Die Rolle von PR-Agenturen in Kriegen

Der „Männlich-Militärisch-Industriell-Kommunikative Komplex“

von Jörg Becker
Schwerpunkt
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In den USA gilt seit 1938 der Foreign Agents Registration Act (FARA). Nach diesem Gesetz muss jede US-am. Firma, die für eine ausländische Regierung arbeitet, ihre dementsprechenden Aktivitäten dem Justizministerium melden, dokumentieren, den Vertrag und die Finanzen offenlegen und angeben, inwieweit sie den Vertrag vertragsgerecht erfüllt hat. Dieses Gesetz gilt bis auf den heutigen Tag auch für alle US-am. PR-Agenturen. Auf der Grundlage dieses Gesetzes haben Mira Beham und Jörg Becker mit Mitteln der Deutschen Stiftung Friedensforschung in Osnabrück sämtliche Verträge US-am. PR-Firmen mit Regierungen während der Balkankriege untersucht (vgl. Fußnote 8). Sie analysierten insgesamt 160 Verträge von 40 PR-Firmen mit allen Regierungen auf dem Balkan mit einem finanziellen Volumen von 12 Mio. US-Dollar.

Auch noch heute kann man mit dem FARA-Gesetz die Ukraine-Aktivitäten aller US-PR-Agenturen detailliert erfassen und analysieren. Warum sind die Kommunikationswissenschaft und der Journalismus so behäbig und desinteressiert geworden, dass sich niemand dieser Möglichkeit von Aufklärung unterzieht? Oder besteht die Kommunikationswissenschaft nur noch aus PR-Wissenschaft, die verständlicher Weise kein Interesse daran hat, kritisch über sich selbst nachzudenken? Und eine zweite Forschungsaufgabe bezüglich einer einzelnen PR-Agentur müsste angegangen werden. Kurz nach Beginn des Ukrainekrieges wurde Daniel Holefleisch, Ehemann von Außenministerin Annalena Baerbock, Partner bei der PR-Agentur MSL Germany in Berlin. Diese Agentur gehört der französischen Publicis Group, mit 77.000 Mitarbeiter*innen einer der weltweit größten Werbekonzerne. MSL Germany arbeitet bereits für die Regierung von Saudi-Arabien oder den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), um die angeblichen Vorteile des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Ländern in die Köpfe der Bundestagsabgeordneten hinein zu bringen. In einer Pressemitteilung von MSL-Germany hieß es im Mai 2022 über Daniel Holefleisch: „Eine Ansprache der Leitungsebene des Auswärtigen Amtes oder der Außenministerin Annalena Baerbock im Rahmen seiner Tätigkeit bei MSL ist vertraglich ausgeschlossen.“ (1) Welche*r kritische Wissenschaftler*in untersucht, ob das zutrifft? Und wie sieht es mit Kontakten zwischen MSL und dem Auswärtigen Amt unterhalb der Leitungsebene aus?

Tab. 1: War Branding: Ausgewählte Aktivitäten von PR-Agenturen in Kriegen
Tab. 1: War Branding: Ausgewählte Aktivitäten von PR-Agenturen in Kriegen

6. Seit sehr langer Zeit akzeptiert eine unmündig gewordene und gemachte Öffentlichkeit die Mär, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatsunabhängig sei und arbeite. Die aus Art. 5 GG abgeleitete Presse- und Rundfunkfreiheit und die wiederum daraus vom Verfassungsgericht abgeleitete Wächterfunktion der Medien als eine Art Vierte Gewalt sind jedoch perdue. Schon 1992 hatte das Bundesverfassungsgericht die Rundfunkfreiheit als eine „dienende Freiheit“ definiert, also eine Freiheit, die weder der Profitabsicht einer privaten Rundfunkanstalt noch der Angestelltenhierarchie eines ARD-Intendanten untergeordnet werden darf. Beim Thema Staatsferne ist der wichtigste Sündenfall die der ARD angeschlossene Deutsche Welle, die aus dem Bundeshaushalt finanziert wird und damit unmittelbar der politischen Gestaltungskraft der Bundesregierung unterworfen ist. Doch viele in der wissenschaftlichen Fachliteratur und im kritischen Journalismus festgehaltene Beispiele demonstrieren, wie stark Regierungen und deren Geheimdienste und Militärs die Inhalte von Massenmedien (inkl. ARD und ZDF) seit langem formen und prägen, gerade und besonders in Kriegszeiten.

Tab. 2: Medienarbeit von Militär und Geheimdiensten
Tab. 2: Medienarbeit von Militär und Geheimdiensten

7. Die gegenwärtige Kriegsführung kennt sehr unterschiedliche Spielarten des Cyberwars: Militär- und Industriespionage, staatlich gelenkte elektronische Massenangriffe auf gegnerische Server, Netze, Computer und Homepages, Zerstörung der Steuersysteme automatisierter Industrieanlagen und militärischer Waffensysteme, Zerstörung gegnerischer elektronischer Infrastrukturen usw. In solchen Cyberkriegen geht es sehr viel mehr als bisher um die Formensprache und weniger um die Inhalte von Medien. Im Syrienkrieg versuchten z. B. Anti-Assad-Kräfte, das syrische Staatsfernsehen durch ein komplett anderes (westliches) Fernsehen von außen auszuschalten und zu ersetzen. Der gegenwärtig im Journalismus bereits erfolgte Einsatz von KI wird in Kriegszeiten auf ein nicht mehr unterscheidbares Medienangebot von Freund und Feind hinauslaufen. Im Übrigen fordert die Bergpredigt nicht eine Nächsten- sondern eine Feindesliebe.

8. Unter einem neoliberalen Wirtschaftssystem von Deregulierung, Privatisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung wird das öffentliche Gut Journalismus durch ein privatwirtschaftliches System kommerziell arbeitender Public Relations-Agenturen ersetzt. Sowohl Kriegsmarketing (4) als auch der soziale Protest gegen Krieg (Astroturf) (5) werden marktgerecht angeboten und an den Meistbietenden verkauft. Auch wegen dieser strukturellen Veränderungen muss sich das analytische Gewicht weg vom Contentismus und hin zu einer Analyse der Akteure und ihrer politisch-ökonomischen Interessen verlagern.

9. Eine Mediatisierung des Krieges korrespondiert mit einer Martialisierung der Medien. Dieser Doppelgedanke führt zu einer Struktur, die man dann den Männlich-Militärisch-Industriell-Kommunikativen Komplex (MIKK) nennen muss. Der durch den US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower populär gewordene Begriff des Militärisch-Industriellen-Komplexes (MIK) trifft seit langem nicht mehr zu, er bedarf einer Erweiterung um die beiden Komponenten „männlich“ und „kommunikativ“. Die erste Erweiterung ist aus guten Gründen der Geschlechterforschung geschuldet und bedarf keiner weiteren Erörterung. Die zweite Erweiterung ist aus komplexeren Gründen nötig. Eine kritische Linke hat in ihren ökonomischen Analysen des Kapitalismus stets die ihn tragende Rolle von Werbung und Medien ausgeblendet. Eine Ausnahme bildet der trotzkistische Ökonom Ernest Mandel, der in seinem Klassiker „Monopolkapital“ schon 1966 analysiert hat (6), warum es bei dem sich entwickelnden Kapitalismus seit Ende des 19. Jahrhunderts Werbung geben muss. Werbung gibt es nicht, weil Kinder zum unkritischen Konsum verführt werden sollen, wie so viele Lehrer*innen moralistisch meinen, sondern weil die notwendigerweise Überproduktion von Gütern im Zeitalter der Monopole durch neue Güter abgelöst werden muss und zwar immer mehr und immer schneller (auch wenn empirische Messungen über die Wirkung von Werbung schwierig sind und bleiben). Der kanadische Ökonom Dallas W. Smythe hat mit seinem epochalen Aufsatz über Kommunikation und Massenmedien als Blindstelle einer marxistischen Gesellschaftsanalyse (7) Paul Sweezys Analyse aufgegriffen und dazu aufgerufen, in den Massenmedien nicht nur einen ideologischen Stützpfeiler des Kapitalismus zu sehen, sondern eine ihn ökonomisch tragende Säule. Diese Säule gilt es nicht nur in Friedens- sondern auch in Kriegszeiten zu sehen.     

Tab. 3: Der Männlich-Militärisch-Industriell-Kommunikative Komplex (MMIK)
Tab. 3: Der Männlich-Militärisch-Industriell-Kommunikative Komplex (MMIK)

Anmerkungen
1 Zit. nach dpa: Holefleisch wird Lobbyist, in: Süddeutsche Zeitung, 1. Mai 2022
2 Vgl. Schmidt-Eenboom, Erich: Geheimdienst: Politik und Medien, Berlin: Kai Homilius Verlag 2004, S. 303ff.
3 Zit. nach Kompa, Markus: Top Secret. Die Lizenz zum Täuschen, in: Telepolis, 23. Juni 2015; https://www.telepolis.de/news/Top-Secret-Die-Lizenz-zum-Taeuschen-272241... [26.12.23]
4 Vgl. Becker, Jörg und Beham, Mira: Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod. Vorwort von Norman Paech. 2. Aufl., Baden-Baden: Nomos-Verlag 2008 und Becker, Jörg: Medien im Krieg – Krieg in den Medien. 2. Aufl., Wiesbaden: Springer VS 2024
5Vgl. Irmisch, Anna: Astroturf. Eine neue Lobbyingstrategie in Deutschland?, Wiesbaden: VS Verlag 2011
6 Vgl. Baran, Paul A. und Sweezy, Paul: Monopolkapital. Ein Essay über die amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, Frankfurt: Suhrkamp 1973, S. 114ff
7 Vgl. Smythe, Dallas W.: Communications: Blindspot of Western Marxism, in: Canadian Journal of Political and Social Theory, Heft 3/1977, S. 1-27. 

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Prof. Dr. Jörg Becker ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Sein Hauptaugenmerk gilt den Internationalen Beziehungen, der Medienpolitik und der Geschichte des Bergischen Landes.