Überblick

Die Militarisierung der Europäischen Union

von Sarina Wassermann
Schwerpunkt
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2012 wurde der Europäischen Union der Friedensnobelpreis verliehen. Doch schon damals erhob sich Kritik, weil die die EU schon längst damit begonnen hatte, Militäreinsätze und andere militärische Maßnahmen auszubauen.
Etabliert durch den Vertrag von Maastricht im Jahre 1992 legte die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erstmals Ziele hinsichtlich einer gemeinsamen Außenpolitik vertraglich fest. Anfangs war in der GASP noch keine spezifische Militärkomponente enthalten. Durch den Kosovo-/ Jugoslawienkrieg im Jahre 1999 wurde jedoch die Begründung einer gemeinsamen Militärpolitik innerhalb der EU begünstigt. In diesem Krieg der NATO übernahm die USA die alleinige militärische Führung, obwohl die europäischen Staaten dagegen Widerspruch erhoben. Dies führte dazu, dass die europäischen Regierungschefs einen Ausbau der militärischen Möglichkeiten und Kompetenzen der EU anstrebten, um militärische Operationen in Eigenregie durchführen zu können. Noch im selben Jahr fiel im Zuge des European Headline Goal Treffens in Helsinki der Beschluss, europäische Interventionstruppen aufzustellen. Die sog. European Rapid Reaction Forces sollen innerhalb von 60 Tagen einsatzbereit sein und das Spektrum der sog. Petersberger Aufgaben (humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Maßnahmen und Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung) abdecken. Der Beschluss zum Aufstellen dieser Interventionstruppen wird häufig als Geburtsstunde der Militarisierung bezeichnet und ebnete den Weg für weitere militarisierende Schritte der Europäischen Union. Diesbezüglich sind unter anderem die Einrichtung eines Militärausschusses (Jahr 2000), die Verabschiedung der Europäischen Sicherheitsstrategie (Jahr 2003) sowie 2004 die Gründung von EU-Kampfgruppen – den sog. Battlegroups – zu nennen.

Vertrag von Lissabon
Nach diesen richtungsweisenden Anfängen trat 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft. Der Reformvertrag brachte insbesondere zwei Veränderungen mit sich, welche die Konstruktion der Europäischen Union als Militärmacht vorantrieben.

Zum einen wurde in Ablösung zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) geschaffen, die sowohl militärische wie zivile Operationsfähigkeiten definiert. Die GSVP kennt hinsichtlich der Einsätze und Missionen keine geografische Eingrenzung und erlaubt weltweite Einsätze. Auch das seit der Einführung der GSVP herrschende Finanzierungsverbot von militärischen Missionen durch den EU-Haushalt (gem. Art. 41 II EUV), wird oft umgangen, indem Gelder des Forschungs-, Entwicklungshilfe-, Agrar- oder Transportetats für militärische Zwecke eingesetzt werden. Weiterhin wurde in der GSVP das Instrument der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit eingeführt (auf Englisch: Permanent Structure Cooperation, kurz: PESCO). Dadurch wird den Mitgliedstaaten, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weiter gehende Verpflichtungen eingegangen sind“ (1), ermöglicht, ihre militärischen Fähigkeiten im Rahmen der EU weiter zu vernetzen.

Als zweite große Veränderung durch den Vertrag von Lissabon ist die Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD) zu nennen. Mit dieser Behörde, welche seit Ende des Jahres 2010 existiert, wurden die machtpolitischen Möglichkeiten der EU – Verteidigungs-, Außen- sowie Entwicklungspolitik – gebündelt. Durch diese Zusammenführung geriet die zivile Außen- und Entwicklungspolitik unter einen verstärkt militärischen Einfluss.

Auswirkungen von Brexit und US-Präsidentschaftswahl
Die Militarisierung der EU wird begünstigt durch das angekündigte Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, das eine Konkurrenz der EU zur NATO verhindern wollte. Durch den angekündigten Brexit sahen einige europäische PolitikerInnen ihre Chance, jahrelang geplante Strategien endlich durchsetzen zu können. So legten die früheren Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, kurz nach dem Brexit-Beschluss ein Papier mit dem Titel „Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt“ vor. Dieses Papier fordert den Ausbau und die Umsetzung von Militärprojekten und hebt weiterhin die diesbezügliche Bedeutung einer deutsch-französischen Führungsrolle hervor.

Der „Meilenstein der europäischen Entwicklung“ innerhalb der Verteidigungspolitik ist nach Sigmar Gabriel allerdings die Realisierung der PESCO (Permanent Structure Cooperation). (2) Diese ist, wie bereits erwähnt, seit dem Vertrag von Lissabon vertraglich festgelegt, wurde jedoch erst im Dezember 2017 realisiert. Zuvor hatte Großbritannien über Jahre hinweg die Aktivierung der PESCO blockiert. Nach dem Brexit-Beschluss unterschrieben schließlich bis Ende 2017 alle EU-Mitgliedstaaten bis auf Dänemark, Malta sowie Großbritannien das Dokument, welches die PESCO besiegelte. Ziel der PESCO ist es, die Verteidigungszusammenarbeit durch bindende Verpflichtungen sowie die militärische Autonomie der EU zu stärken. Zu diesen Verpflichtungen gehören unter anderem die regelmäßige Aufstockung der nationalen Verteidigungshaushalte sowie die Beteiligung an gemeinsamen Rüstungsprojekten. (3) Auch hier spielen Deutschland und Frankreich entscheidende Rollen, zusammen mit Italien und Spanien.

Neuste Entwicklungen: Mehrjähriger Finanzrahmen 2021 bis 2027
Der verstärkte Fokus auf militärische Maßnahmen zeigt sich ebenso an der vorgesehenen Umstrukturierung des EU-Haushaltes. Am 2. Mai 2018 legten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Haushaltskommissar Günther Oettinger einen Entwurf für den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 vor. Dieser weist mit 1.280 Milliarden Euro eine deutliche Budgeterhöhung im Vergleich zum aktuellen Finanzrahmen (1.087 Milliarden Euro) auf. Dafür zurückstecken müssen zivile Mittel der Friedensförderung, die im kommenden MFR Sparmaßnahmen unterliegen. So sollen bisher eigenständige außenpolitische Instrumente der EU zu einem einzigen Instrument, dem Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Kooperation, gebündelt werden. Bewährte eigenständige Haushaltslinien, wie unter anderem das Instrument für Menschenrechte und Demokratie sowie das Instrument für Stabilität und Frieden, gehen in ihnen auf. Dabei wurde Letzteres in einer 2017 durchgeführten Evaluation noch als effizient und erfolgreich bewertet. Auch das Instrument für Menschenrechte und Demokratie hat sich mit der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen und dem Vorantreiben des Menschenrechtsdialogs im Bereich der zivilen Ansätze bewährt. Folglich ist nicht nachvollziehbar, warum die EU-Kommission diese Instrumente beschneiden möchte.

Anlass zur Sorge gibt weiterhin die geplante Einführung des Budgettitels „Sicherheit und Verteidigung“ sowie die Einrichtung eines neuen EU-Instruments, der europäischen Friedensfazilität. Beide vorhergesehenen Entwicklungen widersprechen dem bereits erwähnten Artikel 41 II EUV, welcher die Finanzierung von militärischen Missionen durch den EU-Haushalt verbietet. Um dies zu umgehen, schlug Federica Mogherini mit der Friedensfazilität allerdings ein Instrument der EU vor, welches außerhalb des EU-Haushalts angelegt sein soll. Dies würde der EU folglich noch leichter ermöglichen jegliche militärische und verteidigungspolitische Maßnahmen zu finanzieren, welche ansonsten durch den Vertrag von Lissabon rechtlich beschränkt sind. Laut EU-Kommission ist dies auch das vorrangige Ziel der Fazilität. Die Bezeichnung „Friedensfazilität“ ist somit äußerst paradox, da es sich hinsichtlich der friedenserhaltenden Maßnahmen um die Finanzierung von Militäreinsätzen und weiteren militärischen Maßnahmen handelt, wie beispielsweise dem Aufbau militärischer Kapazitäten. 10,5 Milliarden Euro sollen in den sieben Jahren des kommenden MFR für die Friedensfazilität bereitgestellt werden.

Insgesamt ergibt sich für den EVF für die Jahre 2021-2027 ein Budget von 48,6 Milliarden Euro. Dieses beinhaltet sowohl Gelder aus dem EU-Haushalt, als auch die Beiträge der Mitgliedstaaten. Gelder für eine Verbesserung der militärischen Infrastruktur, den sog. „Military Schengen“ (die ebenfalls unter dem Titel „Sicherheit und Verteidigung geplant sind), erhöhen das Gesamtbudget nochmal auf rund 55 Milliarden Euro

Ausblick
Insgesamt wird deutlich, wie sich die EU schrittweise militarisiert hat. Insbesondere die Planung des kommenden EU-Haushaltes spiegelt die enorme Priorität der Aufrüstung gegenüber alternativen Methoden wieder. Der MFR gibt der EU alle sieben Jahre die Möglichkeit, sich neu auszurichten und damit die Chance für einen Neuanfang. Diese Möglichkeit scheint die EU durchaus wahrnehmen zu wollen, allerdings nicht als Neustart zur Abrüstung, sondern dahingehend, weiter militärische Kapazitäten zu verstärken und ein militärisches Kerneuropa bis ggf. hin zur Europa-Armee zu errichten. Um dieses Ziel zu erreichen, scheut sich die EU-Kommission nicht, Tricksereien anzuwenden, um das Finanzierungsverbot zu umgehen und unter anderem Gelder der Entwicklungshilfe für militärische Zwecke einzusetzen. Dies lässt uns Zeuge werden, wie sich die EU der Idee einer zivilen Union des Friedens immer weiter abwendet. Umso wichtiger ist es nun, dass Friedens- und Entwicklungsdienste sowie allgemein alle Vertreter*innen einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung auf diesen Prozess hinweisen und aktiv entgegenwirken.

Anmerkungen
1 https://dejure.org/gesetze/EU/42.htm
2 https://www.welt.de/newsticker/news2/article170555965/Gabriel-sieht-hist...
3 Nachgelesen können alle Informationen zu Pesco in der neuen Studie der Imi, verfasst von Jürgen Wagner: https://www.imi-online.de/2019/10/08/pesco-das-militaristische-herz-der-...
Eine längere Fassung dieses Papiers erschien 2018 als Infoblatt beim Bund für Soziale Verteidigung.

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Sarina Wassermann ist Studentin und hat ein Infoblatt, dessen Auszug dieser Artikel ist, in der Zeit ihres Praktikums beim Bund für Soziale Verteidigung geschrieben.