Erfahrungen mit der Verfahrensführung nach einer Zivilen Aktion

von Andreas Winderl

In dieser Zeit wird der Rechts- und Sozialstaat weltweit demontiert wie nie zuvor. In einem demokratischen Rechststaat ist es die Aufgabe des Rechtes selbst, genau diese Demontage zu verhindern und ebenso Verfassungsbrüche durch die Regierung zu rügen. Leider ist dies bisher nicht geschehen. Im Gegenteil.

Im Moment sieht es so aus, als ob von Seiten der Staatsanwaltschaft die Verurteilungen der notwendig gewordenen rechtskonformen zivilen Aktionen verschärft werden sollen. Einige RichterInnen ziehen hierbei bedenkenlos mit.

Die Zivilgesellschaft ist nun verstärkt gefordert, sich auf allen Ebenen einzubringen. Einige Anmerkungen zu Erfahrungen mit den resist-Prozessen.

Akteneinsicht und Prozesstraining: Einlass, Fragerecht und Beweisanträge
Für die zu Beginn noch hoffnungsvoll erwartete `Prozesslawine` hatten wir in München ein `Rollenspiel vor Gericht` mit erfahrenen Aktivisten aus der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung über die Pressehütte in Mutlangen organisiert, um die vielen Interessierten mit dem Prozedere des politischen Prozesses vertraut zumachen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher uns von Verfassungs wegen zusteht, erzeugt auch ein Beweisantrags- sowie Fragerecht vor Gericht. Um dieses adäquat wahrnehmen zu können ist natürlich auch ein Akteneinsichtsrecht unabdingbar. Gemäss § 147 Abs. 7 StPO steht seit 1999 auch dem Beschuldigten ohne Anwalt ein normiertes "Recht [welches] seiner Funktion nach und auch begrifflich der Akteneinsicht über den Verteidiger gleichsteht" zu. Nach einem Hinweis auf diesen Paragraphen erhielt ich von Richter Schott die Akte zugesendet.

Vor Gericht: Wir versuchen anzuklagen
Auch ohne Anwalt gut vorbereitet erschien ich optimistisch am 15.3.2004 vor dem Amtsgericht. Unterstützt durch viele Freunde in einem randvollen Gerichtssaal begann die Tragödie: Fragen an die Staatsanwältin Frau Niesen, nachdem sie die Anklage mit den drei Einheitsbausteinen verlesen hatte, gingen ins Leere. Wie sie etwas unbeholfen zugab, hatte sie weder vor der Verhandlung die Akte gesehen noch in der Verhandlung die Akte dabei. Der geladene Polizeibeamte war nicht, wie von mir bei Richter Schott schriftlich erbeten und auch mündlich zugesagt, einer der Polizeibeamten, welche mit uns einvernehmlich verhandelt hatten. Meine Befragung des in nahezu jedem Prozess in den Zeugenstand gerufenen PHK Sommerfeld, Leiter der Dokumentationsgrupppe (Beweissicherung u. Festnahmeeinheit BFE 48) ergab nur, dass er sich an mich oder eine Verhandlung nicht erinnert. Er sei erst später an den Ort des Geschehens gekommen. Er hat nur Videoaufnahmen der gestauten Autos und der sitzenden Demonstranten gemacht. Diese Aufnahmen waren ohne Zeitpfeil geschnitten und zeigten in langen Passagen eine andere Gruppe an einem anderen Ort. Wer der entscheidende höhere Beamte war, welcher die Verhandlung abbrach und dabei auch schon vorab die Ingewahrsamnahme ankündigte, wusste er leider nicht. Vertiefende Unterlagen für Richter Schott und die Staatsanwaltschaft hatte ich vorbereitet, um die eigentlich entscheidenden Punkte a) rechtfertigender Notstand für gewaltfreien Zivilen Ungehorsam sowie b) die verhinderte Fortsetzung einer rechtskonformen zivilen Aktion auf dem Weg zum Tor 31 der US-Airbase im Gespräch herauszuarbeiten. Der Versuch, diese Punkte nach dem Vortrag meines Einlasses zu entwickeln, verlief sich in unsäglichen Wortwechseln über Details und Fragen von Richter Schott etwa in der Art, warum ich nicht zu Hause geblieben sei. Da eine geordnete fachliche Diskussion für mich und die Anwesenden nicht mehr gegeben schien, sah ich mich nun `genötigt`, die Punkte nach und nach als Beweisanträge explizit vor Gericht einzubringen. Sie wurden alle lapidar (meist als wahr unterstellt) als Beweisanträge abgelehnt. Ein zwischen Staatsanwaltschaft, Richter und Verteidiger des dritten Angeklagten abgesprochenes Einstellungangebot nach Schuldgeständnis lehnten NN und ich ab. Damit hatte Richter Schott anscheinend nicht gerechnet. Nun wurde seine Verhandlungsführung teilweise grotesk, und deshalb verließen gegen Ende der Verhandlung auch einige Zuschauer erbost und unter Protest den Raum. Das Urteil lautete 15 Tagessätze wg. gemeinschaftlicher, vorsätzlicher Nötigung von unbeteiligten Verkehrsteilnehmern, welche wir an der ungehinderten Weiterfahrt gehindert hätten .

