Ukraine

Der Krieg in der Ostukraine machte sie stark

von Bernhard Clasen
Schwerpunkt
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In Umfragen und bei Wahlen sind die Rechtsradikalen in der Ukraine unbedeutend. Es ist kaum zu erwarten, dass sie bei den Parlamentswahlen im Herbst den Einzug in die Rada schaffen werden. Auch inhaltlich können sich die ukrainischen Rechtsradikalen mit ihrer Tagesordnung häufig nicht durchsetzen. Jedes Jahr z.B. findet in Kiew eine Gay-Parade statt, gut geschützt von der Polizei. Hier geben sich VertreterInnen verschiedener westlicher Botschaften und ukrainische Nichtregierungsorganisationen ein Stelldichein. Sogar die US-Botschafterin Marie Louise Yovanovitch kommt gern mit ihrem Hund zum Kiew Pride vorbei. Und die wenigen Rechtsradikalen, die am Rande pöbeln, fallen bei den Tausenden von Gay Parade-DemonstrantInnen überhaupt nicht auf. Und auch die rechte Ablehnung eines Idealbildes Europa wird von der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung nicht mitgetragen. Im Gegenteil.

Doch damit bin ich schon am Ende der guten Nachrichten.

Ich kann mich noch gut an einen Vorfall von 2016 erinnern. Mit einigen älteren Damen und Herren sah ich mir im Büro der Sozialistischen Partei im Zentrum von Kiew einen französischen Film über die 68er Jahre an. Viele waren wir nicht, ein knappes Dutzend. Irgendwann läutete es an der Tür. Zwanzig Jugendliche, teilweise vermummt und in uniformähnlicher Kleidung des rechtsradikalen „Zivilen Korps“, stürmten in den Raum. Sie seien gekommen, gaben sie bekannt, um das gesetzliche Verbot kommunistischer Symbole umzusetzen. Dann gingen sie an den Bücherschrank, rissen Bücher raus, die ihnen sozialistisch erschienen, zogen die rote Fahne von der Wand. Nach einigen Drohungen physischer Gewalt zogen sie ab, in ihrem Gepäck die rote Fahne und angeblich gesetzwidrige Bücher. Zurück blieben verängstigte BesucherInnen. Sofort riefen wir die Polizei. Und die waren auch sofort da. Wir gaben die Angaben zu Protokoll. Sie schrieben alles mit. Und sagten am Ende, dass da mit Sicherheit nichts herauskommen werde. Die Vorgesetzten, so eine Polizistin, wollen derartige Fälle nicht groß aufbauschen, wollen keinen Konflikt mit dem „Zivilen Korps“.

Dieser Vorfall, den ich selbst erlebt habe, zeigt: Rechte paramilitärische Gruppen terrorisieren Andersdenkende in der Ukraine, die bürgerliche Mehrheit sieht schweigend zu, die Regierung lässt sie gewähren.

In der Mitte der Gesellschaft angekommen
Im April 2018 hatten Rechtsradikale der Gruppierung „S14“ ein Roma-Lager in dem Kiewer Park Lisij Gori in Brand gesteckt und die Roma aus ihren Behausungen vertrieben. Bis heute ist niemand für diese Gewalttat verurteilt worden. Im Gegenteil: Auf seiner Facebook-Seite brüstete sich Serj Mazur, einer der Wortführer der Gruppe und gleichzeitig Mitarbeiter des bekannten Abgeordneten Igor Luzenko von der Timoschenko-Partei, mit der Tat. Gleichzeitig kündigte er neue Aktionen gegen „ungesetzliche Aufenthaltsorte“ von Roma an. Doch obwohl es klare Beweise einer Mittäterschaft von Masur am Roma-Progrom gibt, ist er bis heute nicht verurteilt. (1 & 2).? Für die ukrainische Rechtsextremismusforscherin Ganna Grizenko ist „S14“ eindeutig neonazistisch. (3)

„Vierzehn Wörter“ ist eine besonders in den Vereinigten Staaten, mittlerweile aber auch in Europa häufig gebrauchte verschleiernde Umschreibung für einen verbreiteten Glaubenssatz weißer Neonazis und Rassisten: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern.“ (4) „S14“, so Grizenko, habe ein keltisches Kreuz auf seiner Fahne, die Gruppe sei rassistisch und fremdenfeindlich.

Am 19. Januar 2018 bewarfen „S14“-Leute AktivistInnen, die im Zentrum von Kiew vor dem Michaelskloster der am 19. Januar 2009 in Moskau ermordeten Antifaschisten Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa gedachten, mit Eiern und anderen Gegenständen. Bis heute ist niemand deswegen zur Rechenschaft gezogen worden. (5)

Während der Parlamentsdebatte zur Einführung des Kriegsrechtes am 27.11.2018 marschierten Rechtsradikale vom paramilitärischen „Zivilen Korps“ für die Einführung eines Kriegsrechtes. Und „S14“ rief zur Entführung von russischen Diplomaten in Kiew auf, die man dann gegen verhaftete Ukrainer „tauschen“ könne. (6) Das von den Rechtsradikalen an diesem Tag in Kiew geschaffene Klima war so intolerant, dass eine Aktion gegen die Einführung des Kriegsrechtes undenkbar schien.

Rechtsradikales Gedankengut ist längst in der Mitte der ukrainischen Gesellschaft angekommen. Als Präsident Poroschenko am 30. Januar seine Wiederwahl verkündigte, war bei der feierlichen Veranstaltung auch Dmitrij Jarosch, Gründer des rechten Sektors und lange dessen Chef, in den vordersten Reihen.

Als Präsident Poroschenko schließlich die Gründung der ukrainischen Kirche in Konstantinopel feierte, postete der ukrainische Blogger Volodimyr Ischtschenko am 9. Januar 2019 auf seiner Facebook-Seite ein Foto, das den Chef von „S14“, Jewgen Karas, einträchtig neben Präsident Poroschenko und Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko zeigt. Man kennt sich offenbar gut. Und Karas gehört zu denen, die Roma jagen. (7)

Genauso wie Innenminister Arsen Awakow stammt auch der stellvertretende Innenminister, Wadim Trojan, aus der zweitgrößten Stadt der Ukraine, Charkow. Man kennt sich noch aus früheren Tagen. Und in seiner Zeit in Charkiw war er auch Mitglied der Organisation „Patrioten der Ukraine“. Diese Organisation verteilte , laut Jewgenij Sacharow von der „Menschenrechtsgruppe Charkiw“ im Gespräch mit mir, auch „Mein Kampf“.

Woher kommt die große Anziehungskraft der Rechtsradikalen?
Bis 2013 sei man noch ein kleines Häufchen aktiver Mitglieder gewesen, berichtet „S14“-Sprecher Jewgen Karas gegenüber „Radio Swoboda“. (3). Doch dann sei das Jahr 2014 gekommen. „S14“ habe sich am Maidan und an den Kämpfen im Osten des Landes beteiligt. Inzwischen seien 90 Prozent der Mitglieder von „S14“ Kriegsveteranen. Die Organisation vermischt soziale Fragen mit nationalen Fragen, kämpft für die Rechte von Arbeitern, gegen Korruption, gegen hohe Stromtarife für finanzschwache Personen, gegen die Vernichtung von Parks, gegen Bordelle, illegale Alkoholverkaufsstellen und Drogendealer - und fordert gleichzeitig eine harte Politik gegen Migration, einen militärischen Sieg, Atomwaffenbesitz. Man überfällt Frauendemonstrationen und Gay Parades, kämpft gegen „prorussische Elemente und Separatisten“, gegen Verbrechen von „Zigeunern, Kaukasiern und Arabern“. 2018 unterstützte der ukrainische Staat die Aktivitäten von S14 für Jugendliche mit über 100 Tausend Euro. (8)

Mit dem Antikommunismusgesetz vom April 2015 haben der ukrainische Präsident und die Regierung nicht nur die KommunistInnen ausgegrenzt, es wurde auch ein Klima geschaffen, in dem alles, was nur irgendwie nach Sozialismus aussieht, verboten wird.

Und deswegen gibt es derzeit nur eine Opposition gegen das Establishment und die Oligarchen, und die ist rechtsradikal.

Der Krieg in der Ostukraine hat die Rechtsradikalen stark gemacht. 2013 waren sie noch ein kleines Häufchen, doch dann zogen sie an die Front und kamen als Helden zurück. Und dieser Heldenmythus ist für sie politisches Kapital.

Woher kommt die große Anziehungskraft der Rechtsradikalen?
Bis 2013 sei man noch ein kleines Häufchen aktiver Mitglieder gewesen, berichtet „S14“-Sprecher Jewgen Karas gegenüber „Radio Swoboda“. (3). Doch dann sei das Jahr 2014 gekommen. „S14“ habe sich am Maidan und an den Kämpfen im Osten des Landes beteiligt. Inzwischen seien 90 Prozent der Mitglieder von „S14“ Kriegsveteranen. Die Organisation vermischt soziale Fragen mit nationalen Fragen, kämpft für die Rechte von Arbeitern, gegen Korruption, gegen hohe Stromtarife für finanzschwache Personen, gegen die Vernichtung von Parks, gegen Bordelle, illegale Alkoholverkaufsstellen und Drogendealer - und fordert gleichzeitig eine harte Politik gegen Migration, einen militärischen Sieg, Atomwaffenbesitz. Man überfällt Frauendemonstrationen und Gay Parades, kämpft gegen „prorussische Elemente und Separatisten“, gegen Verbrechen von „Zigeunern, Kaukasiern und Arabern“. 2018 unterstützte der ukrainische Staat die Aktivitäten von S14 für Jugendliche mit über 100 Tausend Euro. (8)

Mit dem Antikommunismusgesetz vom April 2015 haben der ukrainische Präsident und die Regierung nicht nur die KommunistInnen ausgegrenzt, es wurde auch ein Klima geschaffen, in dem alles, was nur irgendwie nach Sozialismus aussieht, verboten wird.

Und deswegen gibt es derzeit nur eine Opposition gegen das Establishment und die Oligarchen, und die ist rechtsradikal.

Der Krieg in der Ostukraine hat die Rechtsradikalen stark gemacht. 2013 waren sie noch ein kleines Häufchen, doch dann zogen sie an die Front und kamen als Helden zurück. Und dieser Heldenmythus ist für sie politisches Kapital.

Ostukraine: wieder mehr Rechtsradikale an der Front
Anfang 2019 tauchten die rechtsradikalen paramilitärischen Truppen Asow und Rechter Sektor wieder im Osten an der Front auf. Die Kämpfe werden wieder stärker und von den Rechtsradikalen verspricht man sich eben ein hartes Vorgehen gegen die Aufständischen. Wie sagte mir eine Einwohnerin von Mariupol, gerade einmal 25 Kilometer von der Front entfernt: „Ich mag sie nicht die Rechten. Aber ich höre jede Nacht die Geschütze. Und ich will nicht, dass die noch näher kommen.“

Ein anderer Bewohner, Viktor Grammatikow, ist weniger euphorisch gegenüber den Rechten. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Leute von Asow durch die Straßen von Mariupol marschiert sind. Und sie haben uns zugerufen: ‚Wer seinen Kopf aus dem Fenster streckt, wird ohne Vorwarnung beschossen‘.“

Nun sind bewaffnete russische Kräfte in den Volksrepubliken. Ich habe mit eigenen Augen einen Konvoi von 70 Wagen gesehen, die von der russischen Grenze durch Lugansk und weiter nach Donezk fuhren. Ich kann verstehen, dass die Bevölkerung von Mariupol aus Angst vor einer sich den Stadtgrenzen nähernden Front auch die militärische Hilfe von Rechtsradikalen annimmt.

Angeblich wollte Russland die Ukraine vor den Rechten schützen. Doch Russland hat mit seiner Einmischung in den Konflikt das Gegenteil erreicht. Die Rechten sind gerade durch das russische militärische Engagement stark geworden.

Wie weiter?
Irgendwann werden die Waffen schweigen, werden auch Donezk und Lugansk wieder zur Ukraine gehören. Doch dann beginnt ein schwieriger Prozess, werden neue Konflikte entstehen. Nicht nur, dass die Gefahr besteht, dass man sich dann an Personen rächen wird, die sich politisch hinter die Separatisten gestellt haben. Es wird auch viele Eigentumskonflikte geben. Wer z.B. eine Wohnung einer Familie in Beschlag genommen hat, die vor dem Krieg geflohen ist, oder gar einen Betrieb, muss die natürlich zurückgeben. Ob er das immer freiwillig macht, ist jedoch die andere Frage. Und nun ist es wichtig, dass diese Konflikte strikt rechtsstaatlich ausgetragen werden. Ob dies allerdings in einem Staat möglich ist, in dem der Staat bereits einen Teil seines Gewaltmonopols an Rechtsradikale abgegeben hat, ist fraglich.

Anmerkungen
1 und 2 https://ukranews.com/news/559301-v-kyeve-nacyonalysty-prognaly-cygan-s-l...
https://ukranews.com/ua/news/616129-pogrom-taboru-romiv-na-lysij-gori-su...
3 https://www.radiosvoboda.org/a/29109819.html
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Fourteen_Words
5 https://hromadske.ua/posts/chleny-s14-zavazhaiut-provodyty-aktsiiu-pamia...
6 https://times.com.ua/News/100652/zhazhdut-voyny-nacionalnyy-korpus-vyvel...
7 https://www.facebook.com/vishchenko
8 https://hromadske.radio/news/2018/06/13/derzhava-finansuye-radykalnyh-na...

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