Daniel Berrigan

Erinnerung an den Antikriegs-Priester

von Stephen Zunes
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Der Jesuitenpater Daniel Berrigan, der Ende April 2016 verstorben ist, forderte nicht nur das Gewissen der Römisch-Katholischen Kirche und der Nation in Bezug auf die Gefahren des Militarismus heraus, sondern auch aus der Notwendigkeit, der christlichen Lehre der Gewaltfreiheit zu folgen. Diejenigen, die keinen Krieg wollen, forderte er heraus, den Krieg durch direkte Aktionen zu stoppen.

Berrigan war ein gläubiger Katholik in der größtenteils weltlich eingestellten Antikriegs-Linken. Er lehnte Abtreibung als eine Form von Gewalt ab, während die Mehrheit seiner MitstreiterInnen in der Friedensbewegung AbtreibungsbefürworterInnen waren. Er blieb Priester, während viele seiner Zeitgenossen, darunter auch sein Bruder Philip, das Priesterdasein wegen einer Heirat oder über Glaubensstreitigkeiten verließen. Berrigan wurde nicht durch die Nachfolge einer bestimmten Ideologie geleitet, sondern durch einen tiefen Glauben an Gott und das gewaltfreie Zeugnis von Jesus Christus.

Seine Aktionen führten dazu, dass er zu einem der bekanntesten Priester des 20. Jahrhunderts wurde. Dennoch hatte er nicht den Wunsch, dass Menschen ihm nacheifern sollten. Er wollte nur, dass Menschen der christlichen Lehre folgten.
Wie viele AmerikanerInnen, lernte ich die Berrigan-Brüder 1968 kennen, als sie und sieben andere katholische AktivistInnen in das Wehrpflichtbüro in Catonsville eindrangen, Hunderte von Akten von Wehrpflichtigen ergriffen und sie mit selbst hergestelltem Napalm – das zu dem Zeitpunkt auf vietnamesische Dörfer abgeworfen wurde – auf dem Parkplatz verbrannten.

In einem Statement nach der Aktion erklärte die Gruppe, die als die „Neun von Catonsville“ bekannt wurde: „Wir konfrontieren die Römisch-Katholische Kirche, andere Kirchen und die Synagogen Amerikas mit ihrem Schweigen und ihrer Feigheit angesichts der Verbrechen unseres Landes. Wir sind überzeugt, dass die religiöse Bürokratie in diesem Land rassistisch ist, ein Komplize in diesem Krieg und feindlich gegenüber den Armen.“

Traditionell waren PazifistInnen der Überzeugung, dass gewaltfreie Aktion Gewalt gegen Eigentum vermeiden solle. Dorothy Day zum Beispiel war der Ansicht, dass das Eintreten der Berrigans für die Zerstörung von Sachen und andere militante Taktiken eine gefährliche theologische Schwelle überschritten.

Aber die Berrigans waren der festen Ansicht, dass bestimmte Sachen – wie atomare Sprengköpfe und Wehrpflichtakten – kein Recht hatten, zu existieren und dass es die Verantwortung von PazifistInnen war, sie zu zerstören, solange dabei keine Menschen zu Schaden kommen. Ihre Aktionen sollten schockieren, denn das amerikanische Volk musste auf die enorme Gefahr aufmerksam gemacht werden, dass ihm vom Militarismus seines Landes drohte.

Während die meisten AktivistInnen jener Ära, die für gewaltfreien Widerstand zu Haftstrafen verurteilt worden, sich freiwillig den Behörden stellten, gingen Daniel und sein Bruder Philip in den Untergrund, tauchten unangekündigt bei Demonstrationen oder Gottesdiensten auf, und verschwanden dann wieder, bevor sie verhaftet werden konnten. Sie wurden populäre Helden, erschienen auf den Covern bundesweiter Zeitschriften und waren die ersten Priester, die auf der Liste der zehn meistgesuchten Personen des FBIs standen.

Gleichzeitig wichen sie nie von ihrer Ablehnung von Gewalt ab, besonders als die Weather-Untergrundbewegung und andere extremistische Gruppen von KriegsgegnerInnen anfingen, Bomben zu legen. In der „Village Voice“ schrieb Berrigan: „Der Tod eines einzigen Menschens ist ein zu hoher Preis für die Rechtfertigung gleich welchen Prinzips, wie heilig dies auch sein mag.“

Schon Anfang der frühen 1970er Jahre sprach er sich gegen die israelische Besatzung und die Misshandlung der PalästinenserInnen aus, zu einer Zeit, in der viele in der Friedensbewegung dieses hoch umstrittene Thema mieden. Er stellte fest, dass Israel, wie die Vereinigten Staaten und Südafrika, „eine biblische Rechtfertigung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit suchten“. Er drückte sein Bedauern aus, dass „anstelle der jüdischen prophetischen Vision“ Israel einen „Orwellschen Alptraum von Doppelzüngigkeit, Rassismus und fünftklassigem soziologischem Jargon“ in die Welt gesetzt habe, „um seine rassische Überlegenheit gegenüber dem Volk, das es unterworfen hat, zu beweisen“.

Seine späteren Festnahmen, bei denen es zumeist um das Eindringen in Atomwaffenbasen und –fabriken ging und die manchmal die Beschädigung von Komponenten von Sprengköpfen und Raketen beinhalteten, führten zu vielen Monaten Gefängnis, ohne viel Öffentlichkeitswirksamkeit oder erkennbares Wachstum der Bewegung. Aber strategische Effektivität war ihm nicht wirklich wichtig. Für Berrigan ging es um einen moralischen Imperativ. Als ein Reporter feststellte, dass er nicht so viel Aufmerksamkeit wie früher auf sich zog, antwortete er: „Ich denke nicht, dass wir jemals das Gefühl hatten, dass unser Gewissen an das andere Ende eines Fernsehkabels gekoppelt sei“.

Und doch hatte Berrigans Zeugnis, obwohl ihn manche beschuldigten, mehr aus einer „katholischen Schuld“ zu handeln als eine Bewegung aufzubauen, einen tiefgreifenden Einfluss. Es ermutigte die breitere Antikriegsbewegung, die vor Cantonsville vor allem auf Straßenproteste konzentriert war, zu direkter gewaltfreier Aktion und anderen Formen aktiven Widerstands zu greifen. Als ein Priester in den mittleren Jahren brachten seine Aktionen den GegnerInnen des Vietnamkriegs, die oft als zornige, junge, langhaarige Unangepasste gesehen wurden, größere Glaubhaftigkeit.
Und er spielte zweifellos eine Rolle dabei, die Katholische Kirche zu einem aktiveren Zeugnis für Frieden und Gerechtigkeit zu bewegen. Die Kirche sprach sich schließlich gegen den Vietnamkrieg aus, erklärte Atomwaffen für illegitim und kritisierte die israelische Besetzung und Unterdrückung Palästinas.

Nur wenige Tage vor seinem Tod fand im Vatikan ein historisches Treffen statt, das Fragen bezüglich der Doktrin des Gerechten Kriegs aufwarf und sich mit gewaltfreien Alternativen befasste. Wäre dies jemals möglich gewesen ohne solche prophetischen Stimmen wie die von Daniel Berrigan?

Links zu seinen Artikeln können hier gefunden werden: www.stephenzunes.org.
Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Stephen Zunes ist Professor für Politik und Koordinator der Nahost-Studien an der Universität San Francisco. Er ist als Politikanalytiker für das Foreign Policy in Focus - Projekt des Institutes for Policy Studies tätig, assoziierter Herausgeber der Peace Review, und Mitvorsitzender des akademischen Beirats des International Center on Nonviolent Conflict.