“Gott mehr gehorchen als den Menschen“

von Markus Dufner

Asyl von unten: Gründung des "Ökumenischen Netzwerks Kirchenasyl in Nordrhein-Westfalen"/ Flüchtlinge nicht verstecken, sondern die breite Öffentlichkeit suchen.

 

150 Christinnen haben am Wochenende in Köln das "Ökumenische Netzwerk Kirchenasyl in Nordrhein-Westfalen" aus der Taufe gehoben. Das Netzwerk will "Gemeinden und verfaßte religiöse Gruppen", die Kirchenasyl gewähren, miteinander verbinden. Die Zusam­menarbeit mit nichtkirchlichen Flüchtlingsinitiativen wird  dabei aber als "notwendig" erachtet.

"Die Gewährung von Kirchenasyl ist eine begrenzte, aber für uns notwendige Antwort von Christen auf die Quasi-Ab­schaffung des Asylrechts durch die Bonner Koalition und die SPD", sagten die Initiatoren des Treffens von Kirchenasylinitiativen in Nordrhein-Westfalen.

Auf illegale Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber, kämen größere Abschie­bewellen zu, wie die Praxis des am 26. Mai vom Bundestag verabschiedeten Asylverfahrensgesetzes zeige.

Kirchenasyl hat eine lange Tradition, im römischen Staat und das ganze Mittel­alter hindurch war es eine anerkannte Institution. In der Bundesrepublik gibt es kein verbrieftes Recht auf Asyl in Gotteshäusern. Formalrechtlich können abgewiesene Asylbewerber aus Kirchen herausgeholt werden. Trotzdem hat Kir­chenasyl, meinen Befürworter, einen Sinn: "Wir bauen auf die Scheu der Be­hörden, in kirchliche Räume einzudrin­gen", erklärte Tagungsleiter Wolf-Dieter Just von der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr. Kirchenasyl könne zu­mindest einen für Asylbewerber manchmal sehr wichtigen zeitlichen Aufschub erreichen.

Daß die Scheu vor dem "heiligen Raum Kirche" überwindbar ist, bewiesen eben erst die Ausländerbehörden in Wupper­tal, Münster und Hiltrup, indem sie das dort  in evangelischen Kirchengemein­den gewährte Kirchenasyl gewaltsam beendeten. "Im Grenzfall", nach Aus­schöpfung aller rechtlichen Möglich­keiten, sei ziviler Ungehorsam legitim, sagte Just und verwies auf das Paulus­ Wort:

"Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen". Er warnte aber davor, Kir­chenasyl als "ultima ratio" zu betrachten und es "inflationär" einzusetzen. Ge­genwärtig gewähren noch  zwei Ge­meinden in Nordrhein-Westfalen Kirchenasyl.

Im Gegensatz zu der schweizerischen "Aktion für abgewiesene Asylbewerber" (AAA), die geheime Zufluchtsstätten vermittelt, setzt das "Ökumenische Netzwerk" auf Öffentlichkeit. Das Ver­stecken von Menschen biete langfristig keine Perspektive und sei zudem für die Betroffenen psychisch zu belastend.  Kirchenasyl solle ein öffentliches Be­wußtsein für die Not von Flüchtlingen und Asylbewerbern erzeugen und so Druck auf Politiker und  Behörden aus­üben.

 

Gemeinsame Charta

Grundlage für das NRW-Netzwerk ist die "Charta von Groningen", die 1987 auf einer internationalen Konferenz in der niederländischen Stadt getroffene Verpflichtung örtlicher Kirchen, Ge­meinden und Basisgruppen, die sich be­reiterklärt haben, abgewiesenen Asylbewerbern Schutz und Hilfe zu gewäh­ren. Ein Jahr später entstand in Gronin­gen auf der Basis der Charta das "Internatinale Netzwerk Lokaler Initia­tiven für Asylsuchende" (INLIA). Die kirchliche Stiftung dient seither als Ko­ordinationsstelle für das Netzwerk der Charta von Gröningen. Am "Ökumenischen Netzwerk" in Nordrhein-Westfalen beteiligt sich außer den zahlenmäßig überwiegenden evange­lische Gemeinden die katholische Ba­sisbewegung "Pax Christi". Über die Beteiligung nichtkirchlicher Flücht­lings- und Asylinitiativen gab es im Verlauf der Kölner Tagung heftige Kontroversen. Ein Arbeitsausschuß des "Ökumenischen Netzwerks", der die Kontakte zu den Gemeinden aufnimmt, soll über die Form der Beteiligung dieser Gruppen entscheiden.         

Eine bundesweite Vernetzung von Kir­chenasyl-Initiativen ist für den 10. bis 12. Februar nächsten Jahres in Mül­heim/Ruhr geplant.

 

aus: taz, 20.9.93

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