Armeeabschaffungsdiskussion in Schweden

Ein Absturz, der vieles veränderte

von Bruno Kaufmann

Ein Sturz ins Bodenlose: Nach dem Absturz des ersten Kampfflugzeu­ges JAS-39 Gripen im Stockholmer Zentrum werden in Schweden wie­der Fragen gestellt. Fragen nach dem Sinn und Unsinn des teuersten schwedischen Rüstungsprojekts. Fragen aber auch nach der künftigen Sicherheitspolitik des skandinavischen Landes. Zwei Junge Männer und eine Frau aus Uppsala, die das JAS-Projekt im Sommer auf sehr konkrete Art und Weise in Frage gestellt hatten, erhielten die Antwort um­gehend: anderthalb Jahre Knast und 0,4 Mio. Franken Buße.

 

Die drei 27jährigen aus der Universitätsstadt Uppsala sind Mitglieder der radikalen Friedensbewegung "Schwerte zu Pflugscharen". Ende Juni besuchte sie die SAAB-Fabrik in Linköping, wo das schwedische Kampfflugzeug JAS-39 Gripen produziert wird. Dort führte sie eine symbolische Abrüstungsaktie durch: Mit einem Hammer schlugen sie auf die Bombenabschußhalterung der Jets und verstreuten Blumensamen und Brotkrümel. Anschließend warteten sie auf das alarmierte Sicherheitspersonal das mit Kaffee und Brötchen empfangen wurde.

Es ist nicht das erste Mal, daß die sogenannte "Pflugscharen"-Bewegung mit konkreten Aktionen des zivilen Ungehorsams für Aufmerksamkeit sorgt. War die jüngste Aktion von früheren unter­scheidet, ist die Reaktion der Justiz Ende Juli verurteilte ein Gericht in Lin­köping die beiden Männer und die Frau zu je 1,5 Jahren Gefängnis und 0,4 Mio Franken Buße. Dabei stützte sich das Gericht bei der Festsetzung der Summe ausschließlich auf Angaben von SAAB. Geprüft wurde in dieser Hinsicht nichts. Das Urteil gegen die "Pflugscharen" markiert eine Verschärfung des gesell­schaftlichen Klimas in Schweden. Der Widerspruch blieb jedoch nicht aus. Angesehene Politikerlnnen und Juri­stlnnen haben das Linköpinger Urteil als "unverhältnismäßig" bezeichnet. Der Anwalt der Verurteilten hat den Fall ans Oberlandesgericht weitergezogen. Bis zum Entscheid dieser höheren Instanz bleiben zwei der drei in U-Haft. Der Dritte konnte das Gefängnis verlassen, nachdem seine Eltern im Anschluß an einen Besuch im Knast mit dem Auto tödlich verunfallt waren…

 

Der 8. August als Wendepunkt?

Die meisten Schweden halten wenig von immer mehr Milliarden für den militäri­schen Teil der Sicherheitspolitik: Rund 80 Prozent der 8,5 Mio. Schwedinnen und Schweden sind, so zeigen Mei­nungsumfragen, für Einsparungen bei der Armee. In diesem Jahr ist Schweden jedoch das einzige Land in Europa, das neben der Türkei sein Militärbudget

verstärkt hat. Ein gewichtiger Grund ist die Entwicklung und Herstellung eines eigenen Kampfjets, JAS-39 Gripen. Rund 60 Milliarden schwedische Kro­nen, umgerechnet 12 Milliarden Fran­ken, hat das Parlament in Stockholm da­für bereits bewilligt. Ein erster Prototyp des  "Greif' überschlug sich vor vier Jahren vor den TV-Kameras. Nun folgte am 8. August eine weitere eindrückliche Demonstration: Das erste serienmäßig hergestellte JAS-Flugzeug stürzte mitten in Stockholm vor mehreren hunderttau­send Zuschauern ab. Pilot und Technik hatten sich nicht mehr verstanden. Die Folge: JAS bleibt vorläufig am Boden. An einen Export des Kampfflugzeuges, von dem die Finanzierbarkeit des Rü­stungsprojektes völlig abhängt, ist nicht mehr zu denken. Interessierte Kreise halten jedoch an der Weiterentwicklung von JAS aus dem einfachen Grund fest, daß bereits zu viel, wie es heißt, an Pre­stige, Geld und politischer Glaubwür­digkeit in das Flugzeugprojekt investiert worden sei. Verantwortliche Militärs er­klärten kurz nach dem spektakulären Absturz - und nachdem klar war, daß auf wundersame Weise niemand ernst­haft verletzt worden war: "In der An­fangsphase eines Kampfflugzeugpro­jektes sind solche Pannen ganz natür­lich".

 

Armeeabschaffung auf der Tagesordnung

Für manche Schweden war der Sommer, in dem JAS vom Himmel verschwand, jedoch ein klarer Fingerzeig, daß nun die Zeit für eine grundsätzlichere frie­denspolitische Debatte gekommen ist: Die schwedische Neutralität ist von der bürgerlichen Regierung im Stillen be­reits auf die Abfallhalde der Geschichte gekarrt worden. Für den konservativen Ministerpräsidenten Carl Bildt ist die Sicherheitspolitik denn auch keine An­gelegenheit des - auf dem zu sichernden Territorium lebenden - Volkes, sondern für Experten. Und solche gibt es in Zei­ten, in denen das JAS-Projekt ins Bo­denlose abzustürzen droht, jede Menge. In der von Parteien dominierten schwe­dischen Demokratie kommt die jüngste Einladung zur Grundsatzdebatte von den Usos, mit rund 40.000  Mitgliedern der größte politische Jugendverband des Landes. An ihrem Kongreß Anfang Sommer stimmte eine deutliche Mehr­heit der Juso-Delegierten für die Ab­schaffung der Armee. Noch vor zehn Jahren hatte der Jugendverband die Ar­mee als "Bollwerk für die Verteidigung des Sozialismus" verstanden: Nun wird der Vorschlag in diesen Tagen auch beim Parteikongreß der Mutterpartei aufs Tapet kommen. Von der Nicht­-Frage ist die Armeeabschaffung damit innerhalb weniger Monate auf die Ta­gesordnung der - größten schwedischen Partei gesetzt worden. Wie die friedens­politische Debatte dort und in weiteren Kreisen der schwedischen Gesellschaft geführt wird, muß sich erst noch zeigen.

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Bruno Kaufmann arbeitet in Uppsala, Schweden für den Schwedischen Ver­söhnungsbund.