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Gewaltfreie Aktion und Widerstand gegen neonazistische Ideologie
„Hier blockiert der Verein für Leibesübungen!“
vonDemokratie und Menschenrechte garantieren allen Menschen Unversehrtheit. Im Zentrum des Rechtsextremismus hingegen stehen die Ungleichwertigkeit der Menschen, Rassismus, Nationalismus und Gewalt als Mittel der Politik. Was können wir tun, um neonazistische Bewegungen und Ideologien zu delegitimieren und ihnen beharrlich entgegen zu treten? Welche Wirkungen zeigen Aktionen gewaltfreien Widerstands?
Erstmals seit 7 Jahren konnte 2013 der extrem rechte „Marsch der Ehre“ zum Wincklerbad (1) in Bad Nenndorf (Niedersachsen) nicht wie geplant stattfinden. Was war geschehen?
Etwa 1200 Menschen, BürgerInnen und Antifas, sind im August 2012 dem Aufruf der Initiative „Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf“ gefolgt: zu einem Gottesdienst, einer Kundgebung mit Demonstration und Aktionen zivilen Ungehorsams wie Anketten an eine braune Bio-Tonne zwischen S-Bahn und Gleis. Kurzerhand besetzten der „Verein für Leibesübungen“ („Hier blockiert der VfL“) gemeinsam mit den Antifas („Siamo tutti antifacisti!“) den begehrten Platz. Auch die BusfahrerInnen weigerten sich, die Braunen zu transportieren. „Es war nicht möglich, den Trauermarsch würdevoll durchzuführen, es wurde alles blockiert.“ So der Kommentar des frustrierten NPD-Politikers Marco Borrmann. (2)
Doch Widerstandsaktionen gegen den Aufmarsch von Neonazis wie in Bad Nenndorf verlaufen nicht immer in Kooperation mit der Antifa, zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Bevölkerung. Aus Anlass des 100. Todestages von Bismarck (1999) wurde beispielsweise auch in Heidelberg ein Aufmarsch angekündigt. Die Organisation der Gegendemonstration ging jedoch schief. Bereits im Vorfeld distanzierten sich verschiedene Gruppen in der lokalen Zeitung voneinander. Nur wenige Dutzend Gewaltfreie und Antifas, ein paar versprengte Grüne, wenige von der SPD und GewerkschafterInnen fanden sich letztlich ein. Fast das ganze bürgerliche Spektrum glänzte durch Abwesenheit. Waren die Ängste vor der bunten Gruppe der AntifaschistInnen größer als die Ängste vor den Hakenkreuz tragenden Glatzen, die ihr Kommen angedroht hatten? Zum Glück kamen sie nicht.(3)
Doch es gibt auch ein äußerst erfolgreiches Beispiel aus Heidelberg, am Tag der Deutschen Einheit im Jahr 2012. Damals versperrten 1800 Menschen, ein breites bürgerliches Bündnis (mit OB) und die Antifa, mit einem Pfeifkonzert den Weg. Sie erreichten, dass die Nazis gar nicht erst den Bahnhof verlassen konnten, um ihren genehmigten Marsch in die Stadt zu gehen. Dabei spielte auch eine gewisse Verständigung mit der Polizei eine Rolle. Denn das Vorgehen der Polizei orientiert sich immer auch an den Absprachen mit der lokalen Politik ganz oben.
Zudem kam hier die „Große Kette der Gewaltfreiheit“ zum Tragen, ein wichtiges Werkzeug gewaltfreier Strategieplanung. Sie bezieht die Solidarisierung von Menschen ein, die sich oder ihren bürgerlichen Status etwa durch Akte des Zivilen Ungehorsams nicht gefährden und sich nicht an einer Sitzblockade beteiligen wollen, sich aber in der Masse der Demonstrierenden zeigen, wie z.B. Oberbürgermeister Würzner in Heidelberg. Die gewaltfreie Aktion will die Öffentlichkeit erreichen und MitstreiterInnen gewinnen und das auch in den Wochen nach der Aktion. So auch bei Protesten gegen Neo-Nazi-Aufmärsche.
Einsatz von Gewalt - Merkmal des bekämpften Systems
Indessen erregen auch militante Demonstrationen gegen Neo-Nazi-Aufmärsche öffentliche Aufmerksamkeit, sie garantieren eine sichere Medienberichterstattung. Doch gewaltsame Aktionsformen sind reaktive Widerstandsformen. Beim Widerstand gegen Neo-Nazis ist die Kernfrage, ob gewaltsamer Widerstand sein Ziel nicht schon dadurch verfehlen muss, dass er mit der Gewaltanwendung ein wesentliches Merkmal des bekämpften Systems aufnimmt? Die Frage ist doch: Wobei eröffnet sich eine Perspektive für politische Veränderung? Wenn es das Ziel ist, den Rechten „eins drauf zu geben“, verkommt die Aktion zum reinen Selbstzweck. Dagegen sollten Gewaltfreie Aktionen so vorbereitet sein, dass direkte Konfrontationen mit gewaltbereiten Skins vermieden werden und dennoch Widerstand sichtbar vermittelt wird. Unser Ziel muss es letztlich immer sein, die Öffentlichkeit zu erreichen und auf den öffentlichen Diskurs Einfluss zu nehmen. Es darf gar nicht erst der Eindruck entstehen, menschenverachtende neonazistische Ideologien könnten öffentlich Akzeptanz genießen.
Gewaltfreie Aktionen gegen Rechts
Was wir brauchen, sind gewaltfreie Strategien, die die Achtung vor den Menschen und Toleranz in der Verschiedenheit schon in der Aktion zum Ausdruck bringen. (3) Zudem erreicht ein gut vorbereiteter gewaltfreier Widerstand sicherlich mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und damit auch potentiell breitere Unterstützung - wie z.B. ein Flugblatt der Initiative gegen Rechts in Pforzheim aufzeigt: „Unsere Aktionen werden gewaltfrei, aber dennoch entschlossen sein. (…) Durch gut koordiniertes und organisiertes Handeln können wir die Nazis stoppen. Wenn viele Menschen aus einem breiten Spektrum der Bevölkerung zusammenkommen und ihnen im Wege stehen, ist für Nazis kein Durchkommen!“ (Februar 2013).
Gewaltloses Handeln bedeutet nicht einfach Gewaltverzicht oder gar Konfliktvermeidung, sondern aktives Eingreifen in eine politische Auseinandersetzung, ohne die Person des Gegners anzugreifen. Weg vom Einsatz von Gewalt eröffnet sie neue Handlungsperspektiven. Ein Ziel bei Neonazi-Aufmärschen ist, die Aufmärsche zu verhindern. „Keinen Fußbreit den Neonazis!“ ist eine häufig propagierte Parole. Sie ist durchaus umstritten, spricht sie doch eine territoriale Verteidigung an. Dennoch: Sich in den Weg stellen ist eine Form zivilen Ungehorsams. Wegweisendes Ziel ist, Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen.
Anmerkungen
1 Das Bad wurde 1945 von den Alliierten als Verhörzentrum genutzt. Aus Sicht der Neonazis seien die Allierten die eigentlichen Verbrecher des Zweiten Weltkriegs, deutsche Nazitäter in Wirklichkeit deren Opfer.
2 Zimmermann, Maike: Love to bloc, in: ak Nr. 585, 14. August 2013, S. 12
3 Wanie, Renate, Wohland,Uli: Rechtsextreme Aufmärsche: Gewaltfrei gegen Neo-Nazis – geht das überhaupt? In: Gewaltfrei Aktiv, Mitteilungen der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, Nr. 10/1998, S. 1-2