6x jährlich erscheint unser Magazin "FriedensForum" und berichtet über Aktionen und Themen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu. Sichere dir hier dein Probeheft zum Thema "Entspannungspolitik".
Militarisierung der Gesellschaft
Entspannung? Nein, militärische Resilienz, bis es kracht!
von„Macht Kriegstüchtigkeit glücklich?“ Das fragte jüngst Minna Alander (1), Forschungsassistentin der Stiftung Wissenschaft und Politik, und gab ein bemerkenswertes Statement zum Zustand der europäischen Zivilgesellschaft ab. Sie bezog sich nämlich auf ihr Heimatland Finnland, das letztes Jahr, wie die Tagesschau (20.3.2024) meldete, „zum siebten Mal in Folge als glücklichstes Land der Welt gekürt“ wurde. Dort gelte ein „pragmatischer Pessimismus“ als Weg zum Glück und dieser wiederum als treibende Kraft zur Steigerung des Landesverteidigungswillens. „Gleichzeitig ist die hohe Zufriedenheitsquote wichtig für die Kriegstüchtigkeit der finnischen Gesellschaft“, so Frau Alander; von dieser „Konsenskultur“ könnten andere Gesellschaften nur lernen...
Glücksgefühle bei der Vorbereitung darauf, zu töten und zu sterben – also alle Humanität aufzugeben fürs Vaterland bzw. für die Vorherrschaft des westlichen Staatenbundes unter Führung eines (so die verbreitete demokratische Expertise:) irren US-Faschisten? Ein Glückszustand, dass man Lebensbedingungen zerstören, die Umwelt verwüsten und sich nationalistische Feindbilder mit Herz, Hirn und Hand zu eigen zu machen darf, um dann im Heldentod den ultimativen Sinn des Lebens zu finden? Man könnte meinen, das wäre ein peinlicher Ausrutscher im politischen Diskurs. Leider passt es aber genau zu den Ansagen der europäischen Politik und zum Mainstream der Debatten, die Expert*innen und Verantwortliche hierzulande über das neue Erfordernis „Kriegstüchtigkeit“ führen.
Fehlt der Gesellschaft der Wille zum Krieg?
Michael Giss, Kommandeur des Landeskommandos Hamburg, steuert zur Debatte im Journal Ethik und Militär Erkenntnisse über die „deutlichen Zeichen“ bei, „dass wir nicht mehr im Frieden leben“. Eigentlich sind wir schon im Krieg, das gesellschaftliche Bewusstsein hinkt dem aber noch hinterher! Dazu betonen militärpolitische Expert*innen, dass die Zeitenwende nicht länger als Aufgabe rein militärischer Aufrüstung und sicherheitspolitischer Gefahrenabwehr verstanden werden darf. Vielmehr müssten die Gesellschaft und ihr Wille zur Kriegführung ernsthaft in den Blick genommen und zunächst einmal die Defizite benannt werden: „Im Bewusstsein der Wirtschaft und der breiten deutschen Bevölkerung ist diese Zeitenwende bis heute nicht angekommen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom Frühjahr 2024 wären beispielsweise nur 38 % der Befragten bereit, Deutschland im Ernstfall mit der Waffe zu verteidigen“. So ein weiterer europäischer Experte, der österreichische Militäranalyst Franz-Stefan Gady, in seinem Buch „Die Rückkehr des Krieges“. (2)
Die Gesellschaft soll demnach an einen Zustand militärischer Resilienz herangeführt werden. Dies umfasse eine Reihe von Notwendigkeiten, zu denen auch die Frage gehört, mit welcher Ernsthaftigkeit der Krieg als individuelle Herausforderung angenommen und subjektiv reflektiert wird, ob man also bereit ist, Menschen, nur weil sie eine andere Nationaluniform tragen, im Auftrag des Vaterlandes zu töten. Gefordert wird etwa von Exbundespräsident Gauck eine „geistige Zeitenwende“, die nicht nur in einer größeren Akzeptanz der Notwendigkeit militärischer Stärke zum Ausdruck kommen soll. Verlangt ist eine proaktive Haltung. Die Gesellschaft als Ganzes soll die russische Bedrohung, so Giss, „als Angriff auf ihr Wertesystem verstehen und erkennen, dass man in der Lage sein muss, Meinungsfreiheit und Liberalismus zur Not auch mit harten Mitteln zu verteidigen“. Dazu wird eine Reihe von Mängeln aufgelistet, die vom „fehlenden Wehrwillen“ bis hin zu dem noch immer schwelenden und nicht restlos überwundenen Pazifismus als Grundhaltung in Teilen der Bevölkerung reichen.
Zusammengefasst ergibt dies das Bild einer sich zwar eigentlich im Krieg befindlichen, im Bewusstsein aber immer noch dem Frieden anhängenden Gesellschaft, deren Neigung zur Zivilität dringender Abhilfe bedarf. „Der tiefere Grund für die Misere ist das Mindset einer zutiefst zivilen Gesellschaft, in der an allen möglichen Stellen harte Interessenkonflikte entstehen und die Bereitschaft, über den Rand der eigenen Brillengläser zu gucken, dramatisch abnimmt. Insofern zeigen die Mängel bei der Bundeswehr auch die objektiven Grenzen von Politik“. So ein einschlägiger Kommentar beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, 8.2.2024).
Die Unfähigkeit, „den Krieg im Frieden zu denken, durchdringt jedenfalls nicht nur die heutige Bundeswehr, sondern die deutsche Gesellschaft als Ganzes“ (Gady), lautet der aufrüttelnde Befund. Und damit ist nicht nur die Bereitschaft gemeint, sich auf Zehntausende verwundeter und toter deutscher Soldat*innen in den ersten Kriegstagen und Wochen, auf überfüllte Krankenhäuser und ein totales Verkehrschaos einzustellen. Der Militäranalyst nimmt vor allem eine subjektive Haltung ins Visier, die daran festhält, „dass Krieg ein schmutziges Geschäft ist, das weit unter dem moralischen und intellektuellen Entwicklungsstand der Deutschen liegt und das man besser anderen überlassen sollte“.
Diesen Zustand gelte es zu überwinden, so der Expert*innen-Konsens. Notwendig sei dazu ein Verständnis von Kriegstüchtigkeit, das deren Vieldimensionalität in den Blick nimmt und auch die ethisch gebotene Notwendigkeit zur Kriegführung in Erinnerung ruft. Zur subjektiven Seite der „semantischen Bedeutung“ des Begriffs der Kriegstüchtigkeit zählen demnach die innere Haltung („Mindset“) und der Wille, den Krieg zu denken. Kriegstüchtigkeit könne aber kein Selbstzweck sein, so eine weitere, scheinbar relativierende Expertise. Sie müsse vielmehr in einem größeren ethischen Zusammenhang gedacht werden. Denn das Aufrüstungsprogramm diene einer höheren ethischen Ordnung, der „Kriegsverhütung“, so der theologische Militärexperte Paul Silas Peterson von der Universität Tübingen. Diese ethische Rückbindung verspricht jedoch keineswegs, dass Kriege unterbleiben, im Gegenteil. Der „Abschreckung“ durch militärische Stärke gelingt garantiert keine Kapitulation des Gegners, also heißt es, wie Sicherheitsfachmann Gady weiß, alles dafür zu tun, „den militärischen Konflikt zu gewinnen, auch wenn solche Formulierungen für die meisten, die heute in Europa leben, martialisch, frevlerisch und rückwärtsgewandt klingen mögen“.
Die Idee, die es sich anzueignen gelte, ist demnach die Ausrichtung der gesamten Gesellschaft auf die Notwendigkeit der Kriegführung. Und das ist keine Idee, die allein Glücksforscher und ethisch beschlagene Theologen beschäftigt, sondern eine Aufgabe, der sich der Staat, der diese Kriege führen will, konkret stellt. Ein Baustein, um dieser Idee materielle Kraft zu verleihen, ist der Operationsplan Deutschland, der die Zivilgesellschaft und ihre patriotischen Aufgaben zur Vaterlandsverteidigung ins Auge fasst und die gesellschaftlich-defizitäre Seite der Herstellung von Kriegstüchtigkeit zu korrigieren versucht.
OPLAN Deutschland: Militarisierung der Zivilgesellschaft
Das Ziel des neuen OPLAN ist ein Gesamtverteidigungskonzept für die „Drehscheibe Deutschland“, bei dem der Heimatschutz im Vordergrund steht, der als ein Bestandteil von neuen Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung der Bundesrepublik vorgesehen ist und 2025 mit einer eigenen Division ausgestattet werden soll. Die Bundeswehr fasst diesen neuen Verteidigungsplan, der sich noch in der Ausarbeitung befindet, wie folgt zusammen: „In ihm werden Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten festgelegt, um gemeinsam mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren Deutschland, dessen territoriale Integrität und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zu verteidigen sowie den Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke sicherzustellen“ (www.bundeswehr.de/). Der OPLAN DEU bündelt die zentralen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen. Er legt beispielsweise fest, welche Verkehrswege für den Transport genutzt werden sollen, welche Brücken in Betracht kommen und wo Rastplätze einzuplanen und zu schützen sind. Die Sicherung dieser Verkehrswege muss eng mit der Polizei und anderen zivilen Institutionen abgestimmt werden.
Das Szenario, von dem die zivilgesellschaftliche Seite der Kriegsvorbereitung ausgeht, unterstreicht die zentrale Rolle, die sich Deutschland in dem absehbaren Krieg mit Russland zumisst: Demnach wäre Deutschland das wichtigste Aufmarschgebiet für NATO-Truppen und zudem Dreh- und Angelpunkt für Nachschub, Versorgung und Verstärkung der NATO-Truppen an der Ostflanke. Die Einzelheiten, die das militärische Potenzial, die Infrastruktur oder die Wirtschaft betreffen, listet der OPLAN auf.
Im Rahmen des Bevölkerungsschutzes spielen die zivilen Hilfsorganisationen dann eine zentrale Rolle. Die fünf dort mitwirkenden Hilfsorganisationen ASB, DRK, DLRG, Johanniter-Unfall-Hilfe und Malteser Hilfsdienst wollen ihre im Operationsplan formulierte patriotische Pflicht erfüllen, fordern aber mit Blick auf die Zeitenwende eine der nationalen Kraftanstrengung entsprechende Finanzierung. Der Operationsplan fundamentiert jedenfalls die zivilgesellschaftliche Seite des Krieges mit Russland, der mit Blick auf Dimensionen wie Cyber-Attacken, hybride Kriegsführung, Krieg im Weltraum etc. bereits als begonnen definiert wird.
Er versteht sich als Instrument der Herbeiführung einer gesamtgesellschaftlichen Kultur, in der der Krieg akzeptiert und als Teil des gesellschaftlichen Lebens aktiv (mit-)gestaltet wird. Es gehe darum, zu begreifen, „dass militärische Gewalt überhaupt zum Wohle der Welt und zur Förderung legitimer nationaler Interessen Deutschland eingesetzt werden sollte“ (Gady). Deutlicher kann eine Ansage zur Militarisierung der Gesellschaft nicht ausfallen – und damit auch die Klarstellung, was etwa Kriegsdienstverweigerer im Ernstfall zu erwarten haben.
Anmerkungen:
- (1) „Macht Kriegstüchtigkeit glücklich?“, in: Ethik und Militär – Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik, Nr. 2, 2024, www.ethikundmilitaer.de. Im Folgenden wird, sofern nicht anders vermerkt, aus diesem Online-Journal zitiert. Weiterführende Literaturhinweise finden sich in dem Essay „Den Krieg mitgestalten“ von Norbert Wohlfahrt, in: Junge Welt, 30.1.2025.
- (2) Untertitel: „Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen“, Köln 2024. Gady ist Mitarbeiter des renommierten Internationalen Instituts für strategische Studien (IISS) in London. Ole Nymoen nennt in seiner neuen Veröffentlichung „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ (2025) Zahlen anderer Umfragen, die noch niedriger liegen. Wie auch immer: Je niedriger diese Bereitschaft, desto mehr Nachdruck erfährt das Aufrüstungsprojekt.
Johannes Schillo ist Sozialwissenschaftler und Journalist, war als Redakteur in der außerschulischen Bildung tätig und hat zuletzt mit Norbert Wohlfahrt „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“ veröffentlicht.