"Und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens..."

Der friedensethische Protest der Kirchen

von Reinhard J. Voß

In der westfälischen Landeskirche und darüber hinaus ist der Kanon "Und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens" ein ökumenischer Ohrwurm geworden, der seit Jahren eine Annäherung von christlichen Basisgruppen bzw. Friedensorganisationen einerseits und Amtskirchen bzw. Kirchenleitungen andererseits signalisiert - eine wachsende Übereinstimmung im kriegsächtenden und friedensethischen Engagement.

Angefangen hatte dieser Prozess Anfang der 80er Jahre. Die Friedensbewegung bekam Zulauf in der Nachrüstungsdebatte; pax christi erlebte einen Wachstumsschub mit über 200 Basisgruppen. Bei der ökumenischen Weltversammlung in Vancouver 1983 wurde der "Konziliare Prozess gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" ausgerufen - eher als Appell an die Mitgliedskirchen denn als deren Selbstverständnis. Im gleichen Jahr veröffentlichte die deutsche Katholische Bischofskonferenz auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung ihr Wort "Gerechtigkeit schafft Frieden", das wichtige neue Akzente setzte, vielen aber als späte Rechtfertigung des Abschreckungssystems in Erinnerung geblieben ist. Spannungen waren vorprogrammiert.

In den 80er Jahren entwickelte sich im Rahmen dieses Prozesses immer stärker der Dialog zur Aktualität und Zukunft christlicher Sozial- und Friedensethik, artikuliert in "Ökumenischen Versammlungen" in BRD und DDR sowie auf europäischer Eben in Basel (Mai 1989), dann beflügelt durch die gewaltfreie Revolution in Ostdeutschland. Auf einer Weltversammlung in Seoul wurden 1990 Verpflichtungen formuliert, wie z.B. zum Aufbau christlicher Schalomdienste. Diese Arbeit für ein "Schalomdiakonat" wurde in den 90er Jahren zu einem der Wegbereiter für die Idee des Zivilen Friedensdienstes, der mit Hilfe des Berliner Bischofs Huber und des pax christi-Präsidenten, Bischof Spital aus Trier, politisch voran gebracht werden konnte, bevor er 1998/99 nach dem rotgrünen Regierungswechsel politische Wirklichkeit zu werden begann. Hier zeigte sich zum ersten Mal in politisch relevanter Form die ökumenische, amts- und basiskirchliche Annäherung in fruchtbarer Weise.

Aber parallel lief, programmatisch nochmals bekräftigt durch die friedensethische Denkschrift der EKD von 1993, eine weitere Befürwortung von Krieg als letztem Mittel. Die "Ultima ratio" wurde der Politik 1993 sozusagen von der EKD als moralisches Vehikel angeboten und beherrschte auch die langjährige "Pazifismus-Debatte" in der katholischen Friedensbewegung pax christi. Die Ultima ratio wurde in den Konflikten und Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan und Irak immer mehr von einer ethischen Kriegsbegrenzungs- zur politischen Rechtfertigungsformel für Krieg.

Im September 2000 erschien dann die wegweisende Schrift der Katholischen Bischöfe "Gerechter Friede" und wurde in kürzester Zeit mit ihrem programmatischen Titel zur ökumenischen Konsens-Formel. Die in ihr enthaltenen Kriterien für einen gerechten Frieden sind durchaus den historisch überkommenen des "gerechten Krieges" verwandt; sie wurden aber konsequent in einen theologisch-politischen Duktus der Gewaltfreiheit eingebettet und aktualisiert im Sinne der Aufgaben von Menschenrechtsschutz und Nation-buildung. Überraschend konsequent wandte sie Militärbischof Mixa aus Eichstädt auf den Afghanistankrieg an und lehnte diesen damit öffentlich ab. Stand er damit noch weitgehend allein, so wurde im letzten Jahr vor dem Irakkrieg deutlich, dass genau dieser Kriterienkatalog zum verbindenden und verbindlichen Verständnisrahmen der Kriegsächtung avancierte. Gerhard Beestermöller vom katholischen Institut für Theologie und Frieden kam vor dem Irakkrieg zu dem Schluss, man müsse diesem "das ethische Unbedenklichkeitszertifikat entschieden (...) verweigern" (Krieg gegen den Irak, Stuttgart 2002, S.82):

 
      Die legitime Autorität ist nach der US-Ankündigung, auch ohne UN-Mandat zu handeln, nicht mehr klar.  
      Der gerechte Grund ist nicht einsichtig, da der Irak nicht ein singulärer Fall ist, sondern aus machtpolitischen Gründen ausgewählt erscheint.  
      Die ultima-ratio-Forderung ist nicht aktuell, da es andere Druck- und Politikmittel gibt.  
      Die Erfolgswahrscheinlichkeit muss bezweifelt werden; die Folgen sind nicht übersehbar.  
      Die minus-malum-Forderung, also die Gesamtbilanz, fällt gegen die Option Krieg aus.  
    Ähnliches hatte sich auch in der Diskussion von Kirchen in den USA während des Afghanistankriegs schon angedeutet. Die katholischen Bischöfe in den USA hatten in ihrer Mehrheit Präsident Bush im Afghanistankrieg noch mit dem Argument der Selbstverteidigung und der gerechten Sache unterstützt - zwei klassischen Kriterien des Gerechten Krieges. Schon im November 1993 hatten sie aber gefragt: "Angesichts der Vernachlässigung friedensfördernder Tugenden und der Zerstörungskraft heutiger Waffen bleiben ernsthafte Fragen, ob moderner Krieg in all seiner Grausamkeit dem harten Test der Gerechten-Kriegs-Tradition standhält." Am 13.11.2002 beschloss dann die Katholische Bischofskonferenz in den USA mit 228 gegen 14 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine Resolution gegen die Irakpolitik von Präsident Bush. Es sei "schwierig, einen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen", denn er könne "unvorhersehbare Konsequenzen für den Frieden und die Stabilität im Nahen Osten" haben. Man warnte davor, die traditionellen Grenzen dieser eigentlich kriegs-begrenzenden Doktrin "drastisch zu erweitern und den präventiven Einsatz militärischer Mittel zuzulassen, um bedrohliche Regime zu stürzen".

Pax Christi-Vorstandsmitglied Tom Cordaro, der sich nicht als Radikalpazifist versteht, schrieb nach dem Afghanistankrieg seinen "dear just war-brothers and sisters": die Kriege in Jugoslawien und in Afghanistan zeigten, dass aus Angst vor dem Verlust der Zustimmung in den Demokratien bei den Bombardements aus großer Höhe eher der Verlust "gegnerischer" Zivilisten als der Tod eigener Soldaten in Kauf genommen wurde. Das sei niemals mehr vereinbar mit einem "Gerechten Krieg"!

Es passierte also der sensationelle Schulterschluss zwischen Pazifisten und Befürwortern des Gerechten Krieges in der Formel des "gerechten Friedens", welcher nicht herbei zu bomben, sondern zu erhandeln, welcher menschen- bzw. völkerrechtlich, friedensethisch und zivilgesellschaftlich zu erhalten und zu erstreiten sei.

Seit Papst Johannes Paul II. am 13.1.03 vor dem internationalen Diplomatencorps im Vatikan völlig undiplomatisch und klar den geplanten Krieg verurteilte, entwickelte sich in christlichen Kreisen eine ungeahnt breite Friedensbewegung und ihr Renommee in der säkularen Friedensbewegung stieg enorm an. Und von da an war es nur noch eine Frage der Zeit und der Umgangsformen, bis sich der Protest in vielfältiger Weise kirchlicherseits durchmischte: von flammenden Predigten und Leitartikeln in Kirchenzeitungen (die aber auch weiter viele traditionell-verharrende Leserbriefe druckten) über Mahnwachen, Friedensgebete und Glockengeläut bis hin zu Menschen- und Lichterketten, Demonstrationen, Blockaden von Militäreinrichtungen und anderen direkten, aber strikt gewaltfreien Aktionen.

Nach dem Siegfrieden von Amerikanern und Briten im Irak bricht die Zeit neuer Auseinandersetzungen an. Aber hinter ihre Aussagen können und wollen die Kirchen nicht mehr zurück. Wer die "präemptiven" und präventiven Kriegsführungs-Strategien der "Bush-Doktrin" ablehnt, kann sie nicht nachträglich mit "befreiten" Irakern begründen. Wer den Schutz der Zivilisten einfordert, kann nicht die immer größeren Zahlen von zivilen Todesopfern, die lebenslang uran-verstrahlten und verkrüppelten Menschen als Preis der Freiheit billigend (im wahrsten Sinne) in Kauf nehmen. Wer den Krieg ächtet, kann ihn nicht menschenrechtlich neu begründen.

Die Kirchen sind auf dem Weg zu größerer Klarheit in friedensethischen, völker- und menschenrechtlichen Fragen und setzen auf Versöhnung und zivile Konfliktbearbeitung. Der Limburger Bischof Kamphaus forderte immer wieder "Kriegesprävention statt Präventivkriege". Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, nannte den Irakkrieg am Tag seines Beginns, am 20.3.2003, "unmoralisch, rechtswidrig und unklug". Der neue Präsident von pax christi Deutschland, Bischof Algermissen aus Fulda, zitierte am gleichen Tag das päpstliche Wort "Krieg ist eine schwere Niederlage" und schrieb: "Trotz der bitteren Enttäuschung angesichts des Krieges im Irak gibt es für die Kirche keine Alternative zum Programm der Kriegsächtung und eines gerechten Friedens. Trotz allem: Die Zukunft gehört den Friedfertigen!"

Literaturhinweise:

 
      Gerechter Friede, Katholisches Bischofswort vom 27.9.2000, Heft 66 der "Erklärungen", Sekretariat der DBK, Kaiserstr. 163, 53113 Bonn  
      Gerechter Friede, hg. v. Kath. Akademie Frankfurt und pax christi-Bistumsstelle Limburg, Idstein 2002 (Schriftenreihe Probleme des Friedens; Kommentarband)  
       
      Gerhard Beestermöller, Krieg gegen den Irak - Rückkehr in die Anarchie der Staatenwelt? Ein kritischer Kommentar aus der Perspektive einer Kriegsächtungsethik, Stuttgart 2002
 
 
      Thomas Nauerth, Christliche Kirche als friedliche Stimme der Vernunft, Dossier Nr. 43 der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn 2003 (Auszug als Dokumentation in der FR, 17.3.2003, S.7). Bezug W&F, Reuterstr. 44, 53113 Bonn (Email: w-u-f [at] t-online [dot] de)

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Schwerpunkt
Dr. Reinhard J. Voß, von 2001 bis 2008 Generalsekretär der dt. Sektion von pax christi, ist von 2010 bis 2014 als Berater der kongolesischen Bischofskonferenz in der Kommission Justitia et Pax tätig und lebt derzeit mit seiner Frau in Kinshasa. Er ist Mitglied der pc-Kommission Solidarität mit Zentralafrika.