Britischer Pazifismus im Zweiten Weltkrieg

von Bill Hetherington

Es gibt 2005 viel Medieninteresse - der 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges naht und damit das letzte Mal, wo alte Soldaten sich in größeren Zahlen versammeln werden, um ihre Medaillen zur Schau stellen zu können oder über "alte, glückliche, entfernte Sachen, und Kämpfe von vor langer Zeit" nachzudenken, wie der Dichter William Wordsworth es formulierte. Aber was war mit den Kriegsgegnern? Was machten sie, und was war die Bedeutung des Kriegsendes 1945 für diese Personen?

Die britische Friedensgruppe Peace Pledge Union (PPU) wurde 1934 gegründet, mit dem Ziel den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Die PPU fusionierte mit dem 1921 als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg gegründeten "No More War"-Bewegung. Der Kriegsausbruch 1939 war deshalb eine riesige Enttäuschung, aber zeitweilig stieg die Mitgliederzahl sogar an. Es gab viel zu tun.

Mit dem Krieg kam auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht (eingeführt 1916, wieder abgeschafft 1919). Pazifisten hatten vorher dagegen protestiert, aber nach der Einführung wurde die Zentralstelle für Wehrdienstverweigerer (Central Board for Conscientious Objectors) ins Leben gerufen, um die Arbeit aller Verweigerer zu vertreten, ob "Totalverweigerer" (absolutists) oder auch "Teilverweiger" (alternativists), und beide Standpunkte waren in der Gesetzgebung vertreten, aber nicht immer in den Gerichten oder sogenannten Tribunalen, deren Aufgabe es war, das Gesetz durchzusetzen. Von den 60.000 Verweigern kamen etwa 3.000 ins Gefängnis, aber viele Verweigerer arbeiteten auf dem Land (einige haben sogar ihre eigenen Höfe betrieben als Versuch des Gemeinschaftslebens), in der Forstwirtschaft, in Krankenhäusern und in den Sozialen Diensten (eine neue Form der Sozialarbeit wurde initiiert durch die Pacifist Service Units unter sehr unterprivilegierten Familien, die noch heute unter dem Namen "Family Service Units" existiert). Ungefähr 100 Verweigerer, die auf Bauernhöfen auf der Insel Jersey arbeiteten, kamen später unter die Verwaltung der deutschen Besatzer der Kanalinseln; ungefähr die Hälfte von ihnen wurden später nach Bayern in zivile Internierungslager deportiert, wo sie sich aktiv am Lagerdasein beteiligten; einige durften nach draußen, um den örtlichen Bauern beim Ackerbau zu helfen; einige heirateten Frauen aus der Gegend, und wurden in Deutschland sesshaft (Pazifismus kennt ja bekanntlich keine nationalen Grenzen). Die Tribunale haben es manchen Leuten erlaubt, weiterhin ihren Berufen nachzugehen, zum Beispiel als Lehrer, aber Arbeitgeber hatten auch das Recht, sie zu entlassen (die BBC feuerte alle Wehrdienstverweigerer in der Belegschaft). Ca. 400 Verweigerer meldeten sich zur freiwilligen Räumung von Blindgängern. Einige Verweigerer, die im Ausland Hilfsdienste leisteten, starben am Rande der Kampfhandlungen, und einige starben in Ausführung von Zivilschutzaufgaben oder überlebten die Luftangriffe auf die Gefängnisse nicht. Die Wehrpflicht wurde im kleinen Rahmen auch auf Frauen ausgedehnt, wodurch es 1.000 Wehrdienstverweigerinnen gab, und auch Zivilisten, sowohl Männer als auch Frauen, wurden zu Arbeitseinsätzen verpflichtet, wobei es hier oft zu einer Gewissensfrage kam, die durch das Gesetz nicht richtig abgedeckt war.

Auch andere Pazifisten hatten gelegentlich Probleme, darunter sechs führende Mitglieder der PPU, die angeklagt wurden, da sie ein Poster mit der Aufschrift "Der Krieg wird aufhören, wenn Männer sich weigern, dafür zu kämpfen. Was wollen SIE dagegen machen?" zur Schau stellten, aber die Strafen waren nicht besonders streng. Es gab Schwierigkeiten beim Versuch einer Kampagne für Friedensverhandlungen; eine Frau kam für einen Monat ins Gefängnis, weil sie öffentlich für friedlichen Widerstand plädierte. Aber auf einmal hatte die PPU dringendere Aufgaben.

Bis 1942 wurde klar, dass Kinder in einigen der durch die Deutschen besetzen Länder Europas, besonders in Griechenland und in Belgien, an Hunger litten, und dass eine Blockade durch die Alliierten die Lage noch verschlimmerte. Die PPU betrieb eine Food Relief Campaign, drängte auf eine Aufhebung der Blockade unter der Aufsicht des Roten Kreuzes, um Lebensmittel einführen zu dürfen, unter der Voraussetzung, dass die Hilfe für die leidenden Kinder bestimmt war, und nicht für die Soldaten der Okkupation zweckentfremdet wurde. Vor dem gleichen Hintergrund entstand auch das Oxford Committee for Famine Relief, heute noch unter dem Namen Oxfam aktiv.

Eine weitere PPU-Kampagne zielte gegen die intensive Bombardierung deutscher Städte. Das Ziel wurde öffentlich bekanntgegeben durch den Chef des britischen Bomber Command, Arthur Harris, um Deutsche "obdachlos" zu machen, was nur ein Euphemismus für Massenmord war. Obgleich viele Leute durch den Blitz der Luftwaffe auf Großbritannien starben, argumentierte die PPU, dass das absichtliche Töten von Zivilisten durch beide Seiten bedeutete, dass keine Seite recht hatte, und obendrauf erreichte das deutsche Bombardement nie die Intensität der Feuerstürme von Hamburg und Dresden durch die alliierten Bombenangriffe - "Methoden der Barbarei", wie die Autorin und PPU-Aktivistin Vera Brittain es nannte. Es war nicht möglich, die Vorgehensweise zu stoppen, aber das Bewusstsein sowohl im Parlament als auch in der Bevölkerung wuchs zu einer Debatte, die fünfzig Jahre später wiederholt wurde, als Veteranen des Bomber Command eine Statue zu Ehren von "Bomber" Harris errichteten, und die PPU eine Kampagne dagegen führte.

In der Zwischenzeit wurde die Moral der Pazifisten und Pazifistinnen gestärkt durch einige hundert PPU-Gruppen in Städten und Dörfern landesweit, oft mit wöchentlichen Treffen, die auch den Straßenverkauf der wöchentlichen Zeitung Peace News organisierten. Zu den besten Zeiten hatte die Peace News eine Auflage von 18.000, alle ohne die üblichen Vertriebswege, da normale Läden sich weigerten, die Zeitung zu verkaufen. Zwei Wochen lang im Jahre 1940 wurde die Drucktype von Hand gesetzt, da die Drucker Angst davor hatten, wegen Behinderung der Kriegsanstrengungen angeklagt zu werden. Später fand man neue und sympathisierende Drucker, und die Zeitung konnte ohne weitere Probleme aufgelegt werden (abgesehen von der strengen Papierrationierung, genau wie bei den übrigen Zeitungen), und kommentierte kritisch die Ereignisse und berichtete von Kriegsdienstverweigerern und den Kampagnen der PPU.

Manchmal kamen Berichte aus Deutschland und den besetzten Ländern Europas durch. Die Zeitschrift der internationalen Pazifisten (War Resisters International - WRI) berichtete von der ersten Hinrichtung eines deutschen Kriegsdienstverweigerers im September 1939, und die Zeitschrift des Central Board for Conscientious Objectors berichtete nachträglich von deutschen Verweigerern und Pazifisten in Konzentrationslagern. Die WRI-Sektion in England war auf unterschiedlichen Wegen in der Lage, Nachrichten aus Deutschland und den okkupierten Ländern Europas zu erhalten: Wehrdienstverweigerer, die trotz drohender Hinrichtung standhaft blieben; andere, die aus dem Gefängnis Briefe schrieben; die dänische Sektion, die weiterhin ihre monatliche Zeitung herausbrachte, manchmal mit Berichten aus Norwegen.

Und als der Krieg endlich zu Ende war, gab es erst einmal ein Gefühl von Erleichterung, gefolgt aber von der Erkenntnis, dass noch mehr dringende Arbeit vonnöten war. Sogar während der Potsdamer Konferenz der `Großen Drei` - Truman, Churchill und Stalin - im Juli 1945 organisierte der Komponist und PPU-Mitglied Benjamin Britten ein `Mittagessen ohne Lebensmittel`, um auf die deutsche Bevölkerung aufmerksam zu machen, die inmitten des Chaos und der Ruinen des "Sieges" am Verhungern war. Darauf folgte der Aufruf `Rette Europa Jetzt` durch den jüdischen Verleger Victor Gollancz, um in einer Kampagne weite Teile Europas von Armut und Leid zu befreien, die nicht nur durch den Krieg hervorgerufen worden waren, sondern auch durch die Neuordnung der Grenzen und die Massen von "displaced persons" - würden wir heute von "ethnischer Säuberung" sprechen?, die in behelfsmäßigen Lagern untergebracht waren. Ein Foto in der Peace News von März 1946 zeigte zehn Frauen und Kinder zusammengekauert auf einem ungeschützten verschneiten Bahnsteig in Berlin - die einzigen Überlebenden von 150 unterernährten Deutschen, die ohne Verfahren in einem unbeheizten Zug aus dem Osten abgeschoben wurden. Britische Pazifisten haben die Regierung nicht nur darum gebeten, eher Lebensmittel nach Europa zu schicken, als die eigenen Essensrationen zu erhöhen, sondern haben auch Essen aus ihren eigenen Rationen aufgespart, um es nach Deutschland und in andere Ländern zu verschicken.

Einige Pazifisten gingen in Arbeitslager in Deutschland, um beim Wiederaufbau zu helfen, andere meldeten sich freiwillig für längerfristige Hilfsprogramme. Motiviert durch Fotos, wie z.B. in der Peace News noch im Jahre 1948 das eines 6-jährigen Mädchens, das barfuß auf ihrem einzigen Spielplatz, einem Trümmerhaufen, in Ludwigshafen saß, organisierten Pazifisten Gruppenreisen nach Großbritannien für Kinder aus Österreich, Deutschland und den Niederlanden, um ihnen sowohl psychologische als auch körperliche Genesung zu ermöglichen. Kontakte wurden geknüpft mit der Deutschen Friedensgesellschaft und anderen wiederauftauchenden Pazifistengruppen.

Pazifisten kämpften für die Repatriierung deutscher und italienischer Kriegsgefangener als eine bessere Möglichkeit, als sie quasi als Arbeitssklaven zu halten. In der Zwischenzeit wurden Freundschaften mit ihnen geschlossen, mit Einladungen zum Familienessen am Sonntag und der Organisation von Weihnachtsfeiern und anderen gesellschaftlichen Ereignissen.

Die PPU kämpfte gegen Kriegsverbrecherprozesse, die sie hauptsächlich als "Siegerjustiz" betrachteten, wobei "Verbrechen" wie Hamburg und Dresden, geschweige denn Hiroshima und Nagasaki, ignoriert wurden. Wie die WRI-Erklärung uns mahnt, ist der Krieg per se das Verbrechen gegen die Menschheit, und im Falle einer Beurteilung, sollten alle, die einen Krieg vorbereiten und ausführen, in diese Gleichung miteinbezogen werden. Natürlich waren die Pazifisten gegen die Hinrichtungen, bedingt durch ihren Glauben, dass niemand das Recht hat, das Leben eines anderen zu nehmen. Das hieß aber nicht, dass Pazifisten in irgendeiner Weise das unsägliche Grauen des Holocausts billigten oder herunterspielten, aber sie waren der Überzeugung, dass vorrangig die dringende Notwendigkeit bestand, eine Weltgemeinschaft zu etablieren, für die jedes Menschenleben gleichermaßen wertvoll ist. Die Idee einer Kommission für Wahrheitsfindung und Versöhnung war noch nicht geboren, aber zu einer vergleichbaren Vorgehensweise suchten die Pazifisten angestrengt einen Weg. Auf jeden Fall war die PPU die moralische Heimat für viele Überlebende des Holocausts.

Auf den Horror des Holocausts folgte das neue Grausen des Atomkriegs - welches die PPU als das Ergebnis der unaufhörlichen Kriegslogik verstand, wonach beide Seiten versuchen, die anderen mit immer tödlicheren Waffen auszustechen. Die PPU veröffentlichte das erste britische Anti-Atom Pamphlet im Oktober 1945, und organisierte die erste "Kein Atomkrieg" Versammlung im März 1946.

Es gab auch das Problem der Wehrpflicht. Pazifisten schafften es nicht, deren weiteres Bestehen in "Friedenszeiten" - die sich sehr schnell zum Kalten Krieg entwickelten - zu verhindern, aber waren erfolgreich in ihren Bemühungen, die gleichen Rechte für Wehrdienstverweigerer aufrecht zu erhalten, trotz eines Versuches der Regierung, die Möglichkeit der absoluten Verweigerung abzuschaffen. Wie die Regierung nach fünfzehn Jahren die Wehrpflicht abschaffte, um sich auf die britische atomare "Abschreckung" zu konzentrieren, ist eine völlig andere Geschichte.

Ist es sechzig Jahre später angesichts des Iraks und des Nahen Ostens, und kurz davor Afghanistans und des Balkans eine große Überraschung, dass wir uns immer noch fragen: Wann wird man je verstehen?

Übersetzung aus dem Englischen Douglas Bambrick

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Bill Hetherington war in der beschriebenen Zeit Vorsitzender der PPU.