Corona

Bedrohungen – und wie Frühwarnung versagt

von Otmar Steinbicker
Hintergrund
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Die Corona-Krise wirft in ihrer Heftigkeit viele Fragen auf, die sich erst nach einem Abklingen der unmittelbaren Gefahren sorgfältig diskutieren lassen, dann aber auch diskutiert werden müssen. Aus sicherheitspolitischer Sicht muss dann die Frage, wodurch werden wir bedroht, neu beantwortet werden.

Derzeit sollte das größte Truppenmanöver seit dem Ende des Kalten Krieges stattfinden. Circa 37.000 Soldatinnen und Soldaten, darunter mehr als 20.000 aus den USA, sollten von 14 See- und Flughäfen in den Niederlanden, in Belgien, Frankreich und Deutschland aufbrechen und etwa 4.000 km in Richtung russische Grenze aufmarschieren. Das Manöver, dem eine fiktive Bedrohung durch Russland als Szenario zugrunde lag, war der realen Bedrohung durch das Corona-Virus nicht gewachsen. Die bereits gelandeten Soldat*innen mussten wieder nach Hause geschickt werden.
Für die meisten von uns kam die Corona-Krise in ihrer Heftigkeit völlig überraschend. Die politisch Verantwortlichen hätten allerdings vorgewarnt sein müssen. In der Drucksache 17/12051 des Bundestages vom 03.01.2013 unterrichtete die Bundesregierung die Abgeordneten mit einem Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012. Darin enthalten ist auch eine Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“. Darin heißt es: „Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus, welches den Namen Modi-SARS-Virus erhält. ... Zum Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle nach ca. 300 Tagen sind ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland an Modi-SARS erkrankt. Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können.“ Der komplette Bericht steht im Internet zum Download bereit (1). Mehr Vorsorge in den Krankenhäusern auf ein solches befürchtetes und jetzt eingetretenes Szenario wäre also möglich gewesen.

Eine andere massive Bedrohung ist der absehbare und in Teilen bereits eingetretene Klimawandel. Zu diesem Thema gab es bereits 2014 Studien der Bundeswehr und des US-Verteidigungsministeriums mit warnenden Hinweisen. Einen deutlich schärferen Ton schlägt eine brandaktuelle Studie vom 24. Februar 2020 des National Security, Military and Intelligence Panel (NSMIP) (2) an, in dem Expert*innen aus Militär, Geheimdiensten und der Sicherheitsforschung zusammenarbeiten. Diese Studie stellt zwei Szenarien vor: eine Erderwärmung um ein bis zwei Grad sowie eine Erderwärmung um zwei bis vier Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Sie kommen zu dem Schluss: „Auf der Grundlage unserer Forschung haben wir festgestellt, dass selbst bei Szenarien mit geringer Erwärmung jede Region der Welt in den nächsten drei Jahrzehnten ernsthafte Risiken für die nationale und globale Sicherheit aufweisen wird. Eine stärkere Erwärmung wird im Laufe des 21. Jahrhunderts katastrophale und wahrscheinlich irreversible globale Sicherheitsrisiken mit sich bringen. ... Die Welt befindet sich derzeit auf dem Weg zu einer hohen globalen Durchschnittserwärmung, und unser Emissionspfad geht weiter. Selbst vorgeschlagene internationale Verpflichtungen, wie die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens, sind nicht annähernd angemessen, um die Bedrohung einzudämmen.“ (Übersetzung OS) Damit fordern diese Expert*innen noch deutlich radikalere Maßnahmen als die Jugendlichen von „Fridays for Future“.

Diese Studie beschreibt auf mehr als 70 Seiten ausführlich die absehbaren Szenarien in den unterschiedlichen Regionen der Erde. Auch wenn Europa und Nordamerika noch einigermaßen glimpflich davonzukommen scheinen, so drohen vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in Südostasien und dem Pazifik Horrorszenarien, teils durch Dürre und Temperaturen bis zu 60 ° C, die menschliches Leben unmöglich machen, teils durch einen so starken Anstieg des Meeresspiegels, dass bisherige Deichbaumaßnahmen nicht mehr ausreichen.
Die derzeitige Corona-Krise sowie neue Studien zum Klimawandel zeigen, dass für das Überleben der Menschheit dringend Neues Denken und drastische Maßnahmen gefragt sind. Ein „Weiter so“ reicht nicht mehr aus.

Anmerkungen
1 https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf
2 https://climateandsecurity.org/2020/02/24/release-future-climate-change-...

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de