Sicherheit ohne Konzept

Die Reform der Bundeswehr auf tönernen Füßen

von Reinhard Mutz
Hintergrund
Hintergrund

Bei aller Skepsis gegen Superlative - hier trifft er zu: Die Bundeswehr erfährt derzeit den einschneidendsten Umbau in den 45 Jahren ihres Bestehens. Sie wird kleiner, wenngleich nicht billiger, dafür beweglicher und mit mehr Berufssoldaten bei weniger Wehrpflichtigen professioneller. Sie tauscht das schwere Gerät, das ihren Wirkungsradius mehr oder minder auf das Bundesgebiet beschränkte, gegen eine leichtere, über größere Entfernungen rasch verlegbare Bewaffnung. Mit der neuen Ausrüstung erwirbt sie neue Fähigkeiten. Sie erhält einen mächtigeren Generalinspekteur, der mit Hilfe eines "Einsatzrates", einer eigenen Operationsabteilung in seinem Führungsstab und eines Einsatzführungskommandos Operationen der Bundeswehr plant, vorbereitet und lenkt. Der Umfang der voll präsenten Kampftruppen - vormals Krisenreaktionskräfte, jetzt Einsatzkräfte - wird verdreifacht. Dafür entfallen die mobilisierungsabhängigen Hauptverteidigungskräfte. Man wird sich an mehr Soldatinnen gewöhnen, auch in Kampfverbänden, und an eine schrumpfende Anzahl militärischer Standorte in der Bundesrepublik. All diese organisatorischen, administrativen und technischen Neuerungen sind ausführlich beschrieben und in einer gewissen Breite auch öffentlich erörtert worden.

Streitkräftereform und demokratische Öffentlichkeit
Vergleichsweise knapp beschrieben und so gut wie gar nicht öffentlich diskutiert sind bisher die konzeptionellen Prämissen der Armeereform und die strategischen Implikationen, die damit einhergehen. Für die politische Geschichte der Bundesrepublik stellen sie eine möglicherweise noch tiefgreifendere Zäsur dar, als für die deutschen Streitkräfte selbst. Es ist der Wandel des Auftrags, der die Reform der Bundeswehr zu einer Art Neugründung macht. Ein fachkundiger Kommentator und profilierter Befürworter der Umgestaltung umschreibt den Auftragswandel so:

"Verteidigung ist für diese Armee, ebenso wie für die Nato, kaum mehr als eine Erinnerung an die eigene Entstehungsgeschichte. Der eigentliche Ernstfall, für den sie geschaffen wird, ist die militärische Intervention - wenn möglich, unter friedlichen Rahmenbedingungen, wenn nötig, unter kriegerischen ... um der Gewalt ein Ende zu bereiten und den Frieden zu retten. Was das ist, bestimmt die westliche Wertegemeinschaft allerdings nach ihren eigenen Maßstäben - nach welchen sonst sollte sie sich richten? ... Aus einer Armee, die ... kampffähig sein sollte, um nicht kämpfen zu müssen, wird eine Armee, deren Existenzgrund die Einsicht ist, dass sie gegebenenfalls eingesetzt werden muss, um die Interessen des eigenen Landes und des westlichen Bündnissystems zu schützen. ... Gestern geschah das in Bosnien, heute auch im Kosovo, morgen womöglich auf den Golan-Höhen oder im Golf." Daraus folgt: "Zur Bereitschaft, den eigenen Staat auf seinem Territorium gegen einen Aggressor zu verteidigen, muss diejenige kommen, notfalls ein anderes Land anzugreifen ... und zwar gegebenenfalls sogar ohne einen legitimierenden Beschluss der Vereinten Nationen." Die politische und militärische Führung der Streitkräfte formuliert so nicht. Sie wählt ein weniger drastisches Vokabular. Begriffe wie Krieg, Angriff, Gewalt, Intervention kommen in ihren Verlautbarungen nicht vor.

Zur demokratischen Kultur der Bonner Republik gehörte die periodische Veröffentlichung sicherheitspolitischer Weißbücher. Das letzte Weißbuch erschien im April 1994. Für die zweite Jahreshälfte 2000 war das erste Sicherheitsweißbuch der rot-grünen Bundesregierung angekündigt. Der Termin ist verstrichen. Bis die regierungsamtliche Problemsicht vorliegt, sind Parlament, Parteien und Öffentlichkeit zu den Grundfragen der äußeren Sicherheit ihres Landes auf die spärlichen Aufschlüsse angewiesen, die aus den publizierten Dokumenten zur Bundeswehrreform ergehen. Allerdings sind dies Stellungnahmen eines Einzelressorts, des Verteidigungsministeriums, nicht der Bundesregierung insgesamt. Sie bildeten die Beschlussgrundlage der inzwischen vom Kabinett gebilligten Strukturentscheidungen. Eine umfassende öffentliche Unterrichtung, nicht nur über das organisatorische "Wie", sondern auch das politische "Warum" der Reform, erschien offenbar entbehrlich.

