AWACS-Urteil des Verfassungsgerichts

Das Parlament als Herr über Krieg und Frieden?

von Martin Singe
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Am 7. Mai 2008 meldete sich das Bundesverfassungsgericht - wieder einmal nach langer Frist - mit einem Urteil von friedenspolitischer Relevanz. Vor dem Angriff auf den Irak Anfang 2003 hatte Kanzler Schröder ohne Parlamentsbeteiligung Bundeswehrsoldaten und AWACS-Flugzeuge in die Türkei verlegt, um diese vor etwaigen Angriffen aus dem Irak schützen zu helfen. Die Türkei hatte um NATO-Hilfe gebeten. Zu entscheiden war, ob diese Verlegung der AWACS-Flugzeuge durch die rot-grüne Bundesregierung verfassungswidrig war. Die FDP-Fraktion hatte entsprechend, wenn auch ohne friedenspolitische Motivation, geklagt.

Mutloses Verfassungs-Gericht
Das Gericht stellte nun fest (2 BvE 1/03), was die Friedensbewegung seinerzeit sowieso schon wusste und in Artikeln und Aktionen (z.B. am AWACS-Stationierungsort Geilenkirchen) deutlich angeprangert hatte: dass sich die Bundesregierung trotz aller Schröder`schen Friedensrhetorik u.a. auch mit ihrer AWACS-Entscheidung am Irak-Krieg beteilige. Aber der Friedensschein der damaligen rotgrünen Regierung sollte ja nicht beschädigt werden. Deshalb nun kommt das Urteil, das der Friedensbewegung Recht gibt, mit 5 Jahren Verspätung. Richtig gewesen wäre es, wenn das Verfassungsgericht den Abflug der AWACS per einstweiliger Verfügung gestoppt hätte. Doch dazu reichte der Mut in Karlsruhe nicht. Der Kanzler hatte sich nicht getraut, das Parlament zu befragen, weil seine Friedensrhetorik zerbröckelt wäre, und das Verfassungsgericht traute sich nicht, ein gerichtliches Stopp-Schild aufzurichten, weil es innen- und bündnispolitischen Schaden befürchtete. Allemal waren wieder stärkere Kräfte am Werk als das Recht selbst.

Parlamentsrechte nur scheinbar gestärkt
Um so mehr wundert sich der friedenspolitisch geneigt Lesende über die Unzahl wohlwollender Kommentare, die das Verfassungsgerichtsurteil einheimste, bis hin zur "tageszeitung", in der das Urteil unter der Überschrift "Glasklar für die Demokratie" gewürdigt wurde. Was so großartig gewürdigt wird, ist lediglich die Tatsache, dass noch einmal betont wird, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich dass die Bundesrepublik ein Parlamentsheer hat, dessen Einsatz von der Zustimmung des Parlaments abhängig ist. Das ist seit dem 1994er Verfassungsgerichtsurteil klar und durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz hervorgehoben worden. Der einzige Fortschritt im vorliegenden Urteil liegt höchstens darin, dass die Reichweite der zustimmungsnotwendigen Fälle deutlicher bestimmt wurde: Jede "bewaffnete Unternehmung" bedarf der parlamentarischen Zustimmung.

Bundesregierung bleibt Herrin über Krieg und Frieden
Die von der Friedensbewegung schon hinsichtlich des Parlamentsbeteiligungsgesetzes aufgezeigten Lücken werden allerdings keineswegs geschlossen. Notfall-, Eil- und Gefahr-im-Vollzug-Entscheidungen können allemal weiterhin von der Bundesregierung getroffen werden und müssen vom Parlament nur nachholend bestätigt werden. KSK-Einsatz-Entscheidungen können sogar heimlich getroffen werden. Aber auch bei Parlamentsbeteiligungen im eigentlichen Sinn legt die Bundesregierung jeweils den konkreten Antrag auf Streitkräfteeinsatz vor, dem Parlament bleibt im Prinzip immer nur das alternativlose Abnicken. Ein wirksamer Widerspruch wäre nur um den Preis einer ernsthaften Regierungskrise bzw. eines Regierungsrücktritts zu haben. Immer noch haben innen-, außen- und bündnispolitische Beschwörungsformeln über internationale Verantwortung Zustimmungen erwirkt. Schwerer aber wiegt, dass das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung beruhigt fällen konnte, nachdem es ja ein Jahr zuvor im sog. Tornado-Urteil der Bundesregierung sowieso weitestgehende Vollmachten über Krieg und Frieden zugestanden hat. In diesem Urteil ging es ums eigentlich Eingemachte, nämlich die Fortentwicklung des Bündnis-Vertrages und der NATO selbst hin zu einer offensiven weltweit tätigen Kriegsführungs- und Besatzungsarmee. Für diese real viel relevanteren strategischen Entscheidungen hat die Bundesregierung seinerzeit volles grünes Licht erhalten, ohne dass das Parlament auch nur mit einem Strich daran zu beteiligen wäre. Diese Ausführungen werden im jetzigen AWACS-Urteil erneut hervorgehoben und bekräftigt, einschließlich der durch Wiederholungen nicht wahrer werdenden Behauptung, dass die NATO ein Bündnis kollektiver Sicherheit sei. Das Ergebnis ist also eindeutig: Die Bundesregierung bleibt die Herrin über Krieg und Frieden, das Parlament bleibt eine Nick-Bude.
 

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".