Wissenschaft für den Frieden – Eine Nachlese

40 Jahre Zeitschrift Wissenschaft und Frieden

von David ScheuingAstrid Juckenack
Initiativen
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Zum Anlass des 40-jährigen Bestehens der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden fand am 6. und 7. Oktober 2023 das Symposium »Wissenschaft für den Frieden« in den Räumen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS, ehemals DIE) in Bonn statt. Finanziell ermöglicht wurde das Symposium durch eine Transferprojektförderung der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF). Vor den Teilnehmenden lagen zwei spannende Tage mit einem breit aufgestellten Programm aus der praktischen Friedensarbeit und der empirischen und theoretischen Friedensforschung.

In seiner Begrüßung hob Conrad Schetter (BICC) die Funktion von W&F pointiert hervor, indem er ansetzte: „Es gibt hier im Raum vermutlich niemanden, der oder die sich in den letzten Jahren nicht über einen Beitrag in W&F furchtbar gefreut oder furchtbar geärgert hat.“ Diese wichtige Funktion für den Austausch und die Debatte über aktuelle Anliegen und Fragestellungen zu Krieg und Frieden hebe die Bedeutung der Zeitschrift hervor – eine Funktion, die es zu bewahren gelte.

Kritisches und Konstruktives – der erste Tag
Auf dem ersten Panel der Konferenz, „Frieden unter Sicherheit? Die Folgen der Nationalen Sicherheitsstrategie für Friedenspolitik“, diskutierten Tobias Debiel (INEF), Martina Fischer (Brot für die Welt), Joachim Schramm (DFG-VK NRW) und Martin Schuldes (BMZ) über die direkten und langfristigen Konsequenzen der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“. Kritisch wurden dabei von Martina Fischer und Joachim Schramm die Einführung des Konzepts der „Integrierten Sicherheit“ betrachtet, das weniger einen Fokus auf Gewaltreduktion und menschliche Sicherheit setze, sondern eine immer weiterreichende Versicherheitlichung des Lebens anstrebe. Tobias Debiel betonte den Kompromisscharakter des Dokumentes und zeigte sich dennoch von der Zielsetzung und mangelhaften Konkretion der Strategie enttäuscht. Auch wenn noch unklar sei, welche konkreten Auswirkungen auf die Arbeit des Beirats für Zivile Krisenprävention und die Programme des Zivilen Friedensdienstes sich aus der Strategie ergeben, warnten einige der Panelist*innen, dass die Gefahr einer Verschiebung des Diskurses auf eine Logik der Versicherheitlichung durchaus gegeben – und eine wachsame zivilgesellschaftliche Begleitung der Implementierung der Strategie wichtig sei.

Parallel gab es eine Reihe von Vorträgen und sehr knappen Impulsbeiträgen. Diese Formate sollten die Möglichkeit schaffen, dass die Tagungsteilnehmer*innen Eindrücke aus der Breite des Forschungsfeldes „Frieden und Konflikte, Krieg und Gewalt, Transformation und Neuordnung“ erhalten konnten. Dies reichte von „konfliktsensiblem Journalismus“ über den aktuellen Stand der Friedensbildung an Schulen, weiter über aktuelle Debatten zu Wirtschaftssanktionen bis hin zu neuen Entwicklungen bei Frühwarnsystemen für nukleare Bedrohungen.

Festakt zu 40 Jahre W&F
Der abendliche Festakt blickte zurück auf vierzig Jahre erfolgreicher Zeitschriftengeschichte und voraus auf eine herausfordernde Zukunft. Zunächst überbrachte die Bonner Bürgermeisterin Nicole Unterseh Grußworte der Bundesstadt Bonn. Den Kern des Festaktes bildete ein wissenschaftshistorisches Gespräch zwischen Eva Senghaas-Knobloch (Universität Bremen) und Jürgen Altmann (TU Dortmund), das in W&F 1/24, S. 5-10 dokumentiert ist. Ein Fazit des Gesprächs, das für das Verständnis der heutigen Weltlage eine hilfreiche Interpretationsfolie anbietet, war die Feststellung, dass die Erzählung vom „Sieg der westlichen Lebens- und Wirtschaftsweise über alle anderen Systeme“ nach 1990 für die Gestaltung einer globalen Gemeinschaft abträglich gewesen ist und als eine Wegbereiterin aktuell stark konfrontativer Weltverhältnisse gesehen werden kann.

Natürlich durfte auch der Dank nicht fehlen – denn in vierzig Jahren hatten viele Menschen direkt und indirekt die Geschicke der Zeitschrift begleitet. Michaela Zöhrer (Vorstand W&F) und David Scheuing (verantw. Redakteur W&F) richteten ihre Dankesworte an die Gründer*innen der ersten Stunde und hoben die herausragenden Beiträge von Rainer Rilling, Corinna Hauswedell und Paul Schäfer hervor. Doch natürlich sollte auch das hervorragende Engagement der verantwortenden Redakteur*innen über die Jahrzehnte (neben Paul Schäfer sind dies Caroline Thomas, Jürgen Nieth, Fabian Virchow und Regina Hagen) nicht vergessen werden, von denen sogar fast alle zum Festakt anreisen konnten.

Ein intensiver zweiter Tag
Die Breite der Impulse, Panels, Workshops und interaktiven Formate des Symposiums kam am zweiten Tag der Konferenz voll zur Geltung. In bis zu fünf parallelen Sessions tagten die Konferenzteilnehmer*innen. Auch wenn dies in manchen Formaten zur Folge hatte, dass es eher weniger Teilnehmer*innen pro Panel waren, wurde die Vielfalt der Auswahl und die Intensität des Austausches wertgeschätzt.

Voll besetzt waren die beiden letzten Paneldiskussionen der Konferenz zu Fragen der Analyse und der Bearbeitbarkeit des Kriegs in der Ukraine. Auch mehr als eineinhalb Jahre nach dem Angriff bleibt der Krieg ein bewegendes und bedeutendes Thema, erst recht für die Friedens- und Konfliktforschung und Friedensbewegte. 

Den Auftakt bereitete ein Expertengespräch mit dem Versuch der Einordnung von Kriegsursachen, Kriegszielen und Kriegsdynamiken. Diesen unternahmen Klaus Dörre (Universität Jena) und Klaus Schlichte (Universität Bremen). Schlichte problematisierte mit seinem Beitrag die analytischen Schwächen realistischer und liberaler IB-Theorieschulen und betonte in seiner kritischen Soziologie internationaler Beziehungen die ermöglichenden und bedingenden Komplexe für den Krieg: Vor allem den „postimperialen Habitus“ in der Politik Russlands als eine strukturierende Erzählung zu erkennen, ermögliche eine Analyse der Kriegsermöglichung und der eingeschränkt erscheinenden Handlungsoptionen staatlicher russischer Akteure. Schlichte warnte auch vor der strukturierenden Wirkung der Kriegslogik, in der nun die behauptete neue Konfliktlinie zwischen „Demokratien“ und „Autokratien“ Konflikte aufzuladen und zu militarisieren drohe. Dörre hob hervor, dass die aktuellen Kriege die Menschheit gefährlich dicht an den Abgrund führten (Ökozid), da dadurch die überfällige Konzentration auf die Bewahrung der Umwelt blockiert werde. Die Solidarität mit der überfallenen Ukraine, die er bejahte, könne schon von daher nicht „bedingungslos“ sein.

Die anschließende Podiumsdiskussion „Den Krieg beenden, den Frieden gewinnen – Lösungsvorschläge“ drehte sich um ganz konkrete handlungspraktische Möglichkeiten für eine Friedensordnung, die über den Status Quo des Krieges hinausblickt und schon jetzt ein „danach“ ins Auge fasst.

Eine Konferenz vor gleichzeitig weltpolitisch herausragenden Ereignissen
Der zweite Konferenztag war im Verlauf des Tages (7. Oktober) zunehmend auch überschattet von den Nachrichten über den Überfall der Hamas auf israelische Kibbuzim, ein Musikfestival sowie die Raketenangriffe von ungeahnter Vielzahl – und nicht zuletzt durch die Nachrichten über Todesopfer in schwindelerregender Höhe. Dass es der tödlichste Angriff auf jüdische Menschen seit der Shoah sein würde, war noch nicht erkennbar. Die schon am frühen Nachmittag einlaufenden drastischen Meldungen ließen allerdings befürchten, dass eine abermalige, langfristige Eskalation drohte, die die Aussicht auf anhaltenden Frieden in Israel, aber auch in der Region, langfristig zu schädigen in der Lage sein werde. Diese gewaltvolle Eskalation brachte die ganz realweltlichen Kontexte der Themen der Konferenz „Wissenschaft für den Frieden“ noch einmal akut ganz nah.

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David Scheuing ist Projektkoordinator bei „LOVE-Storm: Gemeinsam gegen Hass im Netz“, dem netzpolitischen gewaltfreien Projekt des BSV e.V. Ihn beschäftigt die Rolle, die „zivile Formen der Gewalt“ in heutiger Gesellschaft einnimmt: Hass als digitale Gewaltform, die reale, gesellschaftliche, politische und normative Konsequenzen nach sich zieht. Er ist bislang noch nie in einen Shitstorm geraten.
Astrid Juckenack ist Mitarbeiterin von W&F.