Versuch einer Bestandsaufnahme

Betriebliche Arbeitskreise für alternative Produkte

von Michael AhlmannDoris Carl
Schwerpunkt
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Seit Ende der siebziger Jahre taucht in verschiedenen Rüstungsbetrieben bei den Kolleglnnen die Frage auf: Was wollen wir eigentlich produzieren, wenn das jeweils aktuelle Rüstungsprogramm bei uns im Betrieb ausgelaufen ist? Entstanden ist dieser Gedanke in Norddeutschland vor allem auf den Werften an der Küste und in der Flugzeugindustrie, in denen massiv Arbeitsplätze bedroht und vernichtet worden sind. Auch in anderen Betrieben lösen Beschäftigungskrisen und erhebliche Auftragsrückgänge die Frage·aus: Was können wir herstellen? Diese Frage hat sich schnell erweitert auf die ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen und damit auch auf die Art, wo und wie ein Produkt entsteht, also auf die Produktion selbst.

Das ist der Ausgangspunkt für das Entstehen der von Gewerkschafterlnnen organisierten, innerbetrieblichen Arbeitskreise für alternative Produktion nach dem Vorbild von Lucas ·Aerospace in Großbritannien. Einige von ihnen sind bis heute aktiv geblieben, so z.B. bei der Daimler Benz Aerospace Airbus in Bremen und Hamburg, bei MAK und HDW in Kiel, bei Blohm und Voss in Hamburg und auf der Vulkanwerft und bei STN Atlas in Bremen. Der Arbeitskreis „Andere nützliche Produkte“ auf der Werft des Bremer Vulkans hat sich nach Eröffnung des Konkurses für Interessierte aus der Region geöffnet.

Zwei Beispiele:
Ein aktiver Arbeitskreis existiert bei STN ATLAS Elektronik in Bremen. Dieser Betrieb ist eine Fusion der früheren Krupp Atlas Elektronik und der STN, die sich aus der Marine- und Sondertechnik bei MBB und einem Teil der AEG gebildet hat. Bei der STN ATLAS Elektronik handelt es sich um eine geradezu klassische moderne Elektronikfirma für die Waffengattungen der Marine und des Heeres, die aber traditionell auch zivile Produkte vor allem in der Schiffselektronik erzeugt.

In der oben genannten Situation wandelte sich Krupp Atlas Elektronik, jetzt die STN ATLAS Elektronik scheinbar zu einem „Musterbeispiel“ für Rüstungskonversion. Aus ca. 80% Rüstungsanteil werden quasi über Nacht 55%. Wie? Ganz einfach: Produkte wie Simulatoren, für U-Boote oder die Schießausbildungssimulatoren für den Leopard-Il¬Panzer u.ä. werden als dual-use-Güter bezeichnet und einfach der zivilen Seite zugerechnet. Mit solchen und ähnlichen·Mitteln kann das Image einer großen Firma gut geschönt werden.

Ein weiterer für Informatikerinnen interessanter Arbeitskreis existierte bei Nixdorf in Paderborn. Auch dieser Arbeitskreis wird gegründet, als die Firma Nixdorf wirtschaftlich den Boden verliert und durch Siemens übernommen wird. Über die heutige Lage bei Siemens-Nixdorf in Paderborn kann man sich bei der dortigen FiFF-Gruppe informieren. (c/o Harald Selke, Tel.: 05251/60-6518, e-mail: hase [at] uniapaderborn [dot] de)

Die Idee der alternativen Produkte und Produktion hat sich jedoch sehr viel weiter verbreitet. Es gibt heute einige Arbeitskreise in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in Frankreich, England oder osteuropäischen Staaten. Dazwischen haben sich Netzwerke zwischen den Arbeitskreisen auf der Ebene vergleichbarer europäischer Regionen gebildet. Allerdings sind nicht alle darin mitarbeitenden Kolleglnnen gleichermaßen Rüstungsgegnerinnen. Eine eindeutige Ablehnung der Rüstungsproduktion wird oft vermieden.

Als Ansatzpunkte für die Ideen bieten sich Umweltfragen bei Produkt und Produktion und die Analyse von Arbeitsbedingungen an. Als Beispiel hier ein paar kurze Worte über das „Schiff der Zukunft“ des Vulkan-Arbeitskreises. Die Kolleglnnen auf der Werft haben versucht, alle Aspekte der Umwelt- und Arbeitsbedingungen um das Schiff· zu erfassen. Mit Hilfe eigenständiger Fragebogen haben sie wissenschaftlich erforscht, wie z.B. Farbstäube im Dock nach dem Sandstrahlen entsorgt werden, wie Korrosionsschutz umweltverträglicher wird, und auch, wie die Wohn- und Arbeitsbedingungen der Schiffsbesatzungen verbessert werden können. Zusammen mit Lotsen und Hafenarbeitern, Verkehrsplanerlnnen und Abwrackern werden höhere ökologische und soziale Standards rund um das Produkt Schiff entwickelt und im politischen Umfeld eingebracht. Wesentlich ist, daß die Betroffenen einbezogen sind.

Was hat das alles mit InformatitikerInnen zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Aber heutzutage basieren·immer mehr Produkte auf verarbeiteten Daten, von der Waschmaschinensteuerung bis hin zu hochkomplexen „finite-Elemente-Rechnungen“ für Strömungsmechanik am Schiffsrumpf.
Daher sind verantwortungsvolle Informatikerinnen in allen Arbeitskreisen gefragt. Gemeinsam an sinnvollen Produkten arbeiten, setzt einen Wandel im Denken und Handeln in der gesamten Belegschaft voraus, der im zweiten Schritt Begriffe wie „sustainability“ an die Stelle von Profitzwang setzen kann.

aus: FiFF Kommunikation 3/96

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