Der konziliare Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung – ein Lernprozeß: Christen und Kirchen wieder einmal vor einer Herausforderung

von Ulrich Frey

Worum geht es? Zentrale Inhalte der Bibel sind die Forderungen nach Gerechtigkeit, Feindesliebe und Erhaltung der Schöpfung. Dennoch haben Christen und die Kirchen jahrhundertelang - und zum Teil bis heute - in Kooperation mit den jeweils Mächtigen ungerechte Strukturen unterstützt, Kriege gerechtfertigt und sich an der Zerstörung der Schöpfung beteiligt. Aus dieser Situation heraus hat die 6. Vollversammlung des ökumenischen Rates 1983 in Vancouver zu einem konziliaren Prozeß gegenseitiger Verpflichtung (Bund) für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aufgerufen und zu einer ökumenischen Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eingeladen.

Es geht um die Glaubwürdigkeit der Kirchen vor sich selbst und gegenüber der Gesellschaft und allen Menschen dieser Erde. In dem Maße, wie sie eigene Aussagen vom umfassenden Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Gewalt, nämlich dem Schalom, glaubwürdig leben, werden sie Einfluß auf Gesellschaft und Politik insgesamt, sowohl regional, auf nationaler Ebene und weltweit nehmen können.

Was gegenwärtig läuft

Beim Düsseldorfer Evangelischen Kirchentag 1985 forderte Carl-Friedrich von Weizsäcker unter großem Beifall ein Konzil des Friedens. Diese Forderung wurde mit der des ökumenischen Rates nach einer Weltversammlung verbunden. Im Jahre 1988 finden in der Bundesrepublik auf regionaler,·lokaler und auf Bundesebene zahlreiche ökumenische Versammlungen statt, an denen sich die Gemeinden, Gruppen und Netze und die verfaßten Kirchen (katholisch, evangelisch, Freikirchen, orthodoxe Kirchen usw.) in unterschiedlichster Trägerschaft und Mischung neu zusammenfinden. 120 Delegierte, jeweils 40 aus der römischkatholischen, aus der evangelischen und aus den anderen Kirchen, versuchen bei dem Forum der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" in zwei Phasen, im Frühjahr (Königstein) und im Herbst (Stuttgart) gemeinsam Positionen und Lehren für das eigene Handeln zu erarbeiten. Diese Positionen sollen in den Prozeß bis zur Weltversammlung eingebracht werden. 31 dieser Delegierten haben ein "ökumenisches Zeugnis" unterschrieben, das die Forderungen der christlichen Gruppen und Netze in der Friedensbewegung zu guten Teilen repräsentiert. Vergleichbare Prozesse vollziehen sich in der DDR und in den Niederlanden.

Vom 15. bis 21. Mai 1989 wird in Basel die Europäische ökumenische Versammlung "Frieden in Gerechtigkeit" mit über 700 Delegierten aus den katholischen, evangelischen, anglikanischen, orthodoxen und anderen Kirchen Europas stattfinden. Für 1990 plant der ökumenische Rat die Weltversammlung.

Die Auseinandersetzung

Die Auseinandersetzung vollzieht sich in den Gemeinden, in und zwischen den christlichen Gruppen und Netzen der Friedensbewegung und in und zwischen den leitenden Gremien und Organen der verfaßten Kirchen. Eine große Rolle dabei spielen die kirchlichen Traditionen, wie sie sich über die Jahrhunderte hinausgebildet haben. Die größere Rolle - so scheint es - spielt aber die tägliche Erfahrung der Ohnmacht und des Versagens kirchlichen Denkens und Handelns weltweit. Viele Gemeinden, die christlichen Gruppen und Netze in der Friedensbewegung haben diese Erfahrungen teilweise in die Strukturen der Kirchen hineingetragen, teils dort vorhandenes kritisches Bewußtsein gestärkt.

In fast allen Landeskirchen im evangelischen Bereich sind Gruppen und Netze gebildet worden, zum großen Teil zusammen mit Katholiken aus den entsprechenden Diözesen und den anderen Kirchen. Erleichtert wurde diese Kooperation durch regionale und bundesweite ökumenische Versammlungen, z.B. bundesweit in Siegen 198 und 1986.

Diese Gruppen und Netze haben kirchenrechtlich keine festgeschriebene und keine verfaßte Position. Sie sind keine "Subjekte" des offiziellen kirchlichen Lebens. Aber sie machen durch ihre engagierte und dauerhafte Arbeit deutlich, daß die Kirchen selbst - und damit die Gruppen und Netze selbst Subjekte der Veränderung zu sein haben. Dies geschieht durch praktische Basisarbeit aber auch durch das Erarbeiten kritischer Positionen, die in den konziliaren Prozeß eingebracht werden. Die Basisgruppen und Netze haben drei Kernforderungen aufgestellt:

"Es darf um Gottes Willen nicht sein, daß wir einander das tägliche Brot verweigern".

Deshalb muß die Weltwirtschaft zugunsten der Armen reformiert werden, deshalb muß Arbeitslosigkeit auch unter eigenen Opfern bekämpft werden. Deshalb müssen gegen den Rassismus in Südafrika ernsthafte Sanktionen verhängt werden.

"Es darf um Gottes Willen nicht sein, daß wir gegeneinander Krieg führen".

Deshalb lehnen wir die Abschreckung aus Glaubens- und Vernunftsgründen ab. Deshalb ist die Verweigerung von Kriegsdiensten für uns das heute eindeutige und gebotene Friedenszeugnis in der Nachfolge Jesu. Deshalb muß der Rüstungsexport verboten werden. "Es darf um Gottes Willen nicht sein, daß wir die Schöpfung zerstören".

Deshalb müssen wir auf· Risikotechnologien (z.B. Gentechnologie, Atomtechnologie) verzichten. Deshalb muß eine neue Energiepolitik entwickelt werden.

Diese und andere Positionen und ihre theologische Begründung haben in den Kirchen teilweise erheblichen Widerspruch ausgelöst, Die Auseinandersetzung geht um grundlegende Glaubens-, ethische und Sachfragen. Gestritten wird z.B. über das Verhältnis von universal- oder/und kontextbezogener Theologie, um das Verhältnis von Glauben und Ethik (und damit z.B. um Gewissensentscheidungen) und um die Frage, nach welchen Prioritäten die Kirchen mit ihrem eigenen Geld umgehen sollen. Wie weit können und dürfen sie sich in die Politik einmischen, wenn es z.B, um die handfesten Sanktionen gegen das Rassistenregime in Südafrika geht oder um die Überwindung der Institutionen Abschreckung und Krieg? Inwieweit gilt die Lehre vom gerechten Krieg bzw. inwieweit gelten einzelne Kriterien dieser Lehre heute noch? Was heißt praktisch: Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion? Kann man sich etwa mit "den" Kommunisten versöhnen?! Immer wenn es konkret wird, wird die Auseinandersetzung auch ernst.

Was bedeutet das für die Friedensbewegung?

Hier beteiligt sich ein Teil der Friedensbewegung an der Auseinandersetzung um die Lösung von Problemen, die auch anderweitig angegangen werden. Die Christen haben hier kein Privileg. Die Aufgabenstellung nötigt sie, Verengungen des Denkens und Handelns (z.B. in Richtung auf bestimmte Waffensysteme) zu vermeiden und die Zusammenhänge ins Visier zu nehmen, die in unserer gegenwärtigen offiziellen chaotischen, sehr pragmatischen und bedarfsorientierten Politik keine Zukunft mehr aufscheinen lassen. Die Arbeit im konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung packt konkrete Probleme an. Sie ist ein Test für die konstruktive Kraft sozialer Bewegungen und damit für politisches Lernen, dessen Früchte langsam, aber umso sicherer reifen.

 

Christen für Abrüstung

Im Mittelpunkt des diesjährigen Kongresses der "Christen für Abrüstung" stand die Frage nach den künftigen Möglichkeiten einer besseren Verständigung mit der Sowjetunion. Die Konferenz drückte ihrer Enttäuschung über die unverbindlichen und nichtssagenden Ergebnisse des Königsteiner Treffens zum konziliaren Prozeß aus und forderte besonders von der Kirchen, sich konsequent und konkret dafür einzusetzen, die Erde bis zum Jahr 2000 von allen Massenvernichtungswaffen zu befreien.

Geldaufkleber-Aktion

Die Initiative "Christen für Abrüstung" hat eine Geldaufkleber-Aktion gestartet. Sie möchte damit auf den Skandal der immer weiter steigenden Rüstungsausgaben aufmerksam machen. Die Aufkleber gibt es in verschiedenen Größen zum Bekleben von Münzen und Geldscheinen.

Kontakt; Christen für die Abrüstung, Kreuzstraße 104, 2800 Bremen 1; Friedenssteuerinitiative, Postfach 20 08 07, 5300Bonn 2

 

ökumenisches Hearing

In Berlin findet vom 21. - 24. August ein ökumenisches Hearing zum internationalen Finanzsystem und der Verantwortung der Kirchen statt; Kontakt u. Info: ESG-TU, Carmerstr. 11, 1000 Berlin 12, Tel.: 030-3124297

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Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.