen, mit dem Ziel, die Menschen im Pazifik bei ihrem Kampf gegen Atombombentests und um ihre politische Unabhängigkeit zu unterstützen. In Suva, der Hauptstadt Fidschis, hatte sich Mitte der 70er Jahre die Bewegung für einen nuklarfreien und unabhängigen Pazifik (Nuclear Free and Independent Pacific) gebildet, die rasch ein breites Echo sowohl überall im Süd-Pazifik wie weltweit fand. Eine Reihe von Kirchen halfen, diese Ideen zu verbreiten, und etwa seit 1984 unterstützten zahlreiche meist kleine Gruppen auch in Deutschland diese Bewegung durch Tagungen und Veranstaltungen zu den Atombombentests und zur Militarisierung im Pazifik.

Die Vernetzung bei den Unterstützern nahm rasch zu. 1988 wurde das Pazifik Netzwerk als Trägerverein gegründet und mit Hilfe von mehreren kirchlichen Missionswerken ein Koordinationsbüro (die Pazifik-Informationsstelle) geschaffen. Diese Info-Stelle bündelt und koordiniert seit dem viele Aktivitäten und Aktionen und stellt Publikationen und Medien bereit.

Was tut das Pazifik-Netzwerk?
Öffentlichkeitsarbeit steht im Vordergrund. Durch Teilnahme an den Kirchentagen etwa und jährlich mehrere Seminare zu ausgesuchten Themen. Oft werden diese Themen dann ausgearbeitet und als Publikation durch die Info-Stelle veröffentlicht: So sind bislang 18 Bücher und Broschüren erschienen. Außerdem wird vierteljährlich ein Rundbrief als Forum für Mitglieder und Freunde über die Info-Stelle herausgegeben mit Nachrichten aus Ozeanien und pazifikbezogenen Ereignissen in Europa. In unregelmäßigen Abständen werden in sog. Dossiers kürzere Artikel zum aktuellen Geschehen im Pazifik veröffentlicht. Und es gibt unsere Info-Reihe „pazifik aktuell".

Im Rahmen von Lobbyarbeit ist das Netzwerk in Kontakt mit Politikern und Entscheidern, beteiligt sich an größeren Kampagnen und unterstützt diese durch Pressearbeit. Dabei haben sich die Themen nach und nach verschoben: In den ersten Jahren standen die Folgen für Gesundheit und Umwelt durch die Atombombentests der USA und die damals noch andauernden erst oberirdischen dann unterirdischen Atomtests Frankreichs auf Moruroa im Mittelpunkt. Diese Tests sind abgeschlossen, doch die Schäden und Folgen sind nicht beseitigt und die Opfer warten bis heute auf Entschädigung.

Auch der Kampf um Unabhängigkeit ist noch längst nicht beendet. Bis zum heutigen Tag gibt es Kolonien im Süd-Pazifik; selbst wenn sie inzwischen z.T. beschönigende Namen tragen wie etwa Übersee- oder Treuhandgebiet, die die Fremdbestimmung durch z.B. Frankreich (Kanaky/Neukaledonien, Französisch-Polynesien), die USA (Gebiete in Mikronesien, Guam, Hawaii, Amerikanisch-Samoa), Indonesien (West-Papua) und Chile (Osterinsel) verdecken sollen. Die Durchsetzung des Rechts auf politische Selbstbestimmung steht in diesen und anderen Fällen noch aus.

Raubbau am Wald und Umweltzerstörung durch Bergbau kamen hinzu und die niedrigen Atoll-Inseln sind durch den ansteigenden Meeresspiegel in ihrer gesamten Existenz bedroht. Die Versalzung der Süsswasserlinsen - durch den Anstieg der Meere bedingt - führt zu Trinkwasserverknappung und zu erheblichen Einbußen in der Landwirtschaft, was wiederum Abwanderung von den Inseln nach sich zieht. Menschen werden so in die Migration gezwungen und heimatlos gemacht.

Da die erhöhten C02-Ausstöße, die für die Ausdünnung der Ozonschicht und damit für den Klimawandel verantwortlich sind, vor allem in Industrieländern verursacht werden, sieht das Netzwerk seine Aufgabe für die nächsten Jahre darin, sich verstärkt dafür einzusetzen, dass unsere Regierung und unsere Unternehmen, aber auch wir alle dafür sorgen, dass dieser Ausstoß umgehend deutlich gedrosselt wird.

Wir werden das Thema Atomwaffen erneut aufgreifen müssen, weil die Gefahr, die davon ausgeht, immer noch nicht gebannt ist und - schlimmer noch - neu aufzuleben scheint. Wir werden uns für einen Atomwaffenteststopp und für den Bestand und die Erfüllung des Nichtverbreitungsvertrages (NPT) einsetzen. Der Atomteststoppvertrag wurde zwar 1996 von allen Ländern - bis auf Indien, Pakistan und Nordkorea - unterzeichnet, ist aber noch immer nicht von allen Ländern ratifiziert worden, auch nicht von den USA. Dort will die Regierung Bush Tests für neue Atomwaffen - sog. Mini-Nukes und Bunkerbuster - aufnehmen. Es steht also zu befürchten, dass die Inseln des Süd-Pazifiks abermals als militärische Testgebiete benötigt werden könnten.

Wohin geht das Pazifik-Netzwerk?

Das Pazifik-Netzwerk hat einen wichtigen Bildungsauftrag: In Gesprächen und auf Veranstaltungen wird immer wieder deutlich, dass vor allem viele junge Menschen nichts mehr wissen von den Atomtests im Pazifik und ihren Folgen. Wenn wir von Bikini und Moruroa berichten und dabei auch Einzelschicksale vorstellen, erhält die Bedrohung ein Gesicht, das wohl notwendig ist, um zu überzeugen, sich mit aller Kraft für die vollständige Abschaffung von Atomwaffen auszusprechen. Zu diesem Thema haben wir gerade eine Ausstellung zusammengestellt, die ab Mitte Juli ausgeliehen werden kann.

In jüngster Zeit haben wir uns auch verstärkt mit dem Thema Gewalt und Alltagsgewalt im Süd-Pazifik beschäftigen müssen. Dabei geht es zum einen um zunehmend gewaltsame Konflikte zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen und auch dem Staat, die ihre Ursachen zumeist in Verteilungsproblemen haben, die noch aus kolonialen Tagen herrühren:

Die jüngsten Ereignisse auf den Salomon-Inseln und in Fidschi sind solche Beispiele. Auch die jahrelangen Bürgerkriegsunruhen auf Bougainville. Zum anderen bringen gerade moderne Entwicklungen viele negative Folgen mit sich (beispielsweise Land- und Inselflucht = städtische Kriminalität; Migration = Krankheiten, AIDS; Entwurzelung = häusliche Gewalt). Zu diesem Thema ist soeben unser Sammelband „Konflikte und Krisen in Ozeanien" erschienen.

Unsere „politische" Öffentlichkeitsarbeit wird begleitet von einem intensiven Kulturaustausch. So werden etwa Gäste aus dem Süd-Pazifik in Deutschland betreut oder es werden Film- und Kulturabende veranstaltet. In den letzten fünf Jahren gab es viele Ausstellungen mit Gegenwartskunst aus Papua Neuguinea, teilweise mit Beteiligung von dortigen Künstlern als Gästen. Persönliche Verbindungen sind uns wichtig und werden auch von vielen unseren Mitgliedern gepflegt. Sie dienen einer besseren Verständigung zwischen den Kulturen. So ist das Netzwerk als Ganzes und jedes Mitglied ein wichtiges Bindeglied zwischen zwei verschiedenen und weit entfernten Regionen.

Das Netzwerk ist wohl kaum mehr als ein kleines Sandkorn im Getriebe des Weltgeschehens. Dennoch - ohne es würden die Menschen des Pazifiks in Europa und Deutschland kaum eine hörbare Stimme haben. Die Schaffung einer gerechten und atomwaffenfreien  Welt braucht viele Kräfte, auch die unseres Pazifik-Netzwerks.

Infos unter:

www.pazifik-netzwerk.org

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