Das neue Fähigkeitsprofil: Gründe und Gegengründe
Das neue Fähigkeitsprofil der Bundeswehr, so ihr ranghöchster General, muss drei Anforderungen gerecht werden: "dem verfassungsmäßigen Auftrag, dem erweiterten Aufgabenspektrum und unseren internationalen Verpflichtungen". Was wird darunter verstanden, was hat es damit auf sich? Der verfassungsmäßige Auftrag " Landesverteidigung und Beistandspflicht gegenüber unseren Verbündeten als Kernauftrag der deutschen Streitkräfte leiten sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ab." Das ist nur teilweise richtig. Die deutsche Verfassung beschränkt den Auftrag der Bundeswehr ausdrücklich auf die Landesverteidigung und definiert den Verteidigungsfall als Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet. Den neben der Landesverteidigung zweiten möglichen Einsatzfall der Bundeswehr, die Bündnisverteidigung, erwähnt das Grundgesetz nicht. Darin liegt einer der Gründe, warum nach dem Ende der deutschen Teilung bis zum Bundeswehr-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Sommer 1994 alle Bonner Parteien die Auffassung vertraten, die Verfassung bedürfe einer Ergänzung. Dazu kam es anschließend nicht mehr. So enthält bis heute das Grundgesetz unverändert das Verbot anderer Einsätze der Bundeswehr als den zur Landesverteidigung - abgesehen von Ausnahmeregelungen zur Hilfeleistung bei Naturkatastrophen und zur Abwendung eines inneren Notstandes.
 

Allerdings ist die Entwicklung inzwischen darüber hinweggegangen. Ohnehin hat sich das Bundesverfassungsgericht zu einer extrem weiten Auslegung der rechtlichen Zulässigkeit militärischer Auslandseinsätze verstanden. Überdies war das Prinzip der kollektiven Selbstverteidigung politisch nie strittig. Wer selbst Beistand erwartet, kann ihn seinen Verbündeten nicht vorenthalten. Die Bundesrepublik hat sich festgelegt und muss dazu stehen: Bündnisverteidigung ist ein Bestandteil des Auftrags deutscher Streitkräfte - wenngleich nicht von Verfassungsrang, so doch als Folge der vor fast einem halben Jahrhundert eingegangenen und stets hochgehaltenen vertraglichen Verpflichtung.

Andererseits: Gleicht die Sicherheitslage von einst auch nur im entferntesten der gegenwärtigen? Hat die NATO von heute noch einen ernstzunehmenden strategischen Gegner? Droht ihr aus irgendeiner Richtung ein massiver Angriff? Elementarer Realitätssinn nötigt einzuräumen: Die Gefahr hat sich "erheblich verringert", ist "auf absehbare Zeit unwahrscheinlich" bzw. "höchst unwahrscheinlich" geworden. Eingestandenermaßen geriet nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation die kollektive Verteidigung zum Einsatzfall mit der "geringsten Eintrittswahrscheinlichkeit". Warum markiert sie dann immer noch den Kernauftrag der Bundeswehr? Wie lässt sich kontrafaktisch behaupten, sie bestimme "in erster Linie" Umfang und Struktur der Streitkräfte, während gleichzeitig die Krisenbewältigung zum künftig wahrscheinlichsten Einsatzfall erklärt wird, auf den nahezu alle Planungsdaten der Strukturreform ersichtlich zulaufen? Und wieso erfordern Landes- und Bündnisverteidigung trotz minimaler Eintrittswahrscheinlichkeit weiterhin "den Einsatz der gesamten Streitkräfte sowie Nutzung aller verfügbaren Ressourcen"? Hier klafft die politische Begründungslücke sperrangelweit.

Im neuen Strategischen Konzept der NATO findet sich zwar ebensowenig eine in sich stimmige Begründung für die Ausweitung der Bündnisaufgaben in funktionaler wie geografischer Hinsicht, aber als Faktum zählt, dass die NATO sich dafür entschieden hat. Die Bundesrepublik war an der Entscheidungsbildung beteiligt, sie trägt den Beschluss mit und ist politisch daran gebunden. Seit zwei Jahren gehört sie einem Bündnis an, dessen Zweck de facto von der kollektiven Selbstverteidigung zur militärischen Intervention umgewidmet wurde. Sogenannte Krisenbewältigungseinsätze - neutraler: "nicht unter Artikel 5 fallende Operationen" - stellen die künftige Hauptaufgabe der Allianz dar. Hinweise auf Einsatzfälle, die in Betracht kommen, gibt das Strategiekonzept an zahlreichen Stellen: Risiken, wie z.B. die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen, könnten durch rechtzeitige Reaktion auf Distanz gehalten werden müssen, wenn nötig kurzfristig, weit vom Heimatstandort entfernt und jenseits der Bündnisgrenzen. Auch macht das Dokument deutlich, dass dazu ein UN-Mandat nicht als unerlässlich erachtet wird: Auswahl, Koordination und Kontrolle der Maßnahmen sollen "wie bei jeder Gewaltanwendung durch das Bündnis" den politischen Gremien der Allianz obliegen. Anders als ein Land, das einen militärischen Angriff unternimmt, handelt ein Land, das sich eines Angriffs erwehrt, im Einklang sowohl mit den Normen des Völkerrechts als auch der etablierten politischen Moral. Auffällig an den Einlassungen des deutschen Verteidigungsministeriums ist das Bemühen, den essentiellen Unterschied zwischen den beiden Formen des Waffengebrauchs möglichst zu verwischen. Offenbar um die hohe Legitimationskraft zu nutzen, die dem Verteidigungsbegriff innewohnt, wird die Bündnisverteidigung in eine enge Beziehung zu Vorgehensweisen gesetzt, die mit Verteidigung nichts zu tun haben. "Bündnisverteidigung", so heißt es, "kann sich auch aus Einsätzen im erweiterten Aufgabenspektrum ergeben." Dass regionale Krisen und Konflikte unversehens in militärische Bedrohungen von Bündnispartnern umschlagen, wird für möglich, wenn nicht wahrscheinlich gehalten. In diesem Fall käme die kollektive Verteidigung zum Tragen, "in der auch Deutschland seine Beistandsverpflichtung einzulösen hat". Der Phantasie des Lesers bleibt überlassen, sich ein solches Szenarium vorzustellen. Die Vermutung liegt nahe, das verharmlosende Argument soll bewaffnete Interventionen der Zukunft als Vorstufe oder Sonderfall der Bündnisverteidigung erscheinen lassen, dieser gleichzusetzen und nicht weniger legitim.

Die internationalen Verpflichtungen
Als Teil der internationalen Gemeinschaft und Mitglied der Vereinten Nationen unterliegt die Bundesrepublik den Pflichten des Völkerrechts. Die UN-Charta bestimmt unzweideutig, welche beiden Ausnahmen die Abweichung vom generellen Gewaltverbot zulassen: die Selbstverteidigung sowie die Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit. Die Charta regelt ebenso unmissverständlich, wer allein über das Vorliegen des Ausnahmefalls und über die dann zu treffenden Maßnahmen befinden kann: der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Einen Hinweis auf die Bindung der Bundesrepublik an die Normen des Völkerrechts sucht man unter dem Stichwort internationaler Verpflichtungen deutscher Sicherheitspolitik vergebens. Die faktische Verdrängung der Vereinten Nationen durch die westliche Allianz aus den Sicherheitsbeziehungen zumindest der nördlichen Hemisphäre hat die deutsche Politik ohne Vorbehalt nachvollzogen. Nicht die UNO, sondern die NATO bildet "das Fundament der Sicherheitsarchitektur im euro-atlantischen Raum", nicht der Weltorganisation, sondern dem Regionalbündnis kommt "die Schlüsselrolle bei der Krisenvorbeugung und Krisenbewältigung in Europa und an seiner Peripherie" zu. Der UNO bleibt die "Durchsetzung der Menschenrechte", als Sicherheitsorganisation hingegen ist sie ungeeignet, da überfordert. Ohnehin erfolge "der Einsatz von Streitkräften durch die NATO ... in Übereinstimmung mit den Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen". Aber die generellen Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen sind nicht dasselbe wie die konkreten Verfahrensregeln der Charta. Die Beachtung der einen schließt die Einhaltung der anderen keineswegs ein.

Die gleichzeitig mit dem neuen Strategischen Konzept im April 1999 verabschiedete Defence Capabilities Initiative der NATO sieht Investitionen in den fünf Bereichen Verlegefähigkeit, Durchhaltefähigkeit, Einsatzwirksamkeit, Überlebensfähigkeit und Führung vor. Dahinter verbergen sich Entwicklungs- und Beschaffungsprogramme für Langstreckentransportmittel, Luftbetankungskapazitäten, mobile Waffenplattformen, Abstandswaffen, Präzisionsmunition, Flugkörperabwehrsysteme und Satellitenaufklärungsmittel, vorgeblich zur Steigerung der Verteidigungsfähigkeit der Allianz, weit eher wohl aber zur Erhöhung ihrer Interventionsfähigkeit. Im Dezember 1999 hat der Europäische Rat der EU die European Headline Goals zum Aufbau einer europäischen Streitmacht von 60.000 Soldaten beschlossen, die bis 2003 einsatzbereit sein soll. Daran wird sich die Bundeswehr mit bis zu 18.000 Soldaten aller drei Teilstreitkräfte beteiligen.

Aus dem Planungsvorgaben der NATO und der Europäischen Union ergeben sich die nationalen Streitkräfteziele. Gleichsam aus dem Stand, d.h. ohne Mobilisierungs- und Aufwuchsmaßnahmen, will die Bundeswehr ausreichende Kräfte bereitstellen, um an entweder einer großen oder an zwei gleichzeitig ablaufenden mittleren Operationen teilnehmen zu können sowie jeweils zusätzlich an mehreren kleinen Operationen. Dabei gilt als große Operation ein Einsatz von bis zu 50.000 deutschen Soldaten für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr. Eine mittlere Operation bedeutet die Abordnung von bis zu 10.000 Soldaten über mehrere Jahre. Eine der beiden mittleren Operationen soll künftig auch durch die EU geführt werden können.

Bereits älteren Datums und Teil der geltenden Streitkräftestruktur der NATO sind die Dislozierungsfolien zur Kräfteverstärkung in so genannten bedrohten Randregionen Europas. Sie würden sowohl im Verteidigungsfall als auch bei der Vorbereitung von Krisenreaktionseinsätzen Anwendung finden. In vier dieser Szenarien ist die Bundeswehr eingebunden, nämlich in Nordnorwegen, in Polen, an den türkischen Meerengen samt der Ägäis sowie in Südanatolien entlang der türkischen Grenze zu Syrien und dem Irak. In Spannungslagen mit Eskalationsgefahr sollen deutsche Kontingente von jeweils bis zu rund 33.000 Soldaten in Einsatzverbänden verfügbar sein und kurzfristig verlegt werden können - also insgesamt 132.000 Soldaten im ungünstigsten, wenn auch nicht auszuschließenden Fall des gleichzeitigen Abrufs.

Die Bündnisstrategie gehört auf den Prüfstand
Die verfassungs- und völkerrechtlichen Grundlagen des Auftrags der Bundeswehr sind jedermann zugänglich. Wie die neue NATO-Strategie das erweiterte Aufgabenspektrum der Bündnisstreitkräfte begreift, kann herausfinden, wer durch die Schale verfremdender Rhetorik bis zu den Kernaussagen des Dokuments vordringt. Danach endet alle Transparenz. Die Umsetzung in Planungsziele, Streitkräfteplafonds, Kommandostrukturen, Einsatzszenarien, Rüstungsinvestitionsprogramme geschieht in Brüssel, wird dort verhandelt und dort verabschiedet. Als sakrosankte "internationale Verpflichtungen" gelangen sie in den nationalen Politikprozess zurück. Befragt, gar in Zweifel gezogen werden dürfen sie hier nicht mehr - die Bündnisfähigkeit stünde auf dem Spiel.

Dabei sind es gerade die Schnittstellen zwischen Verfassungsauftrag und Bündnisstrategie, zwischen Aufgabenspektrum und Bedarfserhebung, die auf den Prüfstand gehören. Das Friedensgebot des Grundgesetzes kontrastiert mit dem Interventionskonzept der Allianz. Der veranschlagte Mittelbedarf passt nicht zum Lagebild. Welcher der neuen Gefahren wäre denn mit einem Großeinsatz der Bundeswehr entgegenzutreten, der 50.000 deutsche Soldaten ein Jahr lang bindet, zusätzlich zu Aufgeboten proportionaler Größenordnung aus den anderen Bündnisstaaten? Existiert überhaupt eine realitätskonforme sicherheitspolitische Risikoanalyse?

Warum die stattlichen deutschen NATO-Verpflichtungen dennoch keine Abstriche dulden, erklärt die Bundeswehrspitze so: "Sie sind nicht einseitig veränderbar, ohne den zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmten Streitkräfteplanungsprozess empfindlich zu stören. Eine signifikante Reduzierung des deutschen Beitrages würde nicht nur vor dem Hintergrund der Jahrzehnte lang bewiesenen Bündnissolidariät gegenüber Deutschland Unverständnis unserer Partner hervorrufen, sondern auch dazu führen, dass die Umsetzung deutscher Sicherheitsinteressen aufgrund eines geminderten Einflusses schwieriger würde." Viel deutlicher lässt sich kaum ausdrücken, dass dem Umfang des Militärbeitrages der Bundesrepublik ein zwingendes militärisches Erfordernis nicht zugrundeliegt.

Militärische Krisenbewältigung als Bündnispflicht?
Hat sich die Bundesrepublik mit ihrer Zustimmung zur neuen Allianzstrategie unwiderruflich auf den Kurs militärischer Krisenbewältigung festgelegt? Ist Interventionspolitik jetzt Bündnispflicht? Mehrdeutigkeit und Offenheit für verschiedene Auslegungen kennzeichnen politische Programme generell. Das Strategiedokument der NATO macht davon keine Ausnahme. Zahlreiche Aussagen offenbaren den Kompromisscharakter. In Krisenlagen wird eine bestimmte Reaktionsart weder determiniert noch ausgeschlossen. Damit hängt es von den Mitgliedstaaten ab, zu entscheiden, welche Entwicklung sie fördern wollen. Keine Bündnispflicht entbindet sie von der eigenen Verantwortung. Nicht einmal die Kernbestimmung des NATO-Vertrages, das kollektive Beistandsgebot, schreibt den Mitgliedern die Wahl der Mittel vor. Um wieviel weniger sind sie dann gehalten, im Gleichschritt zu marschieren, wenn es um Vorhaben geht, die der Bündnisvertrag gar nicht vorsieht.

Sollte sich das Bündnis über das Gewaltverbot hinwegsetzen, wie im Kosovo-Krieg geschehen, missachtet es außer der Charta der Vereinten Nationen auch seine eigenen vertraglichen Grundlagen. Ein Mitglied, das daran mitwirkt, verstößt nicht nur gegen eine zentrale Vorschrift des internationalen Rechts, sondern zusätzlich gegen eine Vertragspflicht, die es jedem seiner Allianzpartner gegenüber eingegangen ist. Bündnissolidarität hieße dann, ein vertragswidriges Verhalten nicht zu unterstützten, sondern sich dem Bruch des Bündnisvertrages zu verweigern.

Bündnispflicht?
Hat sich die Bundesrepublik mit ihrer Zustimmung zur neuen Allianzstrategie unwiderruflich auf den Kurs militärischer Krisenbewältigung festgelegt? Ist Interventionspolitik jetzt Bündnispflicht? Mehrdeutigkeit und Offenheit für verschiedene Auslegungen kennzeichnen politische Programme generell. Das Strategiedokument der NATO macht davon keine Ausnahme. Zahlreiche Aussagen offenbaren den Kompromisscharakter. In Krisenlagen wird eine bestimmte Reaktionsart weder determiniert noch ausgeschlossen. Damit hängt es von den Mitgliedstaaten ab, zu entscheiden, welche Entwicklung sie fördern wollen. Keine Bündnispflicht entbindet sie von der eigenen Verantwortung. Nicht einmal die Kernbestimmung des NATO-Vertrages, das kollektive Beistandsgebot, schreibt den Mitgliedern die Wahl der Mittel vor. Um wieviel weniger sind sie dann gehalten, im Gleichschritt zu marschieren, wenn es um Vorhaben geht, die der Bündnisvertrag gar nicht vorsieht.

Sollte sich das Bündnis über das Gewaltverbot hinwegsetzen, wie im Kosovo-Krieg geschehen, missachtet es außer der Charta der Vereinten Nationen auch seine eigenen vertraglichen Grundlagen. Ein Mitglied, das daran mitwirkt, verstößt nicht nur gegen eine zentrale Vorschrift des internationalen Rechts, sondern zusätzlich gegen eine Vertragspflicht, die es jedem seiner Allianzpartner gegenüber eingegangen ist. Bündnissolidarität hieße dann, ein vertragswidriges Verhalten nicht zu unterstützten, sondern sich dem Bruch des Bündnisvertrages zu verweigern.

Der Beitrag wurde mit Genehmigung des Autors von der Redaktion gekürzt.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Reinhard Mutz ist stellvertretender Direktor des IFSH in Hamburg.