Impressionen zur diesjährigen Aktionärshauptversammlung

Entrüstet Daimler: Zwischen Peacebrezel und Jäger 90

von Paul Russmann

Brezel mit einem Peacezeichen - einge­wickelt in Servietten mit dem Aufdruck „Entrüstet Daimler“ - locken Passanten an den ORL/Pax-Christi-Stand in der Stuttgarter Innenstadt. Flugblätter und Sketche, gespielt von StudentInnen der Uni Hohenheim, weisen auf die Aktio­närshauptversammlung von Daimler-Benz hin, die vier Tage später in der Stuttgarter Schleyerhalle stattfindet.

Ein nachgebautes Modell der neuen „S-Klasse“ des Autokonzerns „führt“ durch die Fußgängerzone: Mit 400 PS, mit mehr als 20 Liter Spritverbrauch im Stadtverkehr, mit Kohlefilter gegen Ge­rüche von außen... Das ist der „ökologische Fortschritt“ von dem die Daimler-Manager sprechen.

Zukunft von gestern
Als „Zukunft von gestern“ wird die neue S-Klasse dagegen im „Alternativen Ge­schäftsbericht“ bewertet, den die Aktion „Entrüstet Daimler“ zusammen mit Daimler Betriebsröten als notwendige „Ergänzungen zum Geschäftsbericht 1990“ herausgegeben hat. Am Morgen des 26. Juni, einem warmen Sommertag, wird er an die 7000 Aktionäre verteilt, die in die Schleyerhalle strömen. Beim Schlangestehen vor den strengen Ein­gangskontrollen blättern einige der Ak­tionäre in der Broschüre, die im Out-fit den Daimler-Veröffentlichungen nach­geahmt wurde: Neben der neuen S-Klasse, den Entwicklungen im Betrieb und den Tochtergesellschaften, werden vor allem die Rüstungsexporte des Rü­stungsriesen kritisch unter die Lupe ge­nommen.

Die-In vor der Fußgängerbrücke
Auf ihrem Weg vom Parkplatz bzw. der Straßenbahnhaltestelle über die Fußgän­gerbrücke zur Schleyerhalle passieren die Aktionäre Särge, neben denen Akti­visten liegen, die die Toten des Golf-Krieges symbolisieren. Mitglieder der Gruppe „Lebenslaute“ begleiten das „Die-In“ mit Trauergesängen. „Der Ak­tionär Kuweit dankt Daimler-Benz für die Unterstützung des Iraks“ - die Transparentaufschrift ironisiert die trau­rige Tatsache, dass Daimler-Benz dazu beitrug, den Irak gegen die Bevölkerung des eigenen Aktionärs Kuweit (14 % des Aktienkapitals hält der Staat Ku­weit) mit Rüstungsgütern auszustatten.

Beim Rüstungsexport Klinken ge­putzt
„Uns muß niemand davon überzeugen, daß Gesetzesbrecher hinter Schloß und Riegel gehören, daß die moralische Qualifikation zur Führung eines Unter­nehmens verwirkt hat, wer Foltergene­rale mit Giftgas oder Anlagen zu dessen Herstellung beliefert. Uns muß auch niemand überzeugen, daß die Indu­strienationen verpflichtet sind, endlich eine gemeinsame und restriktive Ex­portpolitik für sensible Güter zu verein­baren“ bemerkte Edzard Reuter in sei­nem einstündigen Rechenschaftsbericht zum Thema Rüstungsexport. Und: „Im Unterschied zu anderen, die damals noch hinter dem Ofen gesessen oder auf anderen Veranstaltungen ihre besondere Moralität demonstriert haben, haben wir allerdings längst bei einer großen Zahl politisch Verantwortlicher die Klinken geputzt, um sie von der Notwendigkeit einer international konzertierten Export­politik zu überzeugen.“

Seine friedenspolitschen Überzeugun­gen kleidete der Vorstandsvorsitzende in folgende Worte: „Welchen Frieden meinen eigentlich unsere Kritiker? Ge­hen sie womöglich von der Vorstellung aus, alle Menschen dieser Welt, die Saddam Husseins und Josef Stalins ein­geschlossen, seien gut, edel und friedlich - und wenn sie das nicht sein soll­ten, dann wäre es trotzdem möglich, jegliche Spannungen zu verhindern, in­dem man den Beteiligten nicht nur keine Waffen, sondern auch keine zivile Tech­nologie verkauft, die möglicherweise militärisch nutzbar ist?

Und wollen vielleicht einige im Kern sogar darauf hinaus, die Herstellung von verteidigungstechnischen Gütern auch für die eigenen und für die ver­bündeten Streitkräfte für verwerflich zu erklären?

Frieden ohne militärische Unterstützung?
Das ist wohl eine der Lasten, die wir aus der deutschen Geschichte noch lange mit uns herumtragen müssen. Der völlig berechtigte Anspruch, eine Wie­derholung der Schrecken der Vergan­genheit zu vermeiden führt offenbar manche ... zu dem Fehlschluß, Freiheit brauche nicht verteidigt zu werden und Außenpolitik könne Frieden auch ohne militärische Unterstützung dauerhaft si­chern.

Ich gestehe Ihnen demgegenüber in al­lem Freimut, daß ich in einer Welt, die hinter einem solchen Verständnis von Frieden steht, nicht leben möchte: es wäre eine Welt, in der Freiheit und Menschenrechte jeden Tag neu aufs Spiel gesetzt, jeden Tag neu verantwor­tungslosen Hazardeuren und Abenteu­rern ausgeliefert wären.“

Ein Imbiß und zweiundvierzig Wort­beiträge
Nachdem der Daimler-Chef seine Aus­führungen beendete, öffnete der ko­stenlose Imbiß. Gleichzeitig begann die Aussprache. Während  der elfstündigen Versammlung gab es zweiundvierzig Wortbeiträge. Acht der Beiträge thema­tisierten die Produktion und den Export von Rüstungsgütern. Den „Kritischen Aktionören“ kamen dabei folgende Aspekte des Aktienrechtes positiv zu­gute:

  • Unabhängig davon, ob jemand eine oder zehntausend Aktien besitzt, hat jeder das gleiche (unbefristete) Rede­recht in der Hauptversammlung.
  • Form- und fristgerechte Gegenan­träge der „Kritischen Aktionöre“ die die Nichtentlastung des Vorstandes und Aufsichtsrates fordern, dürfen eine Begründung von 100 Worten  enthalten und müssen vom Daimler-Konzern schriftlich an die Aktionäre weitergeleitet werden. Vier von den sechs Gegenanträgen in diesem Jahr wurden von Mitgliedern der Aktion „Entrüstet Daimler“ gestellt.
  • Auf alle Fragen der Aktionäre wäh­rend der Versammlung muß der Vor­stand im Prinzip antworten.

Daimler für Jäger 90
In seinen Antworten auf Anfragen zur Rüstungsproduktion und -exporte betonte Edzard Reuter zunächst: „daß wir, alle Miteinander im Vorstand, Re­spekt vor Ihrer inneren Einstellung ha­ben. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir dies tolerant entgegennehmen und ernsthaft darauf eingehen wollen. Wir sind aber auf der anderen Seite auch Menschen in diesem Vorstand, ... die ihr eigenes Verständnis von Verantwortung haben. Er kündigte an, daß sich der Anteil der Rüstungsproduktion bei der „Deutschen Aerospace“ - (dem Dach der Rüstungsunternehmen im Daimler-Kon­zern) in diesem Jahr von 49 % auf 43 % verringern wird. Gleichzeitig hofft Reuter, daß der Jäger 90 nicht nur ent­wickelt, sondern auch noch in die Pro­duktion umgesetzt wird.

Spektakuläre Aktion
Gegen schärfere Exportbestimmungen für Güter, die sowohl zivil als auch mi­litärisch nutzbar sind, z. B. in den Na­hen Osten, wandte Reuter ein, daß eine solche Maßnahme „in keiner Weise ir­gendeinen Effekt auf die Minderung von Konflikten in irgend einem Teil der Welt (hat). Die würden genauso weiter­gehen. Es sind nämlich ... nicht die Mittel, die Konflikte erzeugen, sondern es sind Menschen...“ Last, but not least: Während die Aktionäre tagten, stiegen am frühen Nachmittag drei Mitglieder der Stuttgarter „EIRENE“-Gruppe auf den Turm des Hauptbahnhofes. Sie hängten über den Daimler-Stern ein rot-weißes Transparent mit der Aufschrift: „Entrüstet Daimler“. Danach ketteten sich die Protestierenden an der Brüstung des 56 Meter hohen Turmes an.

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