Buchbesprechung

Die Macht konstruktiver Gewaltfreier Aktion

von Christine Schweitzer

„Sowing Seeds for the Future. Exploring the Power of Constructive Nonviolent Action” ist der Titel des jüngst erschienenen Buches von Andrew Rigby. Andrew Rigby ist emeritierter Professor für Friedensstudien der Universität Coventry und Zeit seines Lebens im Umfeld der War Resisters‘ International aktiv gewesen. Sein besonderes akademisches Interesse gilt der gewaltfreien Aktion und dem Widerstand der Palästinenser*innen. Mit „Sowing the Seeds for the Future“ (etwa: „Die Saat für die Zukunft säen“) verbindet er ein frühes Interesse an alternativen Lebensgemeinschaften (er hat über Kommunen in England promoviert) mit seinem Interesse an der Praxis und der Theorie von zivilem Widerstand.
Der Autor unterscheidet konstruktive gewaltfreie Aktion von Aktionen, die darauf abzielen, Missstände durch Konfrontation offen zu legen. Das bedeutet allerdings nicht, dass konstruktive Aktionen nicht unter gewissen Umständen selbst auch Widerstand bedeuten und mit einem erheblichen Risiko für die Aktivist*innen einhergehen können. Rigby gibt hierzu u.a. mehrere Beispiele aus dem 2. Weltkrieg – im besetzten Polen versuchten Pol*innen, im Untergrund Schulunterricht zu geben (von den Deutschen waren alle Schulen geschlossen worden), in Frankreich, den Niederlanden und Dänemark versteckten Menschen Verfolgte des Nazisregimes oder verhalfen ihnen zur Flucht.
Das Buch beginnt mit einer Einleitung zur Begrifflichkeit, was in einem abschließenden Kapitel mit dem, was der Autor bescheiden „Abschließende Beobachtungen“ nennt, abgerundet wird. Dazwischen finden sich fünf inhaltsreiche und spannende Kapitel zu verschiedenen Bereichen, in denen konstruktive Gewaltfreie Aktion gefunden werden kann:
Im ersten Kapitel geht es um alternative Formen der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaften, angefangen bei den sog. „Diggers“, die im 17. Jahrhundert ungenutztes Land besetzten und zu beackern begannen. Obwohl sie sehr rasch von den Landbesitzern vertrieben wurden und die ganze Bewegung nur wenige Jahre andauerte, ist ihr Name bis heute bekannt. Vom 19. Jahrhundert, in dem es in England eine Reihe von Unternehmern gab, die alternative Gemeinschaften gründeten; bis zur Jetztzeit ist die Idee solcher Kommunen immer aufgegriffen worden, auch wenn viele rasch wieder zerbrachen.
Im zweiten Kapitel geht es um Indien und die Landschenkungsbewegung dort, die von Anhänger*innen von Gandhi nach seinem Tod ins Leben gerufen wurde. Sie war vor allem in den 1960er und 1970er Jahren aktiv. Aber auch Ekta Parishad, die auch hier in Deutschland eine Unterstützungsgruppe haben und 2020 einen Marsch von Indien bis Genf organisierten, gehört in diese Tradition.
Danach wendet sich Andrew Rigby dem Thema konstruktiver Aktion in Bewegungen zivilen Widerstands zu. Ein Beispiel (von etlichen, die er gibt) ist der gewaltfreie Widerstand im Kosovo in den 1990er Jahren, bei dem die Bevölkerung sich nicht nur gegen die Gleichschaltung durch Serbien zur Wehr setzte, sondern ein alternatives Schul- und Gesundheitssystem aufbaute.
Das Thema konstruktiver Aktion in Kriegszeiten, das eingangs schon erwähnt wurde, ist Inhalt des folgenden Kapitels. 
Danach geht es am Beispiel des Widerstands gegen die Mafia um Widerstand gegen organisiertes Verbrechen. Besonders Danilo Dolci konzentrierte sich in seiner Arbeit in Sizilien auf praktische konstruktive Anliegen wie den Bau von Straßen, öffentlichen Zugang zu Trinkwasser usw. Doch auch die Arbeit von Addiopizzo heute, einer Organisation von Betrieben (Läden, Restaurants), die sich weigern, Schutzgeld (das „pizzo“) zu zahlen und das öffentlich machen, ordnet Rigby der konstruktiven Aktion zu.
Der letzte Bereich, den Rigby anspricht, ist die Sphäre industrieller Produktion, z.B. den Vorschlag von Arbeiter*innen in den 1980er Jahren, den Rüstungsbetrieb Lucas Aerospace in ein ziviles Unternehmen zu überführen.
In seinen „abschließenden Beobachtungen“ stellt Rigby elf Punkte vor. Sie können aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden. Generell lässt sich zusammenfassen, dass Rigby konstruktive Aktion als einen wesentlichen, ja unentbehrlichen Bestandteil von sozialen Bewegungen ansieht. Sie nehmen nicht nur den gewünschten Zustand vorweg oder deuten ihn zumindest an („die Saat für die Zukunft säen“), sondern stellen auch einen Ort da, in dem sich Bewegungen verbreitern, Zuflucht finden, lernen und auf konfrontative Aktionen vorbereiten kann.
Das Buch ist allen empfohlen, die Interesse an gewaltfreier Aktion haben, sowohl denen, die sich eher für deren Theorie interessieren wie denen, die mehr über einzelne Beispiele konstruktiver Aktion wissen wollen. Es ist einfach geschrieben und sicher für jede*n mit durchschnittlichen Englischkenntnissen gut lesbar; der Autor verbindet sein Thema immer wieder mit persönlichen Erinnerungen und Zugängen, was es zudem höchst unterhaltsam macht.

Rigby, Andrew (2021): Sowing Seeds for the Future. Exploring the Power of Constructive Nonviolent Action. Sparsnäs: Irene Publishing, ISBN 978-91-88061-54-6, 247 S., 17,25 

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.