Jahresbericht 1989 der Rechtshilfe Mutlangen

28 saßen mehr als 1000 Tage im Gefängnis

Prozeßflut mit insgesamt 2999 Verfahren nach den Blockadeaktionen in Mutlangen. Die Rechtshilfe Mutlangen beobachtete im vergangenen Jahre 350 Prozesse gegen Teilnehmer an gewaltfreien Blockadeaktionen gegen die Stationierung der Pershing II. "Unbeeinflußt von den politischen Entwicklungen durch den INF-Vertrag und die Gesellschaftsveränderungen in Osteuropa werden die Sitzdemonstranten weiter kriminalisiert", so schreibt die Rechtshilfe Mutlangen ihren Jahresbericht 1990. 28 von ihnen saßen im letzten Jahr für insgesamt mehr als 1000 Tage im Gefängnis.

Am Amtsgericht Schwäbisch Gmünd fanden 1989 etwa 300 Verhandlungen wegen Nötigung statt. Noch 1000 Prozesse, so erklärt die Rechtshilfe, stehen hier aus, dann ist die Prozeßflut von insgesamt 2999 im Ostalbkreis wegen Aktionen gegen die Mutlanger Atomwaffen in der ersten Instanz beendet. Von der obligatorischen Verurteilung zu Geldstrafen von 20 Tagessätzen für die erste Blockadeaktion weicht Richter Ziemer gelegentlich ab und verhängt nur 15 Tagessätze. Ohne an der grundsätzlichen rechtlichen Beurteilung zu rütteln, gab es drei Freisprüche durch Richter Lang, Ziemer und Offenloch. Die höchste Verurteilung verkündete mit einer Geldstrafe zu 100 Tagessätzen Richter Krumhard gegen Rolf Hiemer aus Ulm. Richter Krumhard, der zwischenzeitlich wegen fehlender Verwerflichkeit freigesprochen hatte, verurteilte aufgrund des Bundesgerichtshofbeschlusses, der die Einbeziehung der Fernziele in die Verwerflichkeitsprüfung ablehnt. Diese Verurteilung wird zwischenzeitlich durch Ersatzfreiheitsstrafe abgegolten.

Am Landgericht Eilwangen fanden etwa 50 Prozesse statt. In den meisten Fällen enden die Berufungsverfahren mit Verwarnungen auf Strafvorbehalt. Die Urteile des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd werden damit aufgehoben, was den Strafausspruch angeht, der Schuldspruch, d.h. die Verurteilung der Blockade als Nötigung, bleibt bestehen (Geldstrafe auf Bewährung; mit der Auflage einer Spende an eine gemeinnützige Organisation). In Fällen von Mehrfachblockierern erkennt das Gericht jedoch auf Geldstrafen. Die höchste Verurteilung hier war eine Geldstrafe zu 95 Tagessätzen für sechs Blockaden. Die Mitwirkung von Schöffen bei der Urteilsfindung hatte an diesem Gericht im vergangenen Jahr keinen Einfluß auf die Urteile.

Das Oberlandesgericht Stuttgart verwarf eine Revision der Staatsanwaltschaft Ellwangen, die sich gegen die Milderung der Geldstrafe in eine Verwarnung mit Strafvorbehalt durch das Landgericht Ellwangen wendete. In einer weiteren Entscheidung (3Ss 667 /88) stellte das OLG fest, daß es keine Rolle spiele, was die Fahrer bei einer Blockadeaktion empfinden, sondern nur die Tatsache, daß sie anhalten. Revisionen von Angeklagten aus Blockadeprozessen bleiben vor dem OLG in der Regel ohne Erfolg und werden abgewiesen. Anders ist es nur bei Revisionen gegen Verurteilungen durch den Gmünder Amtsrichter Offenloch. Im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung schließt er die Einbeziehung sittlicher Gesichtspunkte aus. Gelegentlich weist er sogar darauf hin, daß er bei Prüfung dieser Gesichtspunkte freisprechen müßte.

Seine rein rechtliche Verwerflichkeitsprüfung entspricht nach mehreren Entscheidungen des OLG Stuttgart nicht der "obergerichtlichen Rechtsprechung". Die Urteile werden aufgehoben und zu erneuten Verhandlungen ans Amtsgericht Gmünd verwiesen. Obwohl Richter Offenloch sogar in der Rechtsmittelbelehrung auf diese Chancen der Revision hinweist, legen nur wenige Verurteilte dieses Rechtsmittel ein.

Weil 1987 im Laufe der Seniorenblockade auch Aktionen außerhalb Mutlangens stattgefunden haben, fanden vor dem Amtsgericht Schorndorf etwa 15 Prozesse statt, mit etwa 80 Angeklagten. Die Prozesse endeten hier mit der niedrigst möglichen Sanktion des Strafrechts, eine Verwarnung mit Strafvorbehalt zu einer Geldstrafe von fünf Tagessätzen. Gegen diese Verurteilungen sind sowohl die Staatsanwaltschaft wie die Verurteilten in Berufung gegangen. Die Staatsanwaltschaft fordert eine höhere Verurteilung, die Angeklagten den Freispruch. Für die Berufung ist das Landesgericht Stuttgart zuständig. Inzwischen fanden hier fünf Verhandlungen statt. In den beiden ersten Prozessen wurden die Verwarnungen aufgehoben und in Geldstrafen zu zehn Tagessätzen umgewandelt. Im dritten Prozeß wurde überraschend ein Freispruch verkündet. In den folgenden gab es wieder Verurteilungen.

Der Freispruch, der ausdrücklich die ehrenwerten Fernziele berücksichtigt, ist durch die Tatsache erklärbar, daß die Schöffen den Richter überstimmt haben.

Die Rechtshilfe Mutlangen in ihrem Jahresbericht abschließend: „Für 28 Menschen hatte ihre Verurteilung aufgrund des gewaltfreien Widerstandes gegen die atomaren Massenvernichtungswaffen zur Folge, daß sie ins Gefängnis mußten". Zwischen 10 und 160 Tagen betrugen die Ersatzfreiheitsstrafen, insgesamt über 1000 Tage im letzten Jahr. Holger Jänicke, Friedensarbeiter aus dem Carl-Kabat-Haus in Mutlangen, hat am 6.11. die bisher längste Gefängniszeit für einen Blockierer angetreten. Sie setzt sich zusammen aus 160 Tagessätzen für sieben Blockaden des Pershinglagers in Mutlangen und vier Monaten Freiheitsentzug für drei Blockaden des Cruise-Missiles-Lagers in Hasselbach. Zur Zeit ist Holger Jänicke in Heidenheim im Gefängnis und in Ulm Rolf Hiemer.

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