Französische und britische Atomwaffen verhindern eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik

von Gerd Greune

Frankreich und Großbritannien, die beiden Atommächte in der Europäischen Union, haben nach dem Ende des Kalten Krieges begonnen, ihre Atomwaffenarsenale zu reformieren.

Dabei sank in Großbritannien der Bestand an einsatzfähigen Atomwaffen auf 30% des ursprünglichen Arsenals. 1998 wurden die Tornado-Jagdbomber vom Fliegerhorst Brüggen nach Marham und Lossiemouth in Großbritannien verlegt. 1997 war bereits die Atomwaffenanlage in Cardiff nach 36-jährigem Betrieb geschlossen worden. Atomsprengköpfe werden jetzt nur noch im 80 km westlich von London gelegenen Rüstungsfabrik Aldemaston zusammengebaut. Nach Angaben des Bulletin of the Atomic Scientists verfügt Großbritannien heute über 200 einsatzbereite Atomsprengköpfe.

Frankreich hat seine Mittelstreckenraketen und Silos auf dem Plateau de Albion beseitigt. Heute werde 350 Atomsprengköpfe von Mirage-Bombern, Interkontinentalraketen auf U-Booten und von Super-Etendard Flugzeugen mit Luft-Boden-Raketen an Bord des Flugzeugträgers Charles de Gaulle einsatzbereit gehalten. Frankreich stellt auch kein waffenfähiges Plutonium oder hochangereichertes Uran mehr her. Atomare Wiederaufbereitung in Marcoule und Uran-Anreicherung in Pierrelatte gibt es nicht mehr. Bis 2008 wird eine neue Flugzeuggeneration und U-Boot-Flotte in Dienst gestellt. Deren Atomraketen werden dann eine Reichweite von bis zu 10.000 km haben.

Atomwaffen spalten die Europäische Union
1998 begrüßte das Europäische Parlament in einer Resolution eine gemeinsame Erklärung der Außenminister von Brasilien, Ägypten, Irland, Mexiko, Neuseeland, Slowenien, Südafrika und Schweden "Auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt: Erfordernisse für eine neue Agenda" vom 9. Juni des Jahres. Die Staatengruppe gab sich den Namen New Agenda Coalition (NAC) und hatte sich zum Ziel gesetzt, die Verpflichtungen der Atommächte aus dem Atomwaffensperrvertrag auf der NPT Konferenz 2000 durchzusetzen. Die Atommächte konnten dies erwartungsgemäß verhindern.

2004 legte die New Agenda Koalition in der UN Vollversammlung erneut einen Resolutionsentwurf vor, der von 135 UN Mitgliedsstaaten angenommen wurde gegen 5 Stimmen (Großbritannien, USA, Lettland, Israel, Frankreich) bei 25 Enthaltungen. In der Resolution wird die vollständige Erfüllung der atomaren Abrüstungsverpflichtungen und Nichtweiterverbreitung eingefordert und zu einer beschleunigten Umsetzung der Maßnahmen, die auf der NPT Konferenz 2000 beschlossen worden waren, aufgefordert. Außerdem rief die Resolution die Atommächte dazu auf, weitere Schritte zur Verringerung ihrer nicht strategischen Atomwaffenarsenale zu unternehmen und keine neuen Atomwaffentypen zu entwickeln.

Zu den EU Mitgliedsländern, die für die Annahme dieser Resolution votierten, gehören: Belgien, Deutschland, die Niederlande, Luxemburg, Österreich, Finnland, Schweden, Litauen, Malta und Zypern. Drei votierten dagegen und alle übrigen enthielten sich.

Das heißt: 10 von 25 EU Mitgliedsländern votieren gegen die beiden EU Atommächte, 14 enthalten sich. Die EU ist in der Atomwaffenfrage tief gespalten.

EU Militärstrategie - was ist das?
Während Frankreich und Großbritannien keinen Zweifel daran lassen, dass ihre militärischen Optionen auch in der Zukunft die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen umfassen werden, fordern sie von den übrigen EU Mitgliedsländern, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu verwirklichen und setzten in dem zur Ratifizierung anstehenden EU-Verfassungsentwurf durch, dass die Mitgliedsländer sich verpflichten müssen, "Schritt für Schritt ihre militärischen Kapazitäten zu verbessern" und dafür eine gemeinsame Rüstungsagentur einzusetzen. EU interne Beistandsverpflichtungen beschränken sich auf jene Länder, die an gemeinsamen Militäroperationen teilnehmen. Das Europäische Parlament hat kein Mitspracherecht und wird lediglich regelmäßig konsultiert. (vgl. Artikel 40 der EU Verfassung)

Eine gemeinsame Militärstrategie für alle Mitgliedsländer der Europäischen Union, die alle bestehenden Militäreinrichtungen in der Europäischen Union umfasst, ist nicht in Sicht. Nahziel der europäischen Militärpolitik sind gemeinsame Einsätze nationaler Militärkontingente in Krisengebieten, d.h. zur Intervention und Durchsetzung von internationalem Recht.

Das Europäische Parlament hat wiederholt festgestellt, dass die Europäische Union und ihre Mitglieder nur an Militäraktionen teilnehmen sollen, die von der UN Charta gedeckt sind, und sich gegen den Irakkrieg ausgesprochen. Am Krieg im Irak haben sich dennoch Streitkräfte von 12 EU Mitgliedsstaaten beteiligt.

Die EU ist also insgesamt weit davon entfernt, eine gemeinsame Militärstrategie zu entwickeln oder gar zu verwirklichen. Von einer europäischen Armee kann in absehbarer Zukunft keine Rede sein.

Die Aufforderung zur Aufrüstung in der neuen EU Verfassung widerspricht indes dem Geist der EU Verträge seit 1958, Frieden durch Zusammenarbeit in Europa und in der Welt zu schaffen und ist eigentlich "verfassungwidrig".

Irland und Schweden als Motor für atomare Abrüstung
Atomwaffen aus Europa zu entfernen reicht als Forderung heute nicht mehr aus. Die meisten "europäischen" Atomwaffen und Trägersysteme sind weltweit unterwegs auf Flugzeugträgern und U-Booten (siehe oben). Um die Europäische Union atomwaffenfrei zu bekommen, müssen die Mitgliedsländer zum Atomwaffenverzicht gezwungen werden, bevor es zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kommt.

Eine Mehrheit für die Initiativen der New Agenda Koalition zu finden, ist nicht einfach. Aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt wegen ihrer NATO-Interessen und US-amerikanischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind die neuen EU-Mitgliedsländer bisher überwiegend nicht an gemeinsamen atomaren Abrüstungsinitiativen interessiert und enthalten sich im besten Falle (Estland, Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Slowenien, Ungarn).

Frankreich bereitet sich auf eine globalere atomare Rolle vor. Großbritannien hängt am atomaren Tropf der USA und entwickelt in US-amerikanischen Labors munter neue Atomwaffentypen.

Bleibt uns also nur, darauf zu drängen, dass die Initiativen der New Agenda Koalition von möglichst vielen EU-Mitgliedsländern unterstützt werden, dass Spanien und Portugal, Italien und Dänemark sich hier ebenfalls engagieren und auch die neuen EU und NATO Mitglieder sich aus dem Sog der USA befreien. Denn nur, wenn Frankreich und Großbritannien mit ihrer Atomwaffenpolitik alleine dastehen, haben wir eine reale Chance, die EU politisch und de jure atomwaffenfrei zu bekommen.

Bisher kein öffentliches Thema
Ob die EU atomwaffenfrei ist oder nicht, spielt in der öffentlichen Debatte bisher keine besondere Rolle. Die Friedensbewegung befasst sich fast ausschließlich mit der Militarisierung der EU. Die Einmischung in die europäische Politik muss meines Erachtens aber den Verzicht auf Atomwaffen mit einbeziehen und das weltweite Eintreten für die Beseitigung aller Atomwaffen auf die europäische Tagesordnung setzen. Denn sonst kann es passieren, dass die Abwehr der Weiterverbreitung von Atomwaffen in der Europäischen Union zu einer Debatte führt, die eine Rückkehr zu einem gemeinsamen Schutzschild, zu einer gemeinsamen Abschreckung diesmal unter britischer und französischer Führung, möglich macht. Das muss verhindert werden.

Wir wollen eine europäische Verfassung für Frieden und Abrüstung heißt es in einem Aufruf, den der Europaabgeordnete Jo Leinen mit initiiert hat und der sich für die Streichung des Aufrüstungsartikels in der EU Verfassung ausspricht.

2002 wurden dem außenpolitischen Koordinator und ehemaligen NATO-Generalsekretär Xavier Solana rund 11.000 Unterschriften unter dem Appell "Für eine europäische atomare Abrüstungsinitiative" überreicht. Die Unterschriften kamen überwiegend aus Deutschland. Werben wir auch in den übrigen EU Mitgliedsländern für eine solche Kampagne, um einer europäischen Friedensbewegung wieder ein Stück näher zu kommen.

Weitere Informationen gibt es bei: Aktion Atomteststop, c/o Initiative für Frieden e.V. (IFIAS), Georgstr. 26, 53111 Bonn

 

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Gerd Greune ist Vorsitzender von ifias Brussels.