Zusammenfassung des Friedensgutachtens 2020

Im Schatten der Pandemie: letzte Chancen für Europa

von Ronja Liertz
Hintergrund
Hintergrund

Das Friedensgutachten 2020 von vier deutschen Friedensforschungsinstituten trägt den Namen „Im Schatten der Pandemie: letzte Chancen für Europa“ – natürlich kann die Corona-Pandemie auch hier nicht unbenannt bleiben. Sie wirft politische und gesellschaftliche Fragen auf, die auch hohe friedens- und  sicherheitspolitische Relevanz haben. Neben einem Schwerpunkt auf die Folgen des Klimawandels für die Friedenssicherung in der Welt werden bewaffnete Konflikte und „humanitäre Interventionen“, Protestbewegungen und politische Umbrüche, Rüstungsdynamiken, institutionelle Veränderungen und Kontinuitäten und Trends des Rechtsterrorismus thematisiert und friedenspolitisch aufgearbeitet.

Besonders in bereits instabilen Weltregionen droht die Pandemie politische Unruhen und soziale Ungleichheiten weiter zu verstärken. Daher stimmen die Autor*innen des diesjährigen Friedensgutachtens dem Aufruf des VN-Generalsekretär Antonio Guterres zu, dass ein globaler Waffenstillstand die richtige Antwort auch auf die Corona-Krise sei. Denn: Die Zahl der weltweiten Gewaltkonflikte ist unverändert hoch. Daher lautet die erste Empfehlung des Gutachtens: „Corona bekämpfen ohne Friedenspolitik aufzugeben“.

Bewaffnete Konflikte, Protestbewegungen und Rechter Terror
Als Antwort auf die herrschenden Gewaltkonflikte unterstützen die Friedensforscher*innen eine erhöhte Beteiligung Deutschlands an Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Allerdings seien humanitäre Interventionen weiterhin kritisch zu hinterfragen, besonders im Hinblick auf robuste Mandate, die oft die Grenze zu Friedenserzwingung überschreiten. Die Militarisierung der Einsätze muss verringert und verhindert und der zivilgesellschaftliche Schutz in der Vordergrund gestellt werden, so die Autor*innen.

Auch in Bezug auf politische Bewegungen und Proteste solle Deutschland auf Dialog und präventive Vermittlung setzen, da die Dynamik des letzten Jahres sehr wahrscheinlich im Jahr 2020 anhalten werde.

Erschreckend sei, dass Deutschland die meisten Fälle rechtsextremer Gewalt in Europa aufzuweisen hat. Die Autor*innen kritisieren eine oft mangelhafte Rechtsdurchsetzung, zum Beispiel bei der Verfolgung von Hassreden. Rechtsterrorismus brauche dringend eine klare Benennung und Einordnung, die konsequente und schnelle Maßnahmen ermöglicht. Längst sei das schon bei islamistischem Terror zu sehen – nicht jedoch bei Rechtem.

Rüstungsdynamiken und institutionelle Friedenssicherung
Global steigen die Militärausgaben kontinuierlich, Rüstungskontrollen dagegen sinken. Ganze 82% der weltweiten Militärausgaben werden von den G20 Staaten getragen. Daher sollte Deutschland die Begrenzung dieser Ausgaben thematisieren und priorisieren. Rüstungsexporte in Länder mit zweifelhafter Menschenrechtslage müssten endlich komplett gestoppt werden.

Des Weiteren erwarten die Wissenschaftler*innen eine transparente Diskussion über eine mögliche Tornado-Nachfolge. Bis dahin müsse die Entscheidung auf Eis gelegt werden.

Interessant ist die Einschätzung zur Umstellung der internationalen Ordnung. Ist diese ausschließlich nachteilig zu bewerten? Obwohl die Abwendung der USA von wichtigen Institutionen diese deutlich schwächt, sehen die Autor*innen die aktuellen Veränderungen keineswegs nur kritisch: Sowohl Russland als auch China hätten ebenfalls Interesse an einer stabilen Rechtsordnung. Daher solle vor allem auf Gemeinsamkeiten geachtet und neue Institutionen als Möglichkeit gesehen werden.

Fokus: Friedenspolitik in Zeiten des Klimawandels
Mit diesem Schwerpunkt geht das Gutachten auf das Top-Thema des Jahres 2019 ein – endlich bekam die Klimakrise die seit langem überfällige Aufmerksamkeit. Diese wurde im Frühjahr 2020 wiederrum komplett von Corona überschattet. Der Appell des Friedensgutachtens: Den Klimaschutz weiterhin priorisieren.

Welche konkreten Auswirkungen hat der Klimawandel auf Frieden, Sicherheit, Konflikte und Kriege? Die Wissenschaft ist sich dahingehend uneinig: Auf der einen Seite stellt das erhöhte Auftreten von Umweltkatastrophen eine direkte Gefahr für Gesellschaften dar und kann so als Bedrohung für die persönliche Sicherheit interpretiert werden – was wiederrum zu Gewaltkonflikten führen kann. Andererseits könnte in der Gesellschaft mehr Kooperation zur Überwältigung der Krise entstehen und Konflikte dadurch sogar abgebaut werden. Das größte Risiko bestehe jedoch darin, dass viele Folgen erst in Zukunft sichtbar werden – was eine genaue Einschätzung eben so schwierig mache.

Wichtig sei es nun, die klimatischen Veränderungen konfliktsensitiv und gerecht zu gestalten. Traditionelle sicherheitspolitische Instrumente seien nicht die richtigen Maßnahmen für die Bewältigung der Krise und belasteten zusätzlich die Umwelt. In Deutschland werde der Klimawandel aber oft genau so wahrgenommen: als sicherheitspolitisches Problem. Dies befördere aber nur eine Militarisierung von Klimapolitik und kann dazu dienen, Aufrüstung zu legitimieren. Empfohlen wird eine Klimapolitik, die auf Emissionsvermeidung und Klimaanpassung baut und den zusätzlichen Stressfaktor präventiv behandelt.

Hier geht es zu dem Friedensgutachten: https://friedensgutachten.de/2020. Die Printversion kostet im Buchhandel 15 Euro.

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Ronja Liertz hat International Relations studiert und absolvierte ein Praktikum beim Netzwerk Friedenskooperative.