Der 15. Februar 2003 - was bleibt?

von Kathrin Vogler

Drei Monate nach den überwältigenden Massenprotesten des 15. Februar bleibt die Frage: Was können, was müssen wir aus diesem Tag lernen? Was ist vielleicht schon jetzt Geschichte - was wird lebendig bleiben?

15 Millionen weltweit gegen einen angekündigten Krieg auf den Straßen, an einem Tag, rund um den Globus. Allein in Berlin eine halbe Million Menschen. Besonders massiv waren die Demonstrationen dort, wo die Regierungen den Kurs der US-Regierung am massivsten unterstützten: Madrid, Barcelona, Rom und London sahen je mindestens eine Million Menschen auf den Beinen. Und trotzdem gelang es nicht, die Kriegsbefürworter in den Regierungen davon abzubringen, sich über das Völkerrecht und den Mehrheitswillen in vielen Ländern hinweg zu setzen und den Irak anzugreifen.

Nun stellt sich die Frage, ob es in den Wochen vor Kriegsbeginn jemals eine solche Chance gegeben hat. Viele DemonstrantInnen am 15. Februar gaben sich gegenüber den Medien erstaunlich illusionslos und abgeklärt: "Ich gebe mich da keiner Illusion hin. Ich fürchte, dass der Krieg kommt. Wenn aber 20 Millionen Menschen demonstrieren, verhindern wir vielleicht das Blutvergießen." "Ich weiß nicht, ob wir den Krieg verhindern können, ich glaube fast, nicht. Aber ich will meine Meinung demonstrieren und nicht einfach nur nichts tun." (Aussagen von DemonstrationsteilnehmerInnen im Berliner Kurier, 16.2.2003)

Sollte es das von Diplomaten verkündete Fenster für eine friedliche Lösung wirklich jemals gegeben haben, so war die Welt seiner Öffnung sicher um den 15. Februar am allernächsten. Natürlich hätte George W. Bush nicht vor aller Welt erklären können, die Weltöffentlichkeit habe ihn von der Unrechtmäßigkeit seiner Pläne überzeugt. Aber mit der Hilfe des staatlichen Propagandaapparates hätte er leicht eine Argumentation gefunden, die es ihm ermöglicht hätte, die politische Niederlage eines Truppenabzugs zumindest inneramerikanisch zu einem gloriosen politischen Erfolg umzudeuten.

Im Nachhinein betrachtet, erscheint es jedoch so, als sei dieses Fenster nie mehr gewesen als ein hübsches trompe-l`oeuil auf einer massiven, hässlichen Betonmauer. Offensichtlich scheint sich die gegenwärtige US-Regierung nicht allzu sehr um die Anerkennung der "zweiten Weltmacht Öffentlichkeit" (New York Times) zu kümmern und keinen gesteigerten Wert auf eine friedliche Koexistenz mit ihr zu legen. Schon die dilettantischen Versuche, über fingierte Geheimdienstberichte eine Bedrohung durch den Irak zu konstruieren, lassen an der Ernsthaftigkeit zweifeln, mit der versucht wurde, die Weltöffentlichkeit für das Vorhaben eines Eroberungskriegs zu gewinnen. So lange im eigenen Land die Umfragewerte stimmen, gibt es für einen US-Präsidenten beim Kreuzzug gegen das Böse nichts zu fürchten. Doch genau an dieser Stelle gilt es nun weiter zu arbeiten. Nachdem es gelungen ist, global eine Mehrheit gegen die Politik der globalen Hypermacht und selbst ernannten Weltordnungsmacht zu gewinnen, gilt es die Basis für eine Politik der zivilen Konfliktaustragung auch in den USA zu verbreitern. Als ich die Versöhnungsbund-Freiwillige Eve Block kennen lernte, die als US-Amerikanerin mit Begeisterung und Engagement im Aktionsbüro für die Berliner Demonstration mitarbeitete, dachte ich, wie dringend nötig derartige Initiativen auch von uns aus über den Atlantik sind.

Nach dem 15. Februar waren sich viele KommentatorInnen einig, dass dieser Aktionstag auch ein Tag der europäischen Einigung war. Ralph Bollmann analysierte z.B. in der taz (17.2.03) anlässlich des EU-Gipfels, nun komme es darauf an den Kriegsbefürwortern Brücken zu bauen "über die sie zu einem gemeinsamen europäischen Weg zurückfinden können." Dominique Strauß-Kahn, ehemaliger französischer Außenminister, konstatierte gar in einem Essay die Geburt einer neuen Nation auf den Straßen Europas. Inzwischen sind allerdings die politischen Botschaften dieses Tages an die euopäischen Regierungen beinahe verhalllt. Europa droht nach wie vor an seiner Haltung zu den USA zu zerbrechen, dabei stehen sich zwei gleichermaßen fatale Konzepte gegenüber und drohen jede Alternative zu zerreiben. Die "Willigen" in der EU wollen auch weiterhin den USA treue Gefolgschaft leisten und versuchen im Windschatten der Großmacht eigene nationale Interessen zu verfolgen. Die Gruppe der "Unwilligen" um Frankreich und Deutschland setzt auf die Eröffnung eines europäischen Konkurenzunternehmens zum US-amerikanischen militärischen Machtkonsortium und geht weitere Schritte in Richtung Militarisierung der EU und Schaffung einer europäischen Streitmacht. Beides ist nicht im Sinne derer, die am 15. Februar demonstrierten. Die Ablehnung von Krieg als Mittel der Politik oder zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gilt auch weiterhin - auch gegenüber einer künftigen europäischen Militärmacht.

Dabei kommt es darauf an, ob des den europäischen Antikriegsbewegungen jetzt, nach dem Irakkrieg, gelingt, ihre Zusammenarbeit auch auf längere Sicht fortzusetzen und den Focus ebenso auf die europäischen Machtbestrebungen zu richten wie auf die US-amerikanischen. Anlässe zu weiterer koordinierter Aktion gibt es auch in Zukunft, wie den G8-Gipfel im Juni im französischen Evian am Genfer See.

Auch in der Bundesrepublik gibt es einiges an positiven Ansätzen, die es weiter zu pflegen gilt. In der Vorbereitung auf den 15. Mai gab es erstmals seit längerer Zeit wieder intensivere Zusammenarbeit weit über den Kreis der in Friedensfragen "üblichen Verdächtigen" hinaus. Gemeinsame inhaltliche Forderungen verbanden Organisationen der Friedensbewegung mit umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen. Die lange Zusammenarbeit mit attac und Gewerkschaften wurde intensiver. Auch die Kirchen haben sich dem Thema Frieden neu geöffnet. Und in den Parteien, bis hinein in die Union, gab es deutliche Bewegung und intensive Diskussionen um das zuvor weitgehend tabuisierte Thema "Krieg und Frieden". Insgesamt ist so das Klima für Friedensarbeit in Deutschland etwas freundlicher geworden als in den Jahren zuvor.

Der 15. Februar ist für Viele zu einem Bezugspunkt in der persönlichen politischen Biografie geworden. Ein Tag, an dem man gemeinsam mit anderen weltweit für eine Wahrheit demonstrierte, die noch nicht stark genug war um zur Wirklichkeit zu werden. Wenn es dies ist, was die PhilosophInnen unter einer realen Utopie verstehen, so lautete diese: eine andere Welt ist möglich - eine Welt in der Frieden durch Gerechtigkeit wächst und Gerechtigkeit im Frieden. Europa kann seinen Beitrag dazu leisten: als zivile Macht, welche die Stärke des Rechts verteidigt.
 

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