Berufungsverhandlung: Erneuter Versuch
Obwohl die Atmospähre in der zweiten Instanz am 15.11.2004 vor dem Landgericht professioneller und Richter Bach auch souveräner schien, versteifte sich auch hier bald die Diskussion im Kern nur um die im Video hörbare Auflösungsverfügung, welche ich auch nicht weiter bestritt. Meine Hinweise, vorhergehende Abdrängung und Kreuzungspunkt-Festlegung durch die Polizei und nicht durch uns, sowie die Auflösung wäre nur in die Richtung möglich gewesen, in die wir sowieso wollten und lt. höherem Polizeioffizier nicht durften, griffen nicht. Der wieder geladene PHK Sommerfeld hatte das Band, welches er lt. Richter Bach hätte mitbringen sollen, vergessen. Das im Hause besorgte war geschnitten mit Zeitpfeil, zeigte aber wieder nur die Endphase.

PHK Sommerfeld gab auf mein Nachfragen an, es hätte noch eine weitere Videoaufnahme gegeben, näheres dazu wisse er aber nicht. Mein Redeskript mit Punkten zum rechtfertigendem Notstand und zur Zivilen Aktion hatte ich auf Anraten meines Anwaltes nur auszugsweise und verkürzt vorgetragen, da Richter und Beisitzer zeitlich überfordert schienen und die `Öffentlichkeit` nur aus einer handvoll, größtenteils selbst in Verfahren eingebundenen Personen bestand und -- trotz Presseankündigung -- wieder keine Presse erschienen war. Die geplante öffentliche Diskussion über Rechte und Pflichten bei Notstand durch vielfach juristisch fundiert belegtem Verfassungsbruch kam nicht zustande. Das vorbereitete Papier wurde jedoch, wie angekündigt, die Verhandlung begleitend jeweils dem Richter, den BeisitzerInnen sowie dem Staatsanwalt übergeben.

Freispruch wg. Nötigung aber kein rechtfertigender Notstand
Wir wurden von Richter Bach zwar bzgl. der Nötigung freigesprochen, es wurde uns aber wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetzt eine Geldbuße auferlegt, da der rechtfertigende Notstand gemäß § 16 OWiG nicht gegeben wäre. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft, wie in allen anderen Verfahren auch, Revision eingelegt. Sie strebt die Verurteilung wg. verwerflicher Gewaltanwendung an.

Wir haben vorsorglich ebenfalls Revision eingelegt. Ein Verstoß des Versammlungsgesetzes liegt u.a. deshalb nicht vor, da die Polizei den Ort durch Abdrängung selbst festgelegt hatte und uns am weitergehen hinderte, wir somit dort, begleitet von deeskalierenden Verhandlungen spontan demonstriert haben, bis wir in Gewahrsam genommen wurden. Unsere Revision wird `eingefroren`, bis das OLG in derselben Sache gegen NN u.a. entschieden hat.

Gemeinsames Weitergehen
Viele `Rechtsgelehrte` haben in der Öffentlichkeit den verfassungsrechtlichen Notstand ausgerufen, da unsere Regierung -- verfassungswidrig -- durch logistische Unterstützung den Aufmarsch zu diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der US-Amerikaner ermöglicht hat.

Teile der Gesellschaft sahen sich an vielen Orten zum gewaltfreien Zivilen Ungehorsam verpflichtet. Vor Gericht sollten ihnen nun juristische Sachverständige beistehen, um gemeinsam die Frage nach Rechten und Pflichten der Bürger bei `Notstand durch Verfassungsbruch` professionell anzugehen und eine klare Rechtsgrundlage zu schaffen. Nur dann ist die Zivilgesellschaft in der Lage, innerhalb eines sozialen, demokratischen Rechtsraumes weiter Einfluss auf zutiefst bedenkliche Prozesse zu nehmen.
 

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