Amtsgericht Frankfurt am Main: Im Namen des Volkes - Urteil

In der Strafsache gegen vier Personen wegen Vergehen strafbar nach § 240 StGB hat das Amtsgericht Frankfurt am Main in der Sitzung vom 30.08.2004, an der teilgenommen haben:

Richterin am Amtsgericht Walter als Strafrichterin
Staatsanwältin Suter als Beamtin der Staatsanwaltschaft
Rechtsanwalt NN. als Verteidiger zu 1
Justizfachangestellter NN als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Die Angeklagten werden wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu einer

Geldstrafe zu je 15 Tagessätzen

verurteilt.

Die Höhe des Tagessatzes beträgt bei den Angeklagten NN, NN und NN je 30,- Euro und bei dem Angeklagten NN 10,- Euro.

Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen. Angewendete Vorschriften: §§ 240, 25 II StGB1 465 StPO.

Gründe:
Die Angeklagten ließen sich am 15.03.2003 gegen 15.25 Uhr aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische Intervention im Irak mit ca. 30 weiteren Personen auf der Ellis Road am Frankfurter Flughafen nieder. Dadurch wurden Fahrer und Fahrerinnen, die auf der Ellis Road zu der US-Wohnsiedlung Gateway Gardens fahren wollten, an der Weiterfahrt gehindert. Die Fahrzeuge stauten sich in mehreren Reihen hintereinander auf. Dies war mit dieser Sitzblockade, die nicht angemeldet war, auch beabsichtigt. Es ergingen polizeiliche Auflösungsverfügungen. Auf die damit verbundene Aufforderung, sich zu entfernen, reagierten die Angeklagten nicht, so dass sie von Polizeibeamten zwangsweise weggetragen wurden.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassung der Angeklagten, die das ganze nicht bestritten haben. Sie haben ihr Verhalten damit begründet, dass der Krieg gegen den Irak völkerrechtswidrig sei, da es sich dabei um einen Angriffskrieg handele. Sie seien daher zum zivilen Ungehorsam geradezu verpflichtet.

Die rechtliche Würdigung ergibt, dass sich die Angeklagten nach Auffassung des Gerichts wegen einer gemeinschaftlichen vorsätzlichen Nötigung (§§ 240, 25 Abs.2) schuldig gemacht haben. Sie zwangen nämlich die Verkehrsteilnehmer, die zu der Wohnsiedlung Gateway Gardens gelangen wollten, ihre Fahrzeuge anzuhalten und eine nicht unerhebliche Wartezeit, verursacht durch den Verkehrsstau, der von der Sitzblockade herrührte, auf. Die Betroffenen wurden dadurch in der Freiheit ihrer Willensentschließung und Willensbetätigung beeinträchtigt, denn sie konnten nicht mehr gemäß ihrem Entschluss, die Wohnsiedlung zu erreichen, diesen in die Tat umsetzen. Die Angeklagten übten auf die Fahrer der Autos in der ersten Reihe einen rein psychischen Zwang aus, denn diese Fahrer sahen sich gezwungen anzuhalten, wenn sie nicht die Demonstranten überfahren wollten. Die Fahrer ab der zweiten Reihe waren an einer Weiterfahrt auch rein physisch gehindert, denn die Autos der ersten Staureihe standen ihnen im Wege. So entfaltete sich der von den Angeklagten ausgeübte Zwang ab der zweiten Staureihe auch rein physisch und blieb nicht mehr nur länger psychischer Natur. Demnach ist ihr Verhalten durchaus als Gewalt anzusehen.

Weiterhin war die Nötigung auch rechtswidrig. § 240 StGB ist ein offener Tatbestand, der wegen seiner Weite die Rechtswidrigkeit der Tat nicht indiziert. Es bedarf vielmehr einer positiven Feststellung. Der angestrebte Zweck der Nötigung war für die Angeklagten, das Aufhalten des Verkehrs vor der US-Air-Base, um auf das ihrer Ansicht nach fehlerhafte Engagement der US-Streitkräfte in Irak hinzuweisen um dieses zu kritisieren. Mögen ihre Motive für ihr Handeln je nach Standpunkt des Betrachters auch nachvollziehbar und geprägt vom Friedenswillen gewesen sein, so können politische Fernziele bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit des § 240 StGB indessen nicht berücksichtigt werden. Vielmehr hat niemand das Recht zu gezielten und bezweckten Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden. Die Friedenssicherungspflicht des Staates verbietet es gerade in Auseinandersetzungen über hochpolitische Streitfragen, solche Zwangsmittel mit irgendwelchen Fernzielen zu rechtfertigen. Auch war die Verkehrsbehinderung keineswegs notwendig, um die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Sie waren auch nicht als sozial adäquate Nebenwirkung einer rechtmäßigen Demonstration unvermeidbar und daher für die Betroffenen hinzunehmen. Die Angeklagten hätten nämlich ihre grundrechtlich geschützte Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch neben der Fahrbahn ausüben können. Außer einer zielgerichteten Provokation gab es keinen Grund, die Fahrbahn zu blockieren. Dieser Art der Provokation zur Schaffung von Stimmungslagen oder zum Erregen von Aufmerksamkeit wird jedoch von der Rechtsordnung nicht geschützt, so dass die Angeklagten sozial inadäquat und verwerflich im Sinne des § 240 StGB handelten.

Die Angeklagten handelten also auch vorsätzlich im Sinne des § 240 StGB hinsichtlich des Einsatzes der Gewalt, mit der sie ein bestimmtes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer erzwangen und hinsichtlich des Willens, diesen Zwang auszuüben.

Darüber hinaus haben die Angeklagten auch gemeinschaftlich als Mittäter gehandelt, denn Mittäter ist, wer gemeinschaftlich mit anderen vorsätzlich dieselbe Straftat begeht.

Soweit in der Hauptverhandlung anklang, dass eine Sitzblockade nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts straflos sei, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Mit Bindungswirkung wurde durch das Bundesverfassungsgericht lediglich entschieden, dass die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzblockaden gegen Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz verstoße, soweit ",die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist". Diesen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wurde aber eingangs entsprochen gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach auch geringer körperlicher Kraftaufwand den Anforderungen an den Gewaltbegriff genügt, wenn seine Auswirkungen den Bereich des psychischen verlassen und auch physisch wirkend sich als körperlicher Zwang darstellen. Mit Gewalt genötigt sind daher diejenigen Kraftfahrer, die durch vor ihnen anhaltende Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert werden, denn diese stellen sich für die Nachfolgenden als nicht nur psychisch sondern auch tatsächlich unüberwindliches physisches Hindernis dar.

Bei der Strafzumessung war zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall alle Angeklagten aus achtenswerten Motiven handelten. Sie waren von großer Sorge getragen, weil es sich ihrer Ansicht nach um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte. Bei Berücksichtigung all dieser Umstände erschien daher eine Geldstrafe von jeweils 15 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen. Die Höhe des Tagessatzes ist bei den Angeklagten entsprechend ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unterschiedlich festgesetzt worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.

Walter
Richterin am Amtsgericht